Norbert Boehnki hat zum Schnitzmesser gegriffen, um seiner Wut über die klerikale Arroganz im wahrsten Sinn des Wortes Ausdruck zu verleihen. Doch damit nicht genug, mit dem Ergebnis der ungewöhnlichen Reaktion hat er alle Bischöfe in Deutschland konfrontiert.
Herr Boehnki, was hat Sie angetrieben drei Holzskulpturen zu schnitzen? Wussten Sie von Anfang an, welche Form Sie Ihrer Sprachlosigkeit geben und wozu Sie die Skulpturen einsetzen wollten?
Zuerst ging es mir ausschließlich darum, meinen eigenen Gefühlen freien Lauf zu lassen und sie sichtbar zu machen. Dabei habe ich mich dem japanischen Bild der drei Affen bedient. Von der ursprünglichen Bedeutung nichts sehen, hören, sagen, was nicht der Schönheit entspricht verstehen wir heute bei uns den Ausdruck eher als „alles Schlechte nicht wahrhaben wollen“. So sind die Figuren der Bischöfe entstanden. Nichts sehen – Nichts hören – Nichts sagen (oder nur so viel, wie eh nicht mehr zu leugnen ist). Erst nach der Fertigstellung und langem Betrachten kam der Gedanke auf, dieses Bild auch an alle Bischöfe zu schicken.
Sie haben Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit studiert und waren anschließend 40 Jahre im Dienst der Katholischen Kirche. Das Bild der drei geschnitzten Bischofsfiguren übertiteln Sie mit „Verrat“. Wie kommen Sie zu diesem harten Urteil? Wo bzw. durch wen fühlen Sie sich verraten?
Verrat ist für mich die Zerstörung des Vertrauens. Es ist 12 Jahre her, dass Pater Mertens den Skandal des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche ins Rollen gebracht hat. Seit dem wird vertuscht, beruft man sich auf Entschädigungszahlungen, und alle sprechen von heillosen und grausamen Verbrechen. Nur, Heil für die Betroffenen der Verbrechen, für die Opfer hat es kaum gegeben. Dafür ist das „Rumgeeiere“ bei der Aufklärung und der damit zugebrachte Zeitraum viel zu groß. Wie also soll ich Bischöfen noch Glauben schenken, wenn nach 12 Jahren bei einem Viertel der Bistümer an Aufarbeitungsuntersuchungen noch gar nicht gedacht wird, andere nur in Teilbereichen tätig geworden sind (z.B. in Schulen oder Internaten) und wiederum andere seit 2019/20 aktiv geworden sind, dafür aber immerhin 10 Jahre und länger gebraucht haben.
Für mich ist dies Verrat an den Opfern. Und es ist Verrat am Menschen und damit Verrat am Evangelium, auf das sich die Vertreter der Kirche berufen.
In meinen 40 Jahren kirchlichem Dienst habe ich viele geweihte und nichtgeweihte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennengelernt, die mit viel Energie, Kreativität und Sensibilität für Menschen und Situationen ein Stück weit die Strahlkraft des Evangeliums lebendig werden ließen und lassen. Ihnen ging und geht es um das Evangelium und nicht um Macht und Einfluss. Sie alle werden jetzt in meinen Augen verraten. Die Bischöfe haben dafür die Gesamtverantwortung. Keiner kann sich dabei einen schlanken Fuß machen und sagen: Mich geht das nichts an, in meiner Diözese gibt es bis jetzt keinen Missbrauchsverdacht, meine Mitarbeiter sind alle zufrieden. Als Bischofskonferenz tragen sie eine Gesamtverantwortung.
Gibt es Reaktionen, die Sie in die eine wie andere Richtung besonders beeindruckt haben?
Ich habe elf Reaktionen erhalten, von Bischöfen direkt oder von ihren Büros. Sie reichen von der Bestätigung des Eingangs bis zu ausführlichen Stellungnahmen. Dabei beziehen sich die meisten ausschließlich auf die Missbrauchsfälle und nur ganz vereinzelt und am Rand wird auf die systemische Fehlentwicklung eingegangen.
Bei den Antworten habe ich manchmal nicht gewusst, ob ich weinen oder lachen soll. Wenn mir ein Bischof schreibt, er sehe das Ganze als Satire und fühle sich in seiner Amtsführung und in seinem Amtsverständnis nicht angesprochen, was muss denn noch passieren, damit er sein eigenes Tun beginnt zu reflektieren? Ein anderer Bischof schreibt, ich würde Schuld zuweisen und damit erklären, dass ich kein Interesse an einem Dialog habe. Das wirft für mich die Frage auf, warum er den Vorwurf der nicht wahrgenommenen Verantwortung für sich als Schuld bezeichnet.
Aus einer Diözese wurde ich zu einer Veranstaltung in die Katholische Akademie eingeladen. Wegen Lockdown und Pandemie habe ich mich aber dagegen entschieden.
Fazit: Die Bandbreite der Reaktionen ist nicht überwältigend groß. Was mich dabei nicht überrascht hat ist, dass kein einziger Bischof in seinem Antwortschreiben von einer persönlichen Verantwortung gesprochen hat.
Wo würden Sie gerne nochmal nachhaken?
Nachhaken würde ich gerne nochmal zum ganzen Problembereich des Systems von Kirche. Die hierarchische Struktur auf allen Ebenen, von der Gemeindeebene bis hin zur Weltkirche ermöglicht intransparente, oft nicht nachvollziehbar und unreflektierbare Entscheidungen. Diese Entscheidungen werden ausschließlich von Klerikern getroffen und stehen außerhalb jeglicher Kontrolle. Einfluss von kompetenten nichtgeweihten Mitchristen ist immer abhängig von der jeweils persönlichen Haltung des Klerikers und ist nicht systemisch verankert.
Wer also soll Veränderung herbeiführen? Wer gibt schon gerne seine Machtposition preis, besonders wenn sie auch noch theologisch und kirchenrechtlich legitimiert scheint?
Lassen die Antworten hoffen und Veränderung erwarten?
Die Antworten zeigen mir in erster Linie eine große Hilflosigkeit. Dann werden populistische Scheinöffnungen wie die Aufhebung des Zölibats oder das Diakonat für Frauen in die Diskussion geworfen, wohl wissend, dass darüber nicht die Deutsche Kirche entscheidet. Die Angst vor Machtverlust und der Gehorsam gegenüber dem Vatikan sind dabei die größten Hemmschuhe. Das zeigt sich am besten an den nicht angenommen Rücktrittsangeboten der Bischöfe Marx und Heße.
Steht bei Bischöfen oder anderen Klerikern der Gehorsam über dem Gewissen? Wem gegenüber sind sie verantwortlich, ihrem Gewissen oder dem Papst?
Ich würde gerne die Hoffnung auf eine Veränderung nicht ganz verlieren – allein, mein Glaube daran ist nicht sehr groß.
Welches Fazit ziehen Sie aus der Aktion?
Ich wollte meine Sichtweise auf die momentane Situation der Kirche in einer ganz anderen Form aufzeigen. Mit so vielen Reaktionen hatte ich nicht gerechnet. Dabei muss man die Reaktionen der Bischöfe und die Reaktionen der nichtgeweihten Seelsorgerinnen und Seelsorgern voneinander unterscheiden. Von letzteren habe ich viele positive Reaktionen erhalten.
Woran schnitzen Sie gerade?
Ich mache Pause.
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Norbert Boehnki hat von 1973 – 1978 Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit studiert und anschließend 40 Jahre lang seinen Dienst in der Katholischen Kirche versehen. Das Interview führte Birgit Hoyer, Redaktion feinschwarz.net.