Gestern, am 8. März, war Internationaler Weltfrauentag. Ute Leimgruber nimmt diesen Tag zum Anlass, einige der häufigsten sexistisch-abwertenden Floskeln aus ihrem akademisch-wissenschaftlichen Umfeld als katholische Theologin zu dekonstruieren.
Vorweg: Ja, es gibt viel schlimmere Gewalt gegen Frauen als dumme Stammtischparolen. Für das Jahr 2018 zählt die Statistik allein in Deutschland 122 Femizide (zeit.de). Jeden dritten (!) Tag stirbt hierzulande eine Frau, weil sie eine Frau ist. Gleichzeitig sollte klar sein: Geschlechtsbezogene Gewaltdelikte gegen Frauen sind die extremsten Auswüchse eines Systems, in dem Frauen tagtäglich mit Benachteiligungen und Feindseligkeiten unterschiedlichster Art konfrontiert sind.
Die Philosophin Kate Manne hat dazu ein äußerst kluges Buch geschrieben: „Down Girl“ – deutsch: „Sitz, Mädchen“ – „Die Logik der Misogynie“[1]. Sie möchte wissen, warum es selbst in der vermeintlich post-patriarchalischen Welt des globalen Nordens noch immer so viele frauenfeindliche Drohungen und geschlechtsspezifische Gewalt gibt, und warum trotz aller Fortschritte hinsichtlich der Geschlechtergleichstellung auf kulturellem, juristischem oder institutionellem Gebiet die geschlechterdiskriminierenden Muster so hartnäckig sind.
Misogynie dient dazu, die patriarchalische Ordnung zu kontrollieren und durchzusetzen.
Kate Manne erklärt Misogynie als soziopolitisches Phänomen: Frauen sind in ihrem Umgang mit der sozialen Welt vor allem dann mit feindseligen Reaktionen konfrontiert, wenn sie patriarchalische Normen infrage stellen. Bei Manne sind Frauen diejenigen, die eine ganze Reihe von Ansprüchen zu erfüllen haben (Liebe, Charme, Fürsorge usw.) – Männer hingegen diejenigen, die den Anspruch darauf erheben. Frauen erhalten negative Reaktionen, wenn sie die Ansprüche nicht zu erfüllen bereit sind, oder wenn sie selbst etwas einfordern, das männlich codiert ist, z.B. Macht, Geld oder Entscheidungsbefugnisse.
Frauen, die also nicht (mehr) bereit sind, weiblich codierte Güter zu geben, und gleichzeitig männlich codierte Güter für sich beanspruchen, müssen mit misogynen Reaktionen rechnen. Die Varianz auch jenseits körperlicher Gewalt reicht von Ressentiments, Missachtung, Demütigungen oder Lächerlich-Machen bis hin zu Hate Speech.
„Nun sei mal nicht so humorlos!“
Ich selbst erlebe häufig solche genderbezogenen Feindseligkeiten. Z.B. wenn ich in Sitzungen von dem männlichen Moderator unterbrochen und zurechtgewiesen werde, weil ich angeblich zu laut und zu lange rede. Wenn die Mehrzahl der anwesenden Männer schallend über einen sexistischen Witz lacht und meine versteinerte Miene mit einem „nun-sei-mal-nicht-so-humorlos“-Kommentar bedacht wird. Oder wenn auf meine Forderung nach mehr Teilhabe geantwortet wird, wir Frauen sollten nun endlich mal mit dem zufrieden sein, was wir schon erreicht hätten.
Es ist dieses Auftreten von Männern, das keinen Zweifel daran lässt, wer die Regeln vorgibt, und wer sich dran zu halten hat, ein Auftreten, bei dem sehr schnell klar wird, dass es unangenehm werden könnte, wenn frau sich gegen die (meist unausgesprochenen) Regeln wendet. Nun bin ich als weiße, finanziell abgesicherte, heterosexuelle Frau in einer enorm privilegierten Position – meine Autorität, über Diskriminierungen zu schreiben, ist also ziemlich eingeschränkt. Mit Kate Manne vertrete ich gleichwohl die These, dass die meisten Frauen misogynen Benachteiligungen ausgesetzt sind, wenn auch auf radikal unterschiedliche Art.
Nicht jeder, der sich frauenfeindlich verhält, möchte frauenfeindlich sein.
Allen Männern, die an dieser Stelle schon zur Kommentarfunktion nach unten scrollen möchten, um zu erklären, sie würden hier zu Unrecht als Unterstützer eines patriarchalen, misogynen Systems adressiert, sei gesagt: Die klassische Reaktion „ich hab’s ja nicht so gemeint“ zählt nicht. Es geht mit der Analyse Kate Mannes nämlich nicht darum, was im Kopf der Akteure passiert, sondern was außerhalb dieser Köpfe stattfindet, was also zum Ausdruck gebracht wird.
Diese Perspektive ist wichtig, denn sie verlagert den Fokus von den Akteuren zu den Zielpersonen: Der Einwand, man habe dieses oder jenes nicht sexistisch oder verletzend oder diskriminierend gemeint, ist bei diesem Vorgehen irrelevant. Denn intention und impact sind selten deckungsgleich: Auch wenn die Intention einer Handlung nicht frauenfeindlich sein mag, die Wirkung kann es sehr wohl sein.
Mehr Frauen auf Tagungen oder Podien!
Was hat nun diese Wirkungsweise von Misogynie mit sexistischen Äußerungen zu tun? Stammtischweisheiten haben ihren Ort nicht nur an Stammtischen oder im Aschermittwochsbierzelt, sie entfalten ihre Ignoranz auch ohne alkoholische Begleitung. Ich trete in Wissenschaft und Kirche u.a. dafür ein, dass der Anteil der Frauen in Leitungspositionen ebenso wie in Veröffentlichungen[2] oder bei Tagungen oder Podien erhöht wird.
Die Reaktion der (meist männlichen) Verantwortlichen auf die Frage nach der Anzahl der beteiligten Frauen lautet in der Regel: a) „Wir finden keine weibliche Referentin, die sagen alle ab.“, gerne verbunden mit b) „Frauen wollen ja gar nicht in diese Positionen, sonst würden sie sich schließlich mehr drum bemühen“. Und, unter den Stammtischfloskeln am beliebtesten, c) „Uns kommt es auf die Leistung, nicht auf das Geschlecht an.“
Zu wenig Teilhabe von Frauen setzt sich immer weiter fort.
Ad a) Ja, es stimmt, dass es oft schwierig ist, eine gleich hohe Anzahl von Frauen wie Männern für eine festgelegte Anzahl von Vorträgen oder Aufsätzen zu finden. Häufig gibt es in der Tat weniger Frauen als Männer, die zu bestimmten Themen gearbeitet haben und dies öffentlich vertreten könnten. Hier perpetuiert sich die diskriminierende Situation, dass Frauen eben weit entfernt sind von einer gleichberechtigten Teilhabe und Sichtbarkeit. Die (im Vergleich wenigen) Frauen bekommen also viele Anfragen, die sie absagen müssen.
Es lohnt sich aber oft, nicht allzu schnell die Flinte ins Korn zu werfen und weiter anzufragen, evtl. mal eine bis dato eher unbekannte Frau einzuladen oder einfach über das eigene Adressbuch hinaus zu suchen. Es gibt Frauennetzwerke, die bei der Suche nach geeigneten Expert*innen weiterhelfen können. Im theologischen Bereich haben z.B. Agenda – Forum katholischer Theologinnen e.V. oder die Frauenverbände kfd und KDFB starke Netzwerke. Wenn Veranstalter*innen also wirklich Gleichberechtigung wollen, können sie sie durchaus herstellen. Hin und wieder braucht es einfach ein wenig mehr Mühe.
Gender Care Gap: Frauen leisten mehr Sorgearbeit als Männer.
Manchmal sagen Frauen aber auch aus anderen Gründen ab, z.B. weil ihre Lebenswirklichkeiten stärker von korrespondierenden Care-Tätigkeiten und dem entsprechenden Zeitmanagement abhängen. Frauen leisten deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung beziffert diesen sog. Gender Care Gap auf 52,4 %, d.h. Frauen arbeiten durchschnittlich jeden Tag eineinhalb Stunden mehr im Haushalt und bei Sorgetätigkeiten. Wer diese Situation ernst nimmt und trotzdem die Repräsentanz von Frauen steigern möchte, kann z.B. lange vorher anfragen (das erhöht die Planbarkeit), zeitliche Flexibilität ermöglichen oder zusätzliche Gelder für Kinderbetreuung o.ä. zur Verfügung stellen.
Ad b) Der zweite Einwand, es läge ja an den Frauen selbst, dass sie so unterrepräsentiert seien, sie wollten eigentlich gar nicht an die entsprechenden Positionen, suggeriert zwei Dinge: Zum einen wird behauptet, die Verantwortung läge bei den Frauen selbst, die Männer hätten mit der Unterrepräsentanz von Frauen und ihrer Diskriminierung nichts zu tun. Zum anderen steckt in dieser Aussage die Unterstellung, es gäbe keine Hindernisse für Frauen. Das Problem sei das Wollen, nicht das Können.
Die Macht von Männerbünden, Barrieren und Gläsernen Wänden.
Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sie ist zynisch. Sie verharmlost die Macht von Männerbünden und negiert Barrieren und Gläserne Wände. Doch es gibt die Hindernisse. Manche sind schwer zu identifizieren, andere sind offenkundiger. Wer behauptet, Diskriminierungsverhältnisse überwunden zu haben – bei gleichzeitiger fortgesetzter, aber eben nicht transparenter Ungleichheit – baut fleißig mit an den Wänden, die Frauen von einer paritätischen Teilhabe in Wissenschaft, Kirche, Gesellschaft usw. fernhalten. Außerdem zeugt diese Haltung von einem Erlaubnispaternalismus, der die Ansprüche der Männer, den Frauen eine Beteiligung an der Macht zuzubilligen, erst recht entlarvt.
Und damit sind wir bei der dritten Bullshit-Floskel: c) Am wichtigsten sei Qualität – Quoten würden nur verhindern, dass die Besten genommen werden. Sei es nicht ungerecht, wenn eine Frau nur weil sie Frau ist, einen Artikel in einer renommierten Zeitschrift schreiben darf?
Verhindern Quoten ernsthaft, dass die Besten zum Zuge kommen?
Meine Antwort: Stimmt, es ist sogar extrem unfair, wenn Menschen nur aufgrund ihres Geschlechts eine einflussreiche oder mächtige Tätigkeit ausüben dürfen. Es ist unfair, wenn ihre Leistung besser beurteilt wird, weil sie ein bestimmtes Geschlecht haben. Es ist ungerecht, wenn das Geschlecht – und nur das Geschlecht! – eine bestimmte Position ermöglicht.
Dass es in der katholischen Welt, in der Frauen ausschließlich aufgrund ihres Geschlechts die Möglichkeit der sakramentalen Weihe verwehrt ist, nicht darum geht, wer für einen Job die besten Kompetenzen (oder gar eine Berufung) mitbringt, sondern darum, wer die richtigen Chromosomen hat, ist hinlänglich bekannt. Auch in anderen Bereichen ist die Sache mit der reinen Leistungsorientierung zumindest fragwürdig.
Leistungsorientierung schließt „male privilege“ nicht aus.
Oder glaubt jemand ernsthaft, dass die fast 70 % männlichen Bundestagsabgeordneten nur dort sitzen, weil sie so viel intelligenter oder geeigneter sind als Frauen? Oder, dass die 85 % der Artikel männlicher Autoren in den theologischen wissenschaftlichen Zeitschriften die qualitativ besten sind? Wer würde hier tatsächlich behaupten, dass es keinerlei Begünstigung aufgrund des Geschlechts gibt (male privilege)?
Bedenkt man die angeblichen Qualitäts-Argumente gegen die Quote, kommt man in Erklärungsnöte: Wenn man nämlich für eine bestimmte Gruppe 50 % Frauen sucht, dann aber angeblich nicht die Besten dafür findet, heißt das: Frauen sind zwar 50 % der Menschheit, aber nicht 50 % der Besten. Würde das dann nicht heißen, dass Männer grundsätzlich besser sind als Frauen?
Die Logik der Misogynie liegt in der Struktur unserer Gesellschaft.
Die Forderung nach einer Frauenquote ist ein Beispiel von vielen, bei dem Frauen mit misogynen Reaktionen zu rechnen haben. Misogynie ist nicht die Eigenschaft einer individuellen Person, es ist auch nicht der Glaube an natürliche Geschlechterunterschiede und die entsprechenden kulturell-patriarchalischen Narrative (das ist Sexismus). Misogynie ist das, was getan bzw. geäußert wird, um patriarchalische Normen und Erwartungen durchzusetzen oder zu erhalten.
Eine wirklich post-patriarchalische Welt würde solche frauenfeindlichen Reaktionen gar nicht erst produzieren. Was in unserem Beispiel bedeutet: Erst wenn es tatsächlich keine Rolle mehr spielt, welche Hautfarbe, welches Geschlecht, welche sexuelle Orientierung oder welche Klassenherkunft ein Mensch hat, braucht es keine Quoten mehr. Bis dahin sind Interventionen gegen misogyne Stammtischsprüche genauso notwendig wie der internationale Weltfrauentag.
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Ute Leimgruber, Dr. theol. habil., ist Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg. Sie ist im Vorstand von AGENDA Forum katholischer Theologinnen e.V. und Mitglied der Theologischen Kommission des Katholischen Deutschen Frauenbundes KDFB e.V.
Zeitgleich erscheint eine ausführlichere Version dieses Beitrags auf: https://www.uni-regensburg.de/theologie/pastoraltheologie/medien/weltfrauentag_glosse.pdf
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[1] Vgl. Kate Manne, Down Girl. Die Logik der Misogynie, Berlin 2019.
[2] Eine Untersuchung im Rahmen von Agenda – Forum katholischer Theologinnen e.V. kommt zu dem Ergebnis, dass in theologischen Fachzeitschriften ca. 15 % der Autor*innen weiblich sind.