Die Eheleute Manirahinyuza arbeiten als Deutsche mit burundischen Wurzeln im Rahmen von Hilfsprojekten in der Region der Großen Seen unter anderem in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo. Dass während der Corona-Pandemie die internationale Unterstützung im Kampf gegen Aids vermindert wurde, ist dabei nur ein Problem. Ein Interview mit Wolfgang Beck.
Trigger-Warnung:
Das nachfolgende Gespräch thematisiert Gewalterfahrungen und kann für Menschen mit Gewalterfahrungen Re-Traumatisierungen auslösen.
Das Ehepaar Claire Rushatsi und Audace Manirahinyuza arbeitet nach Stationen in dieser Region seit vier Jahren für das Hilfswerk „Brot für die Welt“ der evangelischen Kirche in Deutschland. Sie berichten von ihrer Arbeit und den aktuellen Herausforderungen. Sie führen das Gespräch von Lubumbashi aus, einer Großstadt mit über 2 Millionen Einwohner:innen an der Grenze zum Nachbarland Sambia.
Wolfgang Beck: Liebe Claire, lieber Audace, ihr habt beide hier in Deutschland eure Ausbildung absolviert und arbeitet derzeit im Süd-Osten der Demokratischen Republik Kongo. Könnt ihr kurz euren Weg dorthin beschreiben?
Audace Manirahinyuza: Seit 2013 arbeite ich in der Entwicklungszusammenarbeit. Für mich war während unserer Zeit in Deutschland klar, dass ich nach der Ausbildung wieder zurück nach Afrika möchte. Ich wollte nicht nur das Leben in Hannover genießen. Ich wollte zurück nach Burundi, um dort für den Frieden und die Entwicklung zu arbeiten. Nach meinem Promotionsstudium bin ich deshalb mit der AGIAMONDO direkt nach Burundi zurückgegangen und habe dort bis 2016 als Entwicklungshelfer für das Programm „Ziviler Friedensdienst“ gearbeitet. Dort habe ich mit den örtlichen diözesanen Kommissionen für Frieden-und Gerechtigkeit der Hauptstadt Burundis (Bujumbura), von Süd-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo, von Kigali, Cyangugu und Vyumba in Rwanda zusammengearbeitet. Er als Berater in der Planung, Umusetzung, Steuerung und Evaluierung von Entwicklungsprojekten agiert. Danach haben wir einen Auftrag von „Brot für die Welt“ für die Arbeit in der Region der Großen Seen, unter anderem in der Provinz Haut- Katanga (Lubumbashi) bekommen. Katanga ist einer der reichsten Orten der Welt an Bodenschätzen wie Kobalt, Wolfram oder Kupfer, aber dort herrschen grassierende Armut, Kriege und politische Instabilität.
Claire Rushatsi: Ich habe in Deutschland die Ausbildung als Gesundheits- und Krankenschwester absolviert und wollte auch unbedingt wieder nach Burundi zurück. Aber nach meiner Ausbildung war in Burundi Krieg und ich konnte nicht zurück. Dann habe ich erstmal weiter Erfahrung in einem
psychiatrischen Krankenhaus in Oberhessen gesammelt, um damit dann irgendwann nach Burundi zurück zu können. Dann habe ich das Angebot bekommen, irgendwo in Afrika, also in einem anderen Land zu arbeiten und bin mit einem Auftrag in der Demokratischen Republik Kongo gekommen.
Wolfgang Beck: Claire, Du hast mir erzählt, dass Du in besonderer Weise mit Frauen arbeitest. Was machst Du da genau?
Claire Rushatsi: Es ist eine Arbeit mit Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Das bedeutet, dass Frauen zu uns ins Krankenhaus kommen und diese Opfer von Gewalt bekommen hier Hilfe. Jeden Tag kommen etwa 15 Frauen. Sie bekommen zunächst eine medizinische Direktversorgung und dann auch die psychologisch-soziale Betreuung.
Audace Manirahinyuza: Als Frau ist Claire da wirklich eine Schlüsselfigur, weil diese Opfer zu ihr als Frau sehr viel eher Vertrauen haben. Sie hat da als Frau eine wichtige Rolle, um auch mit ihrer Person eine aufklärend zu arbeiten, wie die Rolle einer mündigen und selbstbewussten Frau sein kann und wie es möglich, überhaupt über Sexualität zu sprechen. Als Frau selbstbewusst zu agieren und andere Frauen dabei zu unterstützen, ist neben der medizinischen Hilfe, sehr wichtig.
Wolfgang Beck: Wenn es im Kongo oder in Ruanda um sexualisierte Gewalt geht, richtet sich in eurer Arbeit dann der Blick eher auf die häusliche Gewalt im familiären Kontext oder auch auf die kriegerischen Konflikte?
Audace Manirahinyuza: In der afrikanischen Region der Großen Seen ist die Situation in den Ländern schon sehr unterschiedlich. Hier im Ost- und Südkongo gibt es schon sehr stark die Vorstellung, dass die Frau eine untergeordnete Rolle neben dem Mann einzunehmen hat, so dass Mädchen weniger häufig die Chance haben, zur Schule zu gehen. Oder sie können in den Familien keine Erbschaften annehmen, das ist in vielen traditionellen Bereichen den Söhnen vorbehalten. In Burundi und Ruanda ist das schon anders. Und natürlich werden viele Frauen in den Familien vergewaltigt, erleben Gewalt durch die Ehemänner oder Verwandte. Darüber wird nicht viel gesprochen. Und man sieht hier im Kongo, aber auch während des Krieges in Burundi und im Genozid in Ruanda, dass Frauen systematisch vergewaltigt werden, um damit die ganze Familie zu zerstören. Mit der Vergewaltigung wird die Herkunft der Kinder zerstört, die familiären Bezüge werden zerstört und damit wird eine ethnische Gruppe kaputt gemacht. Sexualisierte Gewalt ist hier also direkt eine Kriegswaffe.
Wolfgang Beck: Gibt es Ansätze für eine polizeiliche Verfolgung und für Gerichtsverfahren, um solche Verbrechen zu ahnden?
Claire Rushatsi: Hier im Kongo gibt es praktisch keine dieser Möglichkeiten, weil es ein großes Problem mit Korruption im Justizsystem gibt. Die internationalen Hilfen für den Kongo müssten eigentlich stärker auf den Aufbau eines funktionierenden Justizwesens ausgerichtet werden.
Wolfgang Beck: Welche Möglichkeiten gibt es für Frauen überhaupt, den Gewalterfahrungen im familiären Kontext zu entkommen?
Claire Rushatsi: Nein, hier im Kongo gibt es keine Art von Frauenhäusern oder anderen „safe places“. Letztlich müssen die Frauen wieder in die Familien zurückgeschickt werden. Es gibt praktisch keine Alternativen. Ein zusätzliches Problem ist, dass der gesellschaftliche Kontext hier im Kongo alle Themen rund um die Sexualität als Tabu behandelt. Es ist kaum möglich, darüber zu sprechen, schon gar nicht über sexualisierte Gewalt. Manche Frauen flüchten auch in andere Familien, aber sie können dann nicht ansprechen, was passiert ist.
Audace Manirahinyuza: Deshalb ist es so hilfreich, dass wir Angebote als kirchliche Mitarbeiter:innen machen können, quasi als externe Personen. Gegenüber den Frauen, die in kirchlichen Einrichtungen arbeiten, ist es dann eher möglich, sich öffnen und vertraulich von Geschehnissen zu berichten. Nach offiziellen Angaben gäbe es nicht einmal Gewalt gegen Frauen.
Wolfgang Beck: Bis vor zwei Jahrzehnten wurden die Länder in Zentral- und Ostafrika häufig mit der Aids-Epidemie und HIV-Infektionen in Verbindung gebracht. Mittlerweile scheint das Thema aus der öffentlichen Wahrnehmung auch wegen des medizinischen Fortschritts in den westlichen Staaten fast verschwunden. Welche Rolle spielt Aids in eurer Arbeit?
Claire Rushatsi: Alle Frauen, die zu uns in die Klink kommen, werden automatisch auch einem HIV-Test unterzogen und bekommen bei einem positiven Ergebnis kostenlose Medikamente. Diese kostenlose medizinische Versorgung, insbesondere durch die UNO bzw. die UNHCR und Unicef und verschiedene Hilfsorganisationen mit den antiviralen Medikamenten ist sehr wichtig, weil wir hier diese enorm hohen Zahlen von Aidskranken nach wie vor haben.
Audace Manirahinyuza: Diese Hilfsprogramme für die kostenlosen Medikamente sind natürlich enorm wichtig. Aber seit dem Aufkommen der Corona-Pandemie sind hier die Hilfen deutlich zurückgegangen. Deshalb sagen viele, die hier auch mit Aids zu tun haben: bitte, vergesst nicht wegen der Corona-Pandemie die Aidsproblematik. Es ist ja so, dass hier auch die meisten der an Aids erkrankten Menschen, Frauen sind, weil die Armut vor allem die Frauen und Kinder mit voller Wucht trifft. Und hier in der Region gibt es Minen, in denen Bodenschätze abgebaut werden. In dem Umfeld arbeiten viele Frauen in der Prostitution und sind Opfer von sexualisierter Gewalt. Und besonders tragisch sind diese Fälle, wo Opfer von Gewalt eben dadurch auch mit HIV infiziert worden sind.
Wolfgang Beck: Von euren Berichten zu hören und von eurer Arbeit zu erfahren, kann mir hier im europäischen Kontext direkt den Atem stocken lassen. Deshalb frage ich einmal vielleicht etwas naiv: Gibt es für Euch auch hoffnungsvolle Momente? Gibt es Dinge, die euch für die Arbeit Kraft geben?
Claire Rushatsi: Ja, klar. Es gibt zum Beispiel die Frauen, die ja auch freiwillig zu uns kommen und nach ein paar Monaten in diesen Prozessen der psychologischen Unterstützung wirklich in die Zukunft schauen können. Und es gibt Frauen – das ist vielleicht ein schönes Beispiel – die dann auch wieder zusammen im Chor singen. Das ist für mich wirklich eine riesige Freude, wenn Frauen wieder anfangen können, gemeinsam zu singen. Das ist für uns hier ganz wichtig.
Audace Manirahinyuza: Für mich ist es vor allem das Vertrauen, das Claire bei den anderen Frauen genießt. Als selbst eine Frau in einer exponierten Position, eine Akademikerin, mit ihren Erfahrungen von häuslicher Gewalt, zu Claire gekommen ist, das hat mich sehr beeindruckt. Das sind natürlich einzelne Beispiele. Aber wir arbeiten eben so ein bisschen wie Ameisen neben einem großen Elefanten. Im Deutschen gibt es die Metapher vom Tropen auf dem heißen Stein. Bei uns ist es die Ameise neben dem Elefanten. Und es ist schön, dass bei all der Armut, echt viele Menschen gibt, die engagiert sind und sich für eine Verbesserung der Situation einsetzen.
Wolfgang Beck: Gibt es etwas, was Eure Arbeit erleichtern oder unterstützen könnte? Gibt es etwas, was ihr vermisst?
Audace Manirahinyuza: Wir gelten hier als „die Deutschen“, obwohl wir ja gebürtig aus Burundi stammen. Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Arbeit hier vorher von weißen Deutschen gemacht wurde. Wir haben zwar die deutsche Staatsbürgerschaft, bewegen uns aber ein bisschen zwischen unserer Heimat Burundi, der Arbeit momentan im Kongo und der zweiten Heimat Deutschland. Es wäre schon hilfreich, dass sich ein bisschen das Bewusstsein etabliert, dass es auch Menschen wie uns gibt, die Deutschland im Ausland gut vertreten können. Es geht eben nicht um die Hautfarbe sondern um die Arbeit, die zu tun ist. Und da könnte es etwas mehr Anerkennung geben. Und das Bild, wer eigentlich Deutschland im Ausland vertritt, könnte sich vielleicht weiterentwickeln und diverser werden.
Wolfgang Beck: Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für eure weitere Arbeit!
___
Autor: Wolfgang Beck, Mitglied der feinschwarz-Redaktion, Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik an der PTH Sankt Georgen, Frankfurt/M.
Foto: Hassan Omar Wamwayi / unsplash.com