Was hilft (nicht), wenn Trauer gerade überfordert: Kathrin Oxen erzählt aus eigener Erfahrung.
Der November hat ja ohnehin keinen besonders guten Ruf als Monat. Draußen wird es wieder früh dunkel, welke Blätter auf dem Gehweg und kalter Sprühregen tun das ihre. Ein Monat wie eine Trauerkarte, ernst und schwer. Und Trauer ist ein Thema, das zu diesem Monat irgendwie dazugehört. Nicht nur ich bin in dieser Zeit öfter auf dem Friedhof. Jetzt werden die Gräber winterfest gemacht und geschmückt. Kleine Grablichter leuchten in der Dämmerung.
In meiner Ausbildung als Pfarrerin hat der richtige Umgang mit Trauernden naturgemäß eine wichtige Rolle gespielt. Uns wurde eingeschärft, in Trauergesprächen auf keinen Fall Sätze wie „ich weiß genau, wie Sie sich fühlen“ zu sagen. Sie stimmen meistens nicht und deswegen helfen sie auch niemandem. Trauernde zu begleiten, ist Teil meines Berufs und ich bin geübt darin.
Wie anders es sich aber anfühlt, wenn man selbst betroffen ist, habe ich in diesem Sommer erfahren. Mein Vater ist gestorben und plötzlich war ich diejenige, die Beileidsbekundungen entgegennehmen musste. Es hat mir gutgetan, dass so viele Menschen Anteil an meinem Verlust genommen haben. Aber es gibt einen Satz, der mir oft gesagt worden ist und der mir wenig geholfen hat: „Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, sag einfach Bescheid“. „Ja, danke“ habe ich meistens geantwortet. Aber Bescheid gesagt habe ich bis jetzt noch niemandem.
Ich habe darüber nachgedacht, warum mir dieser Satz so merkwürdig vorkommt. Ich glaube, es liegt daran, dass mit ihm der Ball schnell wieder zu mir gespielt wird. Darin liegt bestimmt eine gewisse Erleichterung für die, die ihn sagen, so nach dem Motto: Ich habe meine Anteilnahme und meinen guten Willen ausgedrückt. Was der oder die Andere daraus macht, das ist jetzt ihre oder seine Sache.
„Wenn ich etwas für dich tun kann, sag einfach Bescheid“. Das ist wie so eine Art Gutschein. Aber einer von denen, die man nie einlöst. Meine Schwester und ich haben schon angefangen, Witze darüber zu machen. Wie es wäre, wenn man einfach mal sagen würde: „Du, super, ich müsste jetzt dies und dies eingekauft haben und der Hund muss auch regelmäßig raus.“ Die Gesichter hätten wir gerne gesehen. Denn die Wirklichkeit ist ganz anders: Trauernde wissen oft nicht genau, was sie in dem Moment gerade brauchen, weil Schock und Schmerz viel zu groß sind. Und sie haben auch meistens nicht die Kraft, um etwas zu bitten.
„Wenn ich etwas für dich tun kann, sag einfach Bescheid.“ Sicher ist dieser Satz gut gemeint. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Besser ist es, gleich etwas Praktisches anzubieten oder direkt etwas Konkretes zu tun. Wirklich fragen, ob man etwas einkaufen oder erledigen kann. Einen Topf Suppe oder einen Kuchen vorbeibringen. Oder einfach etwas Schönes, einen Blumenstrauß, eine Kerze. Die Kinder zur Schule oder zum Sport mitnehmen oder etwas mit ihnen unternehmen. Oder einfach fragen: Was kann ich jetzt für dich tun? Jetzt, nicht irgendwann?
Ich habe einen sehr guten Freund, der hat mich genau das gefragt. Ihm konnte ich etwas übergeben, was mich sehr belastet hat. Wegen der Corona-Situation waren die Plätze in der Kirche begrenzt. Dieser Freund hat dann bei der Trauerfeier für meinen Vater die Anwesenheitsliste geführt und die Plätze verteilt. Das hat mir wirklich geholfen. Es ist eigentlich leicht, das Richtige zu tun. Und auf jeden Fall besser, als es nur anzubieten.
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Kathrin Oxen ist evangelische Pfarrerin an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Der Text war das „Wort zum Tage“ auf DLF Kultur vom 5.11.2020.
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