Vorgestern wurde in Köln eine Studie zu Soziodemographie und Motivation der Priesterkandidaten in Deutschland vorgestellt. Die Ergebnisse machen wenig Hoffnung, auch, weil der Erkenntnis schon länger kein Handeln folgt. Von Rainer Bucher.
Die „Kirche – als Bewegung wie als Organisation“ habe „gegenwärtig keinen Brückenkopf, der so schutzlos in die religiösen Umbrüche der Gegenwart hineingehalten wird, wie den Weltpriester.“[1] So hat es Matthias Sellmann schon vor Jahren formuliert – und er hat Recht. Die Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste der Deutschen Bischofskonferenz beauftragte das Bochumer Zentrum für Angewandte Pastoralforschung (zap) mit einer empirischen Erhebung zu „Herkünften und Motivationslage jetziger Priester“, auch sollten „Empfehlungen an die künftige Planung der Berufungspastoral“ entwickelt werden. Das zap hat diesen Auftrag wie gewohnt wissenschaftlich sorgfältig erfüllt und erfreulicherweise zur Kölner Präsentationstagung auch ausgesprochen kritische Positionen eingeladen. So wurde ein offener und qualifizierter Diskussionshorizont eröffnet.
Untersucht wurden „alle Priester, die von 2010 bis 2021 geweiht wurden (847), sowie alle Personen, die in diesem Zeitraum das Seminar verlassen haben (1668 Personen).“ Von letzteren haben sich freilich nur 1,2 % zurückgemeldet: zu wenige für verlässliche Aussagen. Von den Geweihten beteiligten sich auch nur 17,8 % und damit erstaunlich wenige, genug freilich, um halbwegs valide Ergebnisse zu erzielen, die von Nikita Katsuba in wohltuender Schwerpunktbildung präsentiert wurden.
Zentrale Ergebnisse
Was ergab sich? Letztlich Bekanntes und Erwartbares, etwa eine „erhebliche Milieuverengung“ hinsichtlich der Herkunft der jüngeren Priester, sie kommen vorwiegend aus konventionell orientierten oder konservativen Milieus, und erreichen, so Sellmann, „nur selten das Niveau intellektueller und führungsbewusster Milieulogiken“. Auch sei „nur eine Minderheit von ‚biographischer Offenheit‘ geprägt“, dem „Leitmuster der jüngeren und moderneren Lebenswelten“. Viele diese Priester stammen aus kinderreichen Familien ohne Migrationshintergrund und sind traditionell (gemeinde-)kirchlich sozialisiert.
Es zeigt sich auch, dass für sie vor allem die Liturgie „Faszination“ entwickelt habe und ein “deutliches Motivationspotenzial“ darstelle. Werden aber wollten die jungen Priester vor allem Seelsorger – und sie wollen die eigene Spiritualität leben. Organisationale oder gar diakonale Aspekte des Priesterberufs spielen bei den Motivationslagen dieser Priester kaum oder gar keine Rolle. Kirchenpolitisch aber gelte: Die Anliegen des Synodalen Weges haben bei ihnen mehrheitlich keinen Rückhalt, nur ca. ein Viertel trägt sie mit.
Empfehlungen
Matthias Sellmann differenzierte seine Empfehlungen, wie mit diesen Befund umzugehen sei, in drei Ebenen: solche „gemäß Ist-Stand“, „Empfehlungen zum Umsteuern des Befundes“ sowie schließlich außerhalb der eigentlichen Studie als persönlichen pastoraltheologischen Kommentar unter der Überschrift „Herausforderungen“. Die Empfehlungen gemäß Ist-Stand wurden in der Diskussion höflich übergangen, zu klar war, dass niemand, auch wohl die Studienautor:innen nicht, sie wirklich wollten, würden sie doch alle Probleme nur verschärfen.
Die Empfehlungen zum Umsteuern des Befundes, die neue Reservoirs des „Recruiting“ von Priestern (Sellmann bekannte sich ausdrücklich zu diesem Begriff) erschließen wollen, waren da schon interessanter, signalisierten sie doch, dass es so wie bisher schlicht nicht weitergehen kann. Doch wirkten sie allzu oft wenig realistisch. Der erhoffte Ausbruch aus der konservativen „Milieuscholle“ etwa lässt sich natürlich wünschen, aber unter den gegebenen Realitäten nur schwer bewerkstelligen. Oder wer mit schwarzen Fingernägeln und/oder Dreadlocks sollte je in eines der existierenden Priesterseminare eintreten?
Herausforderungen
Interessanter waren da schon Sellmanns ebenso nüchterne wie realistische „Herausforderungen“: Priester mit einer Herkunft aus wenigen, größtenteils „austrocknenden Milieus“ werden, so Sellmann, nicht nur immer weniger, sondern sie lösen die Priesterschaft auch zunehmend aus der Verankerung in der Gesellschaft. Diese Priester könnten nur sehr eingeschränkt Kirche und Postmoderne wechselseitig kreativ erschließen, ihre Zentrierung auf die eigene Spiritualität und die Liturgie ließe sie zudem „ins offene Messer der modernen Gemeindesituation“ laufen. Die Ausblendung der eigenen organisationalen Rolle führe zudem notwendig zu Überforderung in genau dieser Rolle. Und es zeige sich auch nirgendwo eine wirkliche Alternative zum sakral aufgeladenen klassischen katholischen Priesterbild.
Die Kommentator:innen sahen das ähnlich, wenn nicht noch schärfer. Christoph Jacobs, Pastoralpsychologe und Pastoralsoziologe in Padeborn und selbst Autor einer einschlägigen Studie, wies nicht nur, wie übrigens auch der Zeithistoriker Alexander Buerstedde, darauf hin, dass die Ergebnisse der zap-Studie „im Wesentlichen konsistent mit den empirischen Ergebnissen … der Priesterforschung seit den 50er Jahren“ seien, sondern verwies auch darauf, „dass diese Ergebnisse nicht zur Grundlage konsequenter Maßnahmen zur Umsteuerung genutzt worden sind“, Jacobs nannte dies völlig zu Recht „erstaunlich bis beängstigend“. Mit diesen Priestern seien zudem die unabweisbaren Transformationsprozesse der Kirche organisational kaum zu bewältigen – so sehr Jacobs ansonsten seiner pastoralpsychologischen Profession treu blieb und einen „ressourcenorientierten Ansatz“ favorisierte.
Am kritischsten: die Frauen
Am kritischsten aber, wie dankbar zu erwarten, waren die Frauen: Katharina Abeln, Diözesanratsvorsitzende des Bistums Osnabrück, forderte eindringlich, sich endlich vom traditionellen Priesterbild zu lösen, Sr. Katharina Kluitmann, geladen als Mitglied des entsprechenden Forums des Synodalen Weges, kritisierte die Studie als zu kirchenimmanent und viel zu vorsichtig und forderte weiterreichende Reformüberlegungen zur Zukunft des Priestertums, und Ute Leimgruber, die Regensburger Pastoraltheologin, sah in den Ergebnissen der Studie gar einen „backlash vom 21. ins 19. Jahrhundert“, beklagte das Fehlen der Macht- und Geschlechterperspektive im Studiendesign und arbeitete hellsichtig die subtile Wirkung von „Macht und Geschlecht“ in spezifischen Ergebnissen der Studie heraus. Das „Klerikalismusproblem“ werde, so Leimgruber, nicht angegangen, das „katholische Dispositiv“ bliebe unangetastet, zugrundeliegende klerikale Prämissen würden nicht in Frage gestellt.
Instrument zur strategischen Weiterentwicklung der „Berufungspastoral“?
Die vorliegende Studie sollte, so Sellmann einleitend, ein „Instrument zur strategischen Weiterentwicklung der Berufungspastoral“ sein. Vieles spricht dafür, dass sie es sein könnte, denn ihre Ergebnisse sind solide erarbeitet und decken sich mit den alltäglichen Erfahrungen. Ebenso vieles aber spricht dafür, dass sie es nicht sein wird, denn die Selbstfesselung der katholischen Kirche wird es verhindern. Diese Selbstfesselung spiegelt sich schon im begrenzten Untersuchungsauftrag.
Ein priesterzentrierter Blick genügt eben nicht, um die Lage der Priester zu erforschen, und dies gleich aus mehreren Gründen: organisationspsychologisch, denn Priestersein ist ein Beruf und wie jeder andere Beruf in seiner Praxiskonsistenz von den Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, Anerkennung (durch Vorgesetzte, Kolleg:innen und „Kunden“) und aufgabenadäquate Gestaltungsfreiheit abhängig; ekklesiologisch, denn Priester gibt es nicht für sich, sondern im, für und als Teil des Volkes Gottes; und pastoral, denn nicht mehr das Selbstverständnis, sondern die Fremdwahrnehmung, die Rezeption entscheiden über den Erfolg priesterlichen Handelns: Es kann sich nicht mehr mittels einer sakralen Aura wie früher vom feed-back der Gläubigen abschirmen.
Es decken sich da Befund und Untersuchungsdesign: Es geht – gut postmodern und sehr individualistisch – um die Priester, was sie motiviert und woher sie kommen. Es geht nicht um das, wozu es sie wie alles und alle in der Kirche gibt: die kreative Konfrontation von Evangelium und Existenz im Hier und Heute. Die aufgabenbezogene Konstitution von Kirche, vom II. Vatikanum bekanntlich dogmatisch und lehramtlich grundgelegt, kommt so nicht in den Frage- und Diskussionshorizont der Priesterproblematik. Das kann man nun der Studie selbst nur bedingt vorhalten, sie ist eine bischöfliche Auftragsarbeit. Aber wenn man tatsächlich die „Berufungspastoral“ strategisch weiterentwickeln will, dann muss man diese Verengung aufbrechen.
Berufung – wozu?
Aber da ist dann halt auch schon dieser arg individualistische und latent sakralisierende priesterliche Berufungsbegriff im Weg, der auf der Kölner Tagung erstaunlich unproblematisiert geblieben ist. Ohne die Frage, wozu denn eigentlich berufen wird, und zwar konkret und praktisch im Rahmen des Existenzzwecks der Kirche, wird der Berufungsbegriff tatsächlich schnell zu einer ideologieanfälligen Metapher, die aus- und verblendet, worum es geht.
Und es gilt eben auch: Welche Menschen und wie viele sich durch eine Berufsentscheidung an eine Institution binden, das ist ein Evaluationsmarker dieser Institution. Natürlich gibt es auch deshalb so wenig Priesternachwuchs in entwickelten Gesellschaften, weil diese intelligenten jungen Männern aus kinderreichen Familien heute im Gegensatz zu früher auch andere Bildungs- und Aufstiegswege bereitstellen als das Priesterseminar. Aber man kann und sollte sich im Spiegel jener, die zu einem kommen wollen – und auch bei den sog. Laientheolog:innen werden das ja markant weniger –, auch selber entdecken. Denn sie zeigen, als was man sich zeigt.
Wird sich was ändern? Es schaut nicht danach aus.
Der Historiker Buerstedde antwortete auf die Frage, wie er die Selbststeuerungsfähigkeit der katholischen Kirche in zeithistorischer Betrachtung einschätze, mit erfreulicher Deutlichkeit: Man habe in Sachen Priestertum vor einiger Zeit einige dogmatische Pflöcke eingerammt, die man nicht herauszuziehen wage, und so „wurschtele“ man sich halt seit längerem durch. Genauso ist es. Und es spricht nichts dafür, dass sich das ändern wird.
_______
[1] M. Sellmann, Weltpriester: die gegenwärtig riskierteste Großberufung der Kirche, in: Lebendige Seelsorge 61 (2010) 99–105, hier 100.
Rainer Bucher, Bonn, bis September 2022 Professor für Pastoraltheologie an der Universität Graz.