Die Frage, wie wir unseren Körper und Geist optimieren können ist nicht neu. Neu sind die technischen Innovationen auf diesem Gebiet. Doch dürfen wir alles tun, was wir tun sollten? Caroline Helmus geht der Frage auf die Spur.
Technik zur Optimierung des Körpers einzusetzen, kann schon fast als Allgemeingut bezeichnet werden. Exemplarisch gehören Smart-Watches zu den ‚wearable technologys‘, die solche Enhancementstrategien sozial akzeptabel machen. Smart-Watches werten den Körper aus, sammeln u. a. Informationen über Aktivitäts- und Ruhephasen und geben ‚motivierende‘ Hinweise bei Abweichungen vom Standardverhalten. Damit zielen sie auf eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Menschen ab und wirken entsprechend biopolitisch auf den Körper ein, indem sie durch ein festgelegtes Programm versprechen, den Menschen zu seinem optimalen, leistungsfähigsten Zustand zu führen.
wenn Technik unter die Haut geht
Liegt im Fall der Smart-Watch Technik vor, die außerhalb der Körpergrenze zu verorten ist, findet sich auch ein zunehmendes Begehren, Technik in den Körper zu integrieren. Nach Dierk Spreen handelt es sich hierbei um sogenannte Cyborgtechnologien, da sie in ein „‘intimes Funktionsverhältnis‘ mit dem Organismus“[1] eintreten. Wenn Technik also die materielle Grenze des Körpers überwindet und ihm wortwörtlich unter die Haut geht, würde derart eine „Erweiterung leiblicher Vorgänge im Sinne einer neuen kybernetischen Einheit aus Organischem und Technischem“[2] entstehen.
Transformation des Menschen über den Menschen hinaus
Das Begehren, biotechnologische Artefakte für eine Erweiterung des menschlichen Körpers einzusetzen, bringt keine andere Bewegung derzeit so extrem zum Ausdruck wie der Transhumanismus.[3] Er begründet dieses Begehren nach Technik damit, dass uns unsere biologische Verfassung begrenzt und hemmt. Eine technologische Erweiterung unserer Körper führe auch zu einer Steigerung unserer Fähigkeiten und Möglichkeiten und begünstige die Transformation des Menschen über das Menschsein hinaus. Technik wird so als Emanzipationsmittel verstanden, welche das Autonomiestreben der Menschen unterstützt und den Handlungsrahmen ausweitet. Die Grundlage aller heterogener transhumanistischer Positionen ist das Streben nach dem ‚Mehr‘ des bisher körperlich Möglichen. Das dahinterliegende Menschenbild, der Mensch als technisch formbares Objekt, welches unter einem Nutzenaspekt betrachtet wird und einer Steigerungs- und Optimierungslogik[4] unterliegt, ist dabei schon fast gesellschaftlicher common sense.
der Mensch als technisch formbares Objekt … common sense
Nicht nur im Bezug auf den Transhumanismus, sondern auch grundsätzlich stellt sich hierbei für die Theologie die Frage: Und was machen wir? Wie reagieren wir auf ein derartiges Menschenbild? Was bedeutet das für uns, für unsere Theologie, wenn die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt immer weiter verschwinden? Oder zugespitzt auf die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit der Technik? Denn auch wenn es gesellschaftlich zunehmend akzeptabel ist, den Körper auf die eine oder andere Art technisch aufzuwerten, sind theologischerseits nicht Grenzen gesetzt? Wie kann die Theologie die Falle des Kulturpessimismus vermeiden und eine technische Erweiterung des Körpers nicht von vornherein als menschliche Verfallserscheinung deklarieren? Welchen Topoi kann sie sich zuwenden und zu einer Haltung finden, die eine konstruktive Auseinandersetzung ermöglicht?
Und du, Theologie, was machst du?
Techniksoziologische Ansätze verdeutlichen hierbei zwei Aspekte:[5] Zum einen, dass bei der Bewertung von Technik nicht das Artefakt im Vordergrund steht, sondern der Verwendungs- und Herstellungskontext zu beachten ist. Erst durch diesen entstehen gesellschaftliche und soziale Folgen. Technik ist keine Akteurin, Technik handelt nicht. Technik wird erst durch das Subjekt konstituiert, ist selbst sozial konstruiert und kann nicht ohne ein Subjekt gedacht werden. Damit steht das Subjekt, seine Aneignung von und seine Umgangsweise mit Technik im Fokus. Setzen sich neue technologische Optionen durch, ist dies die Folge eines gesellschaftlichen Verhandlungsprozesses zwischen Akzeptanz und Ablehnung, Modifikation und Erweiterung, Interesse und Desinteresse etc. Technik ist also selbst gesellschaftlich normiert. Ist sie aber erst gesellschaftlich relevant, wirkt sie selbst normierend auf die Gesellschaft ein. Es handelt sich um eine wechselseitige Relation. So liegt aber einer möglichen Unterwerfung des Subjekts unter das Paradigma der Technik kein Automatismus zugrunde. Auch wenn das Individuum selbst nie außerhalb dieses Relationsgefüges steht, kann es sich zu Technik als etwas gesellschaftlich normiertem Wünschenwertem verhalten. Technik als instrumentelle Macht zu kritisieren, greift zu kurz. Eine derartige Kritik versteht das Verhältnis von Technik und Mensch als eines der Unterwerfung und zwar des Menschen unter die Technik. Damit wird der Mensch aber zum passiven, handlungsunfähigen Objekt degradiert. Die soziale Ambivalenz der Technik liegt daher in der Polarität von ermöglichender Freiheit und erzeugender Unfreiheit.
Technik als instrumentelle Macht zu kritisieren, greift zu kurz.
Zum anderen wird herausgestellt, dass das Begehren von technischen Körpermodifikationen in den Prozess der „Selbst(er)findung“[6] eingebunden ist. Der Emanzipations- und Individuationsschub, den das 20. Jahrhundert ermöglichte, macht vor dem Körper keinen Halt. (Technologische) Körpermodifikationen bezeugen nicht nur die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Einflussnahme, zwischen dem, was in und out ist, bezeugen damit nicht nur, dass der Körper gesellschaftlich normiert ist. Körpermodifikationen bezeugen zugleich, dass Subjekte Produzenten ihrer selbst sind, indem sie über den Körper, seine Beschaffenheit, sein Verhältnis zu gesellschaftlichen (Leit-)Bildern, Zugang zu sich finden.[7] Den eigenen Körper in seiner Gestaltungsmöglichkeit als bio-technologische Symbiose wahrzunehmen, verweist darauf, dass Technik als konstitutiver Bestandteil des Menschseins verstanden wird. Körperinszenierungen und damit auch technologische Körpermodifikationen sind Ausdruck des menschlichen Freiheitsgeschehens, sich als autonome Subjekte zu verstehen. Dies stellt keine Entgleisung des Freiheitsgeschehens dar. Das Bestreben, Technik in den Körper zu integrieren, ist nicht per se ein Ausdruck von einem individualistischen Freiheitsverständnis. Kritische Stimmen haben Recht, wenn sie auf die Gefahren für die menschliche Autonomie hinweisen. Aber auch wenn eine Kritik am funktionalisierten und mechanisierten Menschenbild zutreffend ist, würde sie in dieser Einseitigkeit zu kurz greifen. Die Autonomie des Menschen endet nicht und insbesondere nicht an seinem Körper. Zur uneingeschränkten Anerkennung des menschlichen Daseins in seiner Heterogenität muss der Autonomiegedanke auch in Bezug auf den je eigenen Körper gedacht werden. Verschreibt sich die Theologie dem Anspruch, andere Freiheit als Freiheit anzuerkennen, bezieht dies auch den je eigenen Körper und sein Gestaltungsmoment mit ein.
Die Autonomie des Menschen endet nicht und insbesondere nicht an seinem Körper.
Bezogen auf die Möglichkeit von technologischen Körpermodifikationen oder einer generellen Verhältnisbestimmung von Mensch und Technik bedeutet dies, dass die eigentliche Gretchenfrage an die Theologie damit lautet: „Wie hältst du es mit der Freiheit?“
Autorin: Dr. Caroline Helmus, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der Universität zu Köln und im DFG-Projekt „Ist „glauben“ ein universales Vermögen? Zur Möglichkeit des Glaubensvollzugs bei von Geburt an schwerster kognitiver Beeinträchtigung“ (Prof. Dr. Saskia Wendel, Universität Tübingen).
Beitragsbild: pixabay.com, https://pixabay.com/de/illustrations/fragezeichen-k%c3%bcnstliche-intelligenz-6786596/
[1] D. Spreen, Upgradekultur. Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft, Bielefeld 2015, 33.
[2] D. Spreen, Cyborgs und andere Technokörper. Ein Essay im Grenzbereich zwischen Bios und Techne (Reihe Sekundärliteratur), Passau 1998, 38f.
[3] Vgl. zur Einführung in das transhumanistische Denken N. Bostrom, The Transhumanist FAQ. A General Introduction, in: https://nickbostrom.com/views/transhumanist.pdf; zuletzt abgerufen am 24.01.2022.
[4] Vgl. K. Harrasser, Körper 2.0. Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen, Bielefeld 2013, 48.
[5] Vgl. u. a. ebd.; R. Häußling, Techniksoziologie, Baden-Baden 2014; H. Bublitz, Im Beichtstuhl der Medien – Konstitution des Subjekts im öffentlichen Bekenntnis, in: ÖZS 39 (2014) 7-21.
[6] H. Bublitz, Sehen und Gesehenwerden – Auf dem Laufsteg der Gesellschaft. Sozial- und Selbsttechnologien des Körpers, in: R. Gugutzer (Hg.), body turn. Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports (Materialitäten; 2), Bielefeld 2006, 341–361, 353.
[7] Vgl. ebd., 351.