Nur wenn Theolog:innen in social media präsent sind, meint Kira Stütz, können sie auch mitreden – zumal wenn Journalist:innen fundamentalistischen Content nicht immer klug einordnen.
Mit blauen Haaren und schwarzem Shirt steht er in seinem Zimmer, im Hintergrund sind verschiedene Gitarren zu sehen. Die Kamera, auf Augenhöhe positioniert, suggeriert ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Ich, die Betrachterin, befinde mich vor dem digitalen Fenster in Rezos Studio und werde dabei als Teil der Community direkt adressiert. Es ist das für YouTube gängige Setting, das man zuhauf bei den unterschiedlichsten YouTuber:innen findet. Mal reagieren sie in ihren Videos auf lustige Reels über Katzen, mal auf TikTok-Videos über Make-Up-Fails. Doch immer wieder, vor allem bei Rezo, der mit über 1,1 Millionen Abonent:innen zu den erfolgreichsten YouTuber:innen Deutschlands gehört, werden auch ernste Themen kommentiert. So auch in diesem drei Wochen alten Video, das den Titel trägt: „TikTok sagt, warum DU in die HÖLLE kommst …“.
Mal reagieren YouTuber:innen in ihren Videos auf lustige Reels über Katzen, mal auf TikTok-Videos über Make-Up-Fails.
Die Subkulturen sozialer Medien sind allgegenwärtig, Nutzer:innen ist es – zumindest in der Theorie – durchaus klar, dass sie sich in ihren Feeds in Blasen befinden, die eigene Bubble genannt. Formate wie „unbubble“ vom zdf spielen mit dieser soziokulturellen Erscheinungsform und versuchen durch Diskussionen und Dialoge verschiedener Akteur:innen die Blasenbildung immer wieder aufzubrechen. Dies gelingt ihnen mal mehr mal weniger erfolgreich. Da es jedoch auch in diesen Formaten berechtigterweise Spielregeln gibt, werden die Extrempositionen dabei kaum abgebildet. Ihre Bühne findet meist versteckt in eigenen Blasen statt. Erst wenn man sich gezielt auf die Suche danach begibt und beispielsweise seinen TikTok Feed bewusst mit bestimmten Themen fluten lässt, indem man gewisse Schlagwörter in die Suchmaske gibt, eröffnen sich diese Welten.
… durch Diskussionen und Dialoge verschiedener Akteur:innen die Blasenbildung immer wieder aufzubrechen.
Doch auch Journalist:innen und YouTuber:innen begeben sich immer wieder in die Tiefen diverser Blasen und decken mit ihren Recherchen Missstände und Radikalisierungen auf. Nicht nur Rezo, der in seinem knapp 25-minutenlangen Video den Content fundamentlistischer Christ:innen auf TikTok präsentiert und kritisch kommentiert, begibt sich dabei in die Tiefen christlichen Fundamentalismus. Auch andere Formate beleuchten gelegentlich diese digitale christliche Sphäre.
in den Tiefen des christlichen Fundamentalismus
So ist vor einem Monat in dem zu funk gehörenden Format Y-Kollektiv ein Video erschienen, das den Titel trägt „‚Ordnet euch den Männern unter!’ Was hat Antifeminismus mit rechter Ideologie zu tun?“. In diesem Video kommen u.a. die vor allem auf Instagram aktive Sinnfluencerin Jasmin alias @liebezurbibel und die Sängerin der Outbreakband Mia Friesen alias @friesenova zu Wort. Sie stellen dar, wieso sie aufgrund ihres Glaubens und ihres Bibelverständnisses den Feminismus in seiner gegenwärtigen Ausprägung ablehnen und mit gendersensibler Sprache und Sichtweisen ein Problem haben. Eingeordnet in einen größeren Kontext christlicher Theologie wird dies dabei nicht.
Eingeordnet in einen größeren Kontext christlicher Theologie wird dies dabei nicht.
Das Video des Y-Kollektivs ist in verschiedenen Blasen auf unterschiedliche, häufig berechtigte Kritik gestoßen. „Nicht differenziert genug, zu einseitig, missverständlich“ waren u.a. die Urteile. Das Y-Kollektiv und die Reporterin Eva Müller haben deshalb ein zweites Video veröffentlicht, in dem sie auf einige Kritikpunkte reagieren. Eine Einordnung zu unterschiedlichen theologischen Strömungen oder eine Kennzeichnung der beiden Influencerinnen als Einzelmeinung gab es jedoch auch hier nicht.
„Digga, wie ist das eskaliert?“
Rezo ist in seinem Video anders vorgegangen. Er hat sich nicht an einem bestimmten Thema und einzelnen Personen abgearbeitet, sondern unterschiedlichste TikToks eingespeist und kommentiert. Die überwiegende Mehrzahl war dabei homophob*, gewaltverherrlichend oder dämonisierend. In seiner flapsigen Sprache kommentiert Rezo dabei immer wieder das Gezeigte: „Digga, wie ist das eskaliert? […] Wie Digga?“ (1:31). Gleichzeitig verdeutlicht er argumentativ, weshalb diese Form christlichen Contents einerseits höchst problematisch für die demokratische Gesellschaft und andererseits theologisch fragwürdig und schlecht begründbar ist, ohne dabei in eine allgemeine Problematisierung von Religionen oder religiösem Content zu verfallen.
verdeutlicht er argumentativ, weshalb diese Form christlichen Contents höchst problematisch und theologisch fragwürdig ist
Wenngleich man auf den näheren Blick folgende Aussage wieder relativieren kann: Wir müssen uns zunächst eingestehen, dass soziale Medien zu allererst tatsächlich insofern demokratisch sind, als sie ohne Gatekeeper:innen funktionieren und jede:r eigenen Content mit persönlichen Meinungen erstellen und posten kann. So lässt es sich nicht verhindern, dass fundamentalistische Inhalte das Christentum in einer bestimmten Art und Weise präsentieren. Dennoch sollte es uns ein Anliegen sein, dass die breite theologischer Meinungen und Strömungen auch auf Social Media einen Widerhall findet, weil nur so auch andere mediale Formate zukünftig differenzierter in ihrer Darstellung werden können. Denn längst bedienen sich Journalist:innen direkt auf Social Media und fragen häufig nicht mehr bei offiziellen Stellen an, um eine Stellungnahme zu erhalten. Und nicht immer gelingt es ihnen dabei, so wie Rezo eine eigene differenzierte Einordnung zu liefern.
sollte es uns ein Anliegen sein, dass die breite theologischer Meinungen und Strömungen auch auf Social Media einen Widerhall findet
- Es ist deshalb dringend erforderlich, dass vor allem auf TikTok noch viel mehr Theolog:innen und andere sprachfähige Christ:innen Content liefern und sich damit selbst in den Diskurs begeben. Dafür braucht es einerseits Menschen, die mit der Spielart des jeweiligen Mediums derart vertraut sind, dass ihr Content nicht wie ein Fremdkörper einer fernen Galaxie anmutet, sondern sich natürlich in das Potpourri des Mediums einfügt.
- Andererseits braucht es kirchlicherseits Strukturen, die eine solche Arbeit ermöglichen, begleiten, fördern und schützen, um die Akteur:innen beispielsweise in Falle eines Shitstorms nicht auf sich alleine gestellt zu lassen und um den Auftrag öffentlicher Bildung auch auf Social Media gerecht zu werden.
- Für die Theologie und die Kirchenleitung ist es dringend erforderlich, dass eben jene Blasen auf Social Media Beachtung finden und sie im Kontext von Forschung, Bildung und Lehre erwähnt, eingeordnet und beobachtet werden. Anderenfalls verlieren wir gänzlich den Einfluss und das Mitspracherecht christlich religiöser Rede in bestimmten Subkulturen.
Es braucht Menschen, die mit der Spielart des jeweiligen Mediums derart vertraut sind, dass ihr Content nicht wie ein Fremdkörper einer fernen Galaxie anmutet.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass es ausgerechnet dem aus einer Pfarrfamilie stammenden Rezo gelingt, differenziert zu christlichen Content auf TikTok Stellung zu nehmen und immer wieder zu erwähnen, dass es auch legitimen, harmlosen Content von Christ:innen gibt, dass dieser aber häufig in der Unterzahl ist und es viel mehr davon bräuchte. So lässt sich sein Video zwischenzeitlich gar als Predigt hören, in der Rezo entfaltet, dass die Bibel höchstens Gottes Wort in Menschen Wort darstellt und es um den liebenden und leidenden Jesus geht und nicht um Kriegs- und Kampfrhetorik. Und das von einem, der von sich selbst sagt, „nicht wirklich gläubig“ zu sein. Und so endet Rezo sein Video nach seinem dringenden Appell, nicht auf das enge, einseitige und diskriminierende Bild bestimmter TikToker:innen hereinzufallen, mit den Worten: „Gott segne euch. Bis dann.“
Kira Stütz ist Promovendin am Institut für Praktische Theologie der Universität Leipzig und arbeitet an einem Projekt zur digitalen Selbstinszenierung im Pfarramt.
Bild: Laura Chouette / unsplash.com