„Feinde der offenen Gesellschaft“ (Karl Popper) entern auch kirchliche Milieus. Eine Auseinandersetzung ist in Wissenschaft, kirchlichen Strukturen und auch in Gemeinden notwendig. Sonja Strube führt die Anstöße von Christian Bauer und Willibald Sandler weiter.
Sich als „Freund der offenen Gesellschaft“ nicht in einer „Logik der Verneinung zu verfangen“ (Willibald Sandler auf feinschwarz.net), die die Gegenseite dämonisiert und ihren Protagonisten keine Umkehr mehr zutraut, ist zweifellos eine wichtige Herausforderung. Der Lösung dieser Aufgabe muss jedoch, dialektisch gedacht, eine Identifizierung dessen vorausgehen, was und auch wer der offenen, pluralen, demokratischen Gesellschaft derzeit „feind“ ist.
Nicht dämonisieren, aber identifizieren, wer und was der offenen Gesellschaft „feind“ ist
Wo diese Klarheit fehlt (dies unterstelle ich nicht Willibald Sandler!), können Formulierungen wie: „Positives […] anerkennen“ und nicht „grundsätzlich nur als strategisch vorgetäuscht beargwöhnen“ oder: „Es gilt, auch im ‚Wolf im Schafspelz‘ das tiefer verborgene ‚Schaf im Wolfspelz‘ zu finden“ leicht zur Einladung werden, sich gar nicht erst kritisch mit Rechtspopulismus und Rechtspopulisten auseinanderzusetzen, sondern ihnen und ihrer Ideologie die Türen der Kirchgemeinden zu öffnen.
Dialog setzt kritische Auseinandersetzung voraus.
Eine Stadt im Osten Deutschlands zeigt sich tief gespalten in SympathisantInnen und GegnerInnen der rechtspopulistischen Pegida-Bewegung. Diese Spaltung prägt den Alltag der Menschen in einem Ausmaß, wie es sich Menschen in anderen Regionen Deutschlands kaum vorstellen können. Obwohl ChristInnen mit weniger als 4 % KatholikInnen und ca. 20 % ProtestantInnen nur eine Minderheit der Einwohnerschaft darstellen, sind selbst Personen der extremen Rechten daran interessiert, Christen und Kirchen für sich einzunehmen bzw. eine kirchliche Ablehnung rechter Positionen zu verhindern. ChristInnen wiederum sehen sich in der Verantwortung, zur Befriedung der angespannten Lage und zur Entfeindung zwischen Menschen unterschiedlicher politischer Meinung beizutragen. Teilweise geschieht dies mit großer Umsicht und im selbstkritischen Bewusstsein dafür, wie missbrauchbar öffentliche Diskussionsforen z.B. angesichts rechter Wortergreifungsstrategien sind. Wo dieses selbstkritische Bewusstsein fehlt und wo zwischen wirklich verunsicherten BürgerInnen und neurechten StrategInnen nicht unterschieden wird, besteht die Gefahr, dass ChristInnen zu handlangernden Biedermännern für Brandstifter werden.
Eine Stadt im Osten Deutschlands zeigt sich tief gespalten. ChristInnen suchen Wege zur Befriedung und zur Entfeindung.
Konkret: Eine evangelische und eine katholische Gemeinde der Stadt öffnen seit Anfang 2016 ihre Gemeindesäle für öffentliche „Bürgerdialoge“, die ohne Anmeldung, Teilnahmebegrenzung und Verbindlichkeit stattfinden. Die Idee dieser Bürgerdialoge wurde an die beiden Gemeindepfarrer von vier Gemeindemitgliedern, allesamt honorige ältere Herren, herangetragen. Deren treibende Kraft, ein ehemaliger Stadtrat der „Freien Bürger“, wirbt neuerdings offensiv für das Mitgehen bei „Pegida-Spaziergängen“ und für die AfD. Obwohl dies öffentlich bekannt ist, stellt eine Zusammenarbeit mit ihm für die Pfarrer kein Problem dar.
„Bürgerdialoge“ – Wer sind die Akteure?
Der erste Bürgerdialog mit ca. 120 Teilnehmenden, organisiert vom Sechser-Gremium der vier Herren und der beiden Pfarrer, besteht aus dem Impulsreferat einer einschlägig positionierten Politikerin. Dieser Stellungnahme wird kein zweites, anders positioniertes Referat zur Seite gestellt. Ein Teilnehmer der Veranstaltung resümiert in seinem Gedächtnisprotokoll:
„Die Politikerin bewertete die gesamtgesellschaftliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland als ‚bedrohlichen Zustand‘, ‚Schlittern im Nebel durch die Klippen‘ und als ‚krank‘ und verglich den Zustand der Bundesrepublik mit der Lage der DDR Ende der 1980er Jahre. Anzeigen, die gegen Pegida wegen Volksverhetzung eingegangen waren, kritisierte sie als ‚Akte der Intoleranz‘, ohne auf deren konkreten Inhalt einzugehen. In der darauf folgenden Aussprache kam es zu Falschdarstellungen und Verunglimpfungen – es fiel der Ausdruck ‚Mediendiktatur‘, der Islam wurde als eine ‚totalitäre Ideologie‘ bezeichnet, die Bundeskanzlerin als ‚Verfassungsbrecherin‘. Von Seiten der Veranstalter inklusive der beiden anwesenden Pfarrer reagierte niemand sofort korrigierend auf Falschdarstellungen aus dem Teilnehmerkreis, niemand wies Verunglimpfungen zurück.“
„Mediendiktatur“, „Islam als totalitäre Ideologie“, „Bundeskanzlerin als Verfassungsbrecherin“ ?
Einen Monat später findet ein zweiter Bürgerdialog statt, diesmal unter Verwendung einer dialogischen Gesprächsmethode, die sich inspiriert sieht von der „Thérapie Sociale“ nach Charles Rojzman[1], aber in der Durchführung stark von dessen Konzept abweicht: Nicht in einem festen, sich regelmäßig treffenden Kreis von bis zu 20 Personen unter Leitung einer Sozialtherapeutin wird gearbeitet, sondern eine einzelne Person moderiert hier ein öffentliches Forum von insgesamt ca. 80 Interessierten. Zunächst in Paaren, dann zu viert und zu acht sollen die Anwesenden über ihre politischen Vorstellungen miteinander ins Gespräch kommen. Die Gesprächsergebnisse der Achtergruppen sollen dann im Plenum öffentlich vorgestellt werden. Aufgabe ist: „Alle im Saal sollten einander zuhören, die Meinung des anderen akzeptieren und ihn verstehen.“
Dialogische Gesprächsmethode: „Alle im Saal sollten einander zuhören, die Meinung des anderen akzeptieren und ihn verstehen.“
Unter den Teilnehmenden im Gemeindesaal sind nach Angaben von BeobachterInnen der Frontmann einer regional bekannten rechtspopulistischen Gruppierung mit Kontakten zur rechten Szene im gesamten Bundesland, der u.a. Legida-Demonstrationen anmeldet, sowie auffällig viele weitere Personen seiner lokalen Initiative, ebenso bekannte Pegida- und AfD-AnhängerInnen. Nur wenige Anwesende können die teilnehmenden BeobachterInnen als entschiedene ‚Nicht-PegidistInnen‘ einordnen; viele Menschen sind vermutlich unentschlossen.
Die nicht stringent im Sinne einer „Thérapie Sociale“, sondern praktisch ohne Leitung angewandte dialogische Methode setzt auf einen ehrlichen Austausch von Mensch zu Mensch. Genau dieser jedoch wird verunmöglicht, wenn ein Teil der Dialogteilnehmenden rechtspopulistische AkteurInnen und neurechte Strategen sind, bereits langjährig meinungs- und stimmungsmachend unterwegs, geübt darin, die eigenen politischen Ziele auch mit unlauteren rhetorischen Mitteln, von konzertierten Wortergreifungen bis zu gezielten Falschaussagen, zu verfolgen.
Dialog? Unmöglich, wenn einige Teilnehmende rechtspopulistische AkteurInnen und neurechte Strategen sind, geübt, die eigenen Ziele auch mit unlauteren rhetorischen Mitteln, von konzertierten Wortergreifungen bis zu gezielten Falschaussagen, zu verfolgen.
Wer hier als TeilnehmerIn ohne Pegida-Hintergrund oder gar als OrganisatorIn nicht bereit ist, manch einen Dialogwillen als „nur strategisch vorgetäuscht zu beargwöhnen“, geht neurechten Strategen und Strategien hoffnungslos auf den Leim. Einen sinnvollen Dialogprozess in Gang setzen kann bestenfalls, wer ausdrücklich mit rechten Täuschungs-, Unterwanderungs- und Wortergreifungsstrategien rechnet und sich bereits vor der Veranstaltung überlegt hat, wie diesen angemessen zu begegnen ist – bzw. wie sie zur Information aller Anwesenden enttarnt werden können.
Neurechten Strategen nicht auf den Leim gehen, ihren Strategien aktiv begegnen und sie enttarnen
Wer sich gar zum Ziel setzt, im „Wolf im Schafspelz“ das tiefer verborgene „Schaf im Wolfspelz“ zu finden, kommt nicht umhin, zunächst den vorgetäuschten Schafspelz ebenso wie den Wolf zu enttarnen, die beide der offenen Gesellschaft, dem sozialen Frieden und der Demokratie durchaus gefährlich werden können. Erst dann – und dies geht, wenn überhaupt, nur in einer verbindlichen Gesprächs- und Gruppenkonstellation – wird er vielleicht auch am Wolfspelz zupfen können. Oder auch nicht, denn dies zu gewähren oder zu verwehren liegt in der Hand dessen, der den Wolfspelz trägt.
Zu einer mehr als nur gutgemeinten Dialoganleitung gehört in solchen Gesprächskontexten neben „zuhören, akzeptieren und verstehen“ unverzichtbar hinzu, problematischen Äußerungen des Gegenübers in der Sache zu widersprechen. Dies muss geschehen, um die durch Falschaussagen Verleumdeten zu schützen und um zuhörende Dritte vor Falschaussagen zu warnen. Schließlich gilt auch mit Blick auf den Gesprächskontrahenten: Wer in der Sache nicht widerspricht, nimmt sein Gegenüber als mündige Person nicht ernst.
Widerspruch: ein notwendiges Dialogelement
Wohin es führt, wenn therapeutische Gesprächsregeln unreflektiert, willkürlich und konzeptlos auf politische Versammlungen mit extrem rechten, politisch motivierten AkteurInnen angewandt werden, zeigt der Fortgang des zweiten Bürgerdialogs.
„Bei der Präsentation der Ergebnisse der Gruppengespräche resümierte ein Teilnehmer, dass in seiner Gruppe Konsens bestand hinsichtlich der Zustimmung zur rechtsstaatlichen Demokratie in der Bundesrepublik. Er erwähnte die in der Gruppe geäußerte Sorge um den Erhalt der rechtsstaatlichen Demokratie angesichts der Tatsache, dass ein bei der Versammlung Anwesender auf einer öffentlichen Facebookseite kürzlich die Meinung geäußert habe, das In-Brand-Setzen von (noch unbewohnten) Einrichtungen für Asylbewerber entspräche dem im Grundgesetz Art. 20.4 gebotenen Recht auf Widerstand. Dass dies eine gezielte Falschinterpretation des Grundgesetzes sei, fügte der Ergebnispräsentator auch hinzu. […] Zum Abschluss der Veranstaltung erklärte der evangelische Pfarrer, ihm habe die Gesprächsatmosphäre gefallen, abgesehen von einer Äußerung, die er als einen ‚Tritt vor das Schienbein‘ bewertete. Damit meinte er offensichtlich den Wortbeitrag, der sich kritisch auf die demokratiegefährdenden Ansichten eines der Anwesenden bezog.“ (aus einem Gedächtnisprotokoll)
„Tritt vor das Schienbein“
Hier hat eine Kleingruppe eine außerhalb des Bürgerdialogs gemachte Äußerung des am Dialog teilnehmenden Frontmanns einer rechtspopulistischen Gruppierung zum Gegenstand ihrer kritischen Reflexion gemacht und den Betreffenden für seine Aussage kritisiert. Dies mag gegen ein unterkomplexes harmoniebedürftiges Verständnis von „Akzeptanz des Anderen“ verstoßen; tatsächlich aber nimmt es eben diesen Anderen in seinen bewussten öffentlichen Worten und Taten so ernst, wie er ernst genommen werden muss – auch mit Blick auf die öffentliche Sicherheit. Eine kompetente „Thérapie Sociale“ müsste an genau diesem Schmerzpunkt der Rechtfertigung von Brandstiftung durch einen Anwesenden mit diesem und der gesamten Gruppe konfrontativ weiterarbeiten. Doch gewünscht war genau dies vom Pfarrer wie von den Organisatoren offenbar nicht – und mit nur einer Moderatorin und 80 Teilnehmenden ist es wohl auch kaum durchführbar.
Gefahr eines unterkomplexen, harmoniebedürftigen Verständnisses von „Akzeptanz des Anderen“
Dialoge nach Art der Thérapie Sociale erfordern eine kompetente und konsequente Durchführung nach ihren Spielregeln – was im vorgestellten Beispiel mitnichten der Fall ist. Sie erübrigen nicht eine streitbare kontroverse politische Auseinandersetzung mit menschen- und demokratiefeindlichen Positionen. Wer naiverweise ein unkritisches, auf vordergründige Befriedung angelegtes Gespräch mit rechten AktivistInnen einstielt und den KritikerInnen solcher „Brandstifter“ (Zitat Max Frisch) Nettigkeit, Zurückhaltung oder Stillschweigen abverlangt, macht sich, wie einst Biedermann, zu deren Steigbügelhalter.
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