Die Wissenschaft sagt, dass Bäume kommunizieren, dass sie auf Reize aller Art reagieren, dass sie aber mangels Gehirn keinen Schmerz empfinden können und keine Gefühle haben. Vielleicht ist das gut so. Denn Bäume haben in der Bibel kein leichtes Leben. Hier eine (nicht ganz ernst gemeinte) Reflexion über den Umgang mit Bäumen in der Bibel. Von Elisabeth Birnbaum.
Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle über die Bibel als Wald reflektiert. Diesmal möchte ich über den Wald in der Bibel, besser gesagt: über die Bäume in der Bibel nachdenken[1], vor allem über die Frage, was sie fühlen würden, wenn sie es könnten.
Von Tierschutz ist ja derzeit viel die Rede.[2] Auch an die Bibel trägt man tierethische Überlegungen heran.Bei Pflanzen begnügt man sich meist mit dem Hinweis, dass Pflanzen zwar Lebewesen sind, aber eben keinen Schmerz empfinden können. Aber wie lautete der biblische Befund, wenn sich irgendwann herausstellen würde, dass dem gar nicht so ist?
Hochgeachtete Bäume
Die gute Nachricht zuerst: Bäume sind in der Bibel hoch angesehen, zumindest die meisten. Obstbäume etwa gehören konstitutiv zu einer Heilszeit, ob am Beginn, in der Mitte oder am Ende der Zeiten. Im Garten Eden (Gen 2-3) sind sie ebenso Zeichen des göttlichen Heils wie in der großen Tempelvision des Propheten Ezechiel (vgl. Ez 47) oder in der Offenbarung des Johannes (vgl. Offb 21).
Auch Zedern gelten als besonders schöne und stolze Bäume. Weinstock, Granatapfelbaum und Feigenbaum gehören zum Inventar des Gelobten Landes (vgl. Num 13,23) und bieten den Israeliten einen wichtigen Anreiz, dorthin zu ziehen. Mit solchen fruchtbringenden, mit ausreichend Wasser versehenen Bäumen werden auch gottgefällige Menschen verglichen, etwa in Psalm 1,3: „Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Bächen voll Wasser, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken.“
Baumschutz?
So ist es eigentlich kein Wunder, dass der Schutz von Bäumen sogar in der Tora angeordnet wird:
„Wenn du eine Stadt längere Zeit hindurch belagerst, um sie anzugreifen und zu erobern, dann sollst du ihrem Baumbestand keinen Schaden zufügen, indem du die Axt daran legst. (Dtn 20,19)“
Soweit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass die Passage aus Dtn 20 nicht dabei stehen bleibt. Einen Vers später heißt es:
„Nur den Bäumen, von denen du weißt, dass sie keine Fruchtbäume sind, darfst du Schaden zufügen. Du darfst sie fällen und daraus Belagerungswerk bauen gegen die Stadt, die gegen dich kämpfen will, bis sie schließlich fällt.“ (Dtn 20,20)
Nicht fruchttragende Laubbäume oder Nadelbäume sind demnach ganz allgemein vom Pflanzenschutz ausgenommen. Sie sind schwer gefährdet, gefällt und als Kriegsmittel eingesetzt zu werden. Davon abgesehen gibt es ein paar Beispiele für Gewalt, die Bäumen aus oft nicht nachvollziehbaren Gründen angetan wird.
Ein brennender Dornbusch
Das bekannteste Beispiel ist der Dornbusch in Ex 3: Er brennt und verbrennt doch nicht. Könnten Bäume Schmerz empfinden, käme das wohl einer Folter gleich. Vor allem die Umstände muten seltsam an: Das Brennen des Dornbusches hat ja einzig und allein den Zweck, um Mose Aufmerksamkeit zu erheischen. Erst als das geschieht und Mose näher kommt, spricht Gott zu ihm und erteilt ihm seinen Auftrag, Israel in die Freiheit zu führen. Zahlreiche Beispiele in den Prophetenbüchern (Jeremia, Jona, Jesaja etc.) zeigen, dass Gottes Wort auch ohne brennende Pflanzen an ihr Ziel kommt. Die Frage bleibt, warum dies bei Mose notwendig war.
Traumatisierte Eichen
Bäume sind in der Bibel manchmal Schauplätze des Verbrechens. Besonders die Eichen (oder Terebinthen, je nach Übersetzung) sind davon betroffen. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn Bäume seelisch leiden könnten. Wie würde es einem gefühlvollen, sensiblen Baum ergehen, wenn er ständig mit Not und Tod konfrontiert wäre?
In einer Eiche verfängt sich etwa der aufrührerische David-Sohn Abschalom. Die Eiche wird Zeugin seiner Not und auch Zeugin, wie Davids Feldherr Joab die Situation ausnützt und Abschalom mit einem Speer tötet (2 Sam 18). Schon im Buch Josua ist der König von Ai auf einem Baum – möglicherweise auch einer Eiche? – aufgehängt worden (vgl. Jos 8,23).
Davon abgesehen werden unter keinem anderen Baum der Bibel so viele Tote begraben wie unter einer Eiche. König Saul ist da ein ebenso prominentes Beispiel wie Debora, die Amme von Rebekka. Ob ein erstes Bewusstsein für die möglichen psychischen Folgen für einen betroffenen Baum die Umbenennung einer Eiche in „Träneneiche“ war (Gen 35,8)?
Und à propos vergraben: Jakob, einer der Erzväter Israels, macht aus einer Eiche geradezu eine Mülldeponie, wenn er in Gen 35 alle fremden Kultbilder und -statuen einfach zu ihren Wurzeln vergräbt.
Ungerechtfertigte Attacken und Leistungsdruck
Psychische Belastungsstörungen müsste man wohl auch bei jenem Feigenbaum diagnostizieren, der von Jesus ungerechtfertigterweise verflucht wird. Die Erklärung dazu ist wenig gehaltvoll: Er trug keine Früchte. Dass das seinen guten Grund hatte: „denn es war nicht die Zeit der Feigenernte“, wird zwar ausdrücklich erwähnt (vgl. Mk 11,13), hilft ihm aber nicht. Der Fluch hat – Gefühlsleben des Baumes hin oder her – schreckliche Folgen: Der Feigenbaum verdorrt (Mk 11,20).
Dass Bäume, die keine Fruchtbäume sind, nicht unter Schutz stehen, wurde bereits oben erwähnt. Dass aber auch Fruchtbäumen Gefahr droht, nur weil sie – aus welchen Gründen immer – keine Früchte bringen, wird hier deutlich. Dies zeigt, unter wie großem Leistungsdruck selbst hochgeachtete Bäume stünden, könnten sie diesen empfinden.
Metaphorische Gewaltfantasien
Beliebt sind in diesem Zusammenhang Drohungen, die von Bäumen sprechen, aber Menschen meinen. Bekanntes Beispiel dafür ist der Satz von Johannes dem Täufer (vgl. Mt 3,10; Lk 3,9): „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“
Ähnlich ergeht es dem Weinstock. Im sogenannten Weinberglied (Jes 5) wird von der Vernichtung eines Weinbergs gesprochen, als Metapher für das, was der skrupellosen Oberschicht Jerusalems als Strafe für ihr asoziales Verhalten droht.
Bäume, die auch nur zu anderen Zeiten als im Herbst Früchte bringen, werden mit Irrlehrern gleichgesetzt: (Jud 1,12): „[Irrlehrer sind …] Bäume, die im Herbst keine Frucht tragen, zweimal abgestorben und entwurzelt.“
Und nicht einmal vor hochgeachteten Bäumen wie Ölbäumen oder Zedern machen die Metaphern halt: Wenn beispielsweise davon die Rede ist, dass die übermächtigen Assyrer oder Ägypter dereinst von Gott gestürzt werden, gießt man dies in gewaltdurchtränkte Metaphern, deren Subjekte Zedern sind: „Fremde, die gewalttätigsten unter den Völkern, werden sie [die Zeder] umhauen und hinwerfen. Ihre Zweige fallen auf die Berge und in alle Täler, ihre Äste zerbrechen in allen Schluchten der Erde. Alle Völker der Erde verlassen den Schatten der Zeder und lassen sie liegen. Auf ihren gefällten Stamm setzen sich alle Vögel des Himmels, die wilden Tiere hausen in ihren Zweigen.“ (Ez 31,12-13).
Fazit
Diskriminierung, Mobbing, Zweckentfremdung und gefährliche Drohung, gelegentlich sogar körperliche Gewalt wird Bäumen in der Bibel zuteil. Besser gesagt: würde ihnen zuteil, wenn sie entgegen der wissenschaftlichen Erkenntnis doch fühlen könnten. So bleibt nur zu hoffen, dass dem nicht so ist.
[1]Das aktuelle Heft von Bibel heute (1/24) befasst sich mit Bäumen in der Bibel.
[2]Vgl. z.B. Anna Kraml auf feinschwarz: Tierethik in der Tora.
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Elisabeth Birnbaum, Wien, ist promovierte Alttestamentlerin und seit 2017 Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.
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