Ein vergleichender Blick auf die Vielfalt von religiösen Organisationsformen angesichts der aktuellen Debatte um Synodalität. Von Franz Winter.
Die aktuelle Diskussion um Synodalität, die vor allem in Deutschland mit ausgesprochener Intensität geführt wird, entwickelt sich um die Frage der rechten Organisationsform für eine spezifische Religionsgemeinschaft innerhalb der christlichen Tradition. Ein vergleichender Blick in andere Religionen kann dabei eine interessante Ergänzung bieten, wobei aber die ungeheure Vielfalt der Religionen und ihrer Geschichte Hand in Hand geht mit einer ausgesprochenen Vielfalt der Organisationsformen.
Vielfalt von Organisationsformen
Grob gerastert stehen sich sehr streng konzipierte hierarchische Modelle und eher lose Organisationsformen gegenüber, die zwar auch eine Mitte haben, aber diese nicht so dezidiert festmachen. Viel hat das zumeist mit der historischen Genese der verschiedenen Traditionen zu tun, die natürlich keineswegs abgeschlossen ist. Auch der aktuelle Zustand ist nur ein Ausfluss einer historischen Entwicklung, die ihre Fortsetzungen und möglicherweise auch Transformationen finden wird.
Sehr allgemein bleibt einleitend festzustellen, dass so gut wie alle Religionen einen spezifischen Traditionsinhalt haben, der überliefert wird und an dem es sich zu orientieren gilt. Damit ist von vorne herein ausgeschlossen, dass es so etwas wie eine fundamental demokratisch konzipierte „Abstimmungsreligion“ geben kann, wo auf institutionalisierter Basis über Inhalte beliebig und von jedem Mitglied abgestimmt werden kann. Religionen haben immer etwas mit zu wahrender Tradition zu tun und die Frage, wer diese Tradition wahrt und jeweils weiterträgt und lehrt, welchen Inhalt diese Tradition ausmacht und was in ihr essentiell ist, was nicht, ist höchst unterschiedlich geregelt, bildet aber einen zentralen Aspekt der Organisationsfragen.
Ergebnis historischer Entwicklungen
Die großen Unterschiede zwischen den religiösen Traditionen sind nun schon allein bei nur oberflächlicher Auseinandersetzung mit den großen und bekannten religiösen Traditionen evident. Gesetzmäßigkeiten lassen sich hier nicht erkennen, vielmehr ist die jeweilige Struktur Ergebnis vieler unterschiedlicher Entwicklungen.
In der islamischen Tradition, obwohl vom Selbstverständnis her global und universal orientiert und noch dazu mit einer eindeutigen geographischen Mitte bedacht, hat sich beispielsweise nie eine wirklich umfassende hierarchische Struktur entwickelt. Diese kann man nur in den verschiedenen länderspezifischen Entwicklungen ausmachen, wo vielfach bis heute und auch in den diversen nationalstaatlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit mehr oder minder anerkannte „(Groß-)Mufti“ (um einen der gängigsten Titel für so geartete Ämter zu nennen) rein formal die höchste Autorität haben, aber dies primär im juristischen, shari‘a-rechtlichen Kontext, weniger in einem glaubensinhaltlichen Zusammenhang.
Die islamische Tradition
Hier könnte man am ehesten Persönlichkeiten zitieren, die eine hohe Stellung oft weit über den engeren geographischen Raum innehaben, etwa der jeweilige „Großimam“ (al-imām al-kabīr) der renommierten al-Ahzar Universität in Kairo. Der aktuell amtierende, Ahmad at-Tayyib (geb. 1946), war dann auch derjenige, den Papst Franziskus 2017 und 2019 als quasi amtliches Gegenüber getroffen hat. Vielfach sind Autoritäten in der islamischen Welt allerdings nach einem grundsätzlich charismatischen Prinzip und nicht qua Amt relevant. Bekannte Beispiele sind die Ayatollahs in der shiitischen Tradition, die sich ihre Autorität durch Lehre, Publikationen, allerdings vielfach auch durch familiäre Filiationen erwerben.
Zentralisierende Tendenzen lassen sich interessanterweise am ehesten bei jüngeren Bewegungen erkennen, die sich in den letzten Jahrhunderten entwickelten und vielfach als religiöse Antwort auf die Konfrontation mit westlichen, als neu und anders empfundenen individualisierten Organisationsformen interpretiert werden können. Die Grundidee vieler dieser Organisationen, eine Art verbindliche Version eines „reinen“ Islam für alle zu konzipieren, geht fast selbstredend Hand in Hand mit einer hierarchisierten und zentralistisch konzipierten Struktur. Diese stehen zumeist in krassem Widerspruch zu den historisch gewachsenen Formen des Islam, weshalb ein Erfolg solcher Bewegungen zu einem oft radikalen Kahlschlag gewachsener islamischer Verehrungstraditionen führt. Doch einigt dies so diverse Bewegungen wie etwa die (jüngeren) salafistischen Organisationen oder auch die vielkritisierte Muslimbruderschaft, die in den ausgehenden 1920er Jahren in Ägypten begründet wurde.
Beim Buddhismus kann ebenfalls von einer sehr umfassenden Vielfalt ausgegangen werden. Das hat wiederum mit der Genese dieser Religion zu tun, die sich über weitere geographische Räume ausbreitete und dort sehr unterschiedliche Organisationsformen entwickelte. Ganz bedeutend ist die durch die asketische Grundausrichtung des ursprünglichen Buddhismus vorgegebene Orientierung am bhikkhu, dem „Bettelmönch“, als ideale Lebensform.
Der Buddhismus
Dadurch ist ein starker Fokus auf die etwas später entstandene Organisation vergemeinschafteter Askese in Form der buddhistischen „Klöster“ (im Buddhismus generisch als vihāra, „Verweilort“, bezeichnet) gegeben und die Regelkataloge für eben dieses Klosterleben zählen zu den wichtigsten Überlieferungsgütern des frühen Buddhismus. Klöster spielen deshalb in der Geschichte des Buddhismus insbesondere im südostasiatischen Raum eine zentrale Rolle als Zentren der Gelehrsamkeit, aber auch aufgrund politischer und wirtschaftlicher Verflechtungen. Regelrecht institutionalisiert ist aber keine Hierarchie, sondern es ist vielmehr von über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen auszugehen, die zu bestimmten Autoritätszuschreibungen geführt haben.
Wie anders Organisation innerhalb des Buddhismus geartet sein kann aufgrund spezifischer länderspezifischer Entwicklungen, erweist der Blick nach Tibet, wo sich eine sehr eigentümliche buddhistische Tradition entwickelte. Zwar ist die angesprochene Klösterorientierung hier auch relevant, doch aufgrund der zum Teil engen Verwebung religiöser und weltlicher Kontexte (bzw. einer nicht wirklichen Trennung dieser beiden Bereiche) entwickelte sich beispielsweise unter spezifischen historischen und politischen Konstellationen das religiös-politische Amt des Dalai Lama, das nach dem Papstamt zweifellos bekannteste religiöse Autoritätsamt der Gegenwart. Dabei handelt es sich formal um eine Position mit spezifischen religiösen Funktionen, konkret einer Zuständigkeit als religiös-spirituelles Oberhaupt einer Schule des tibetischen Buddhismus, der Gelug-pa (wo der Dalai Lama aber nicht das jurisdiktionelle Oberhaupt ist). Aufgrund der komplexen Entstehungsgeschichte des Amtes, die mit der Anbindung Tibets an das ostasiatische Reich der Mongolen im 16. Jh. zu tun hat, wurde der Dalai Lama jedoch auch – im Laufe der Geschichte allerdings unterschiedlich stark gewichtet – zum weltlichen Oberhaupt von ganz Tibet.
Die Sonderstellung des Dalai Lama
Eindeutig nicht ist der Dalai Lama aber das, wofür ihn viele in der westlichen Wahrnehmung halten – der „Papst“ des Buddhismus. Seine Zuständigkeit endet da, wo der tibetische Buddhismus endet, und über eine reine Autoritätsstellung hinaus hat der Dalai Lama formal keine Bedeutung etwa für einen südostasiatischen oder ostasiatischen Buddhisten. In allen diesen Ländern haben sich in den verschiedenen Schulbildungen, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, jeweils eigene Organisationsformen und Leitungsämter entwickelt.
Die beiden Religionstraditionen, die hier zitiert wurden, lassen bei aller Unterschiedlichkeit etwas erkennen, was rein religionshistorisch betrachtet durchaus die Regel zu sein scheint: eine ausgesprochene Vielfalt, die viel mit der Verbreitungsgeschichte und den notwendigen Anpassungen an neue kulturelle Konstellationen zu tun hat. Hier wäre durchaus auch die Geschichte des Christentums zu zitieren, das ja ebenfalls eine sehr ausgeprägte und frühe Verbreitungsgeschichte hat, die noch dazu mit einem (im Unterschied etwa zum Islam evidenten) äußerst breiten und sehr divergenten Spektrum unterschiedlicher Interpretationen zentraler Glaubensinhalte verbunden ist (wenn man nur die früheste Geschichte betrachtet). Zentralisierende Tendenzen scheinen hier eher ein Effekt von spezifischen Entwicklungen zu sein, vielfach aufgrund bestimmter historischer und politischer Konstellationen.
Sehr hierarchische, global orientierte Strukturen, wie sie aktuell idealiter in der katholischen Kirche gegeben sind, kennt man in der Religionsgeschichte ansonsten vor allem aus der Darstellung jüngerer Religionsgemeinschaften, der sogenannten neureligiösen Bewegungen. Viele der seit dem 19. Jahrhundert entstandene Gemeinschaften haben sich allein schon aus pragmatischen Gründen eine strenge top-down Struktur beibehalten, oft orientiert am ursprünglichen, natürlich gewachsenen Aufbau um die charismatische Gründerfigur herum. Diesem Beispiel folgend ergaben sich nach Ableben des Gründers hierarchische Strukturen um ein zentrales Leitungsgremium herum, das sich wiederum in direkter und legitimierter Nachfolge sah.
Hierarchische Orgnaisationsformen als neuere Entwicklung
Ein gutes Beispiel gibt hier die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ab, die größte Entwicklung innerhalb der mormonischen Tradition, die ihr Zentrum in Salt Lake City hat. Hier steht ein „president“ an der Spitze eines sehr komplexen Systems verschiedener ihm zugeordneter Leitungsgremien, aus denen er sich auch jeweils rekrutiert. Diese unterstützen ihn auch in seiner Funktion als „prophet“, d.h. der durch ihn repräsentierten potentiellen Fortsetzung der Offenbarungen, die mit dem „Buch Mormon“ und dem Gründer Joseph Smith begonnen hat. Ähnliche Muster haben viele vergleichbare jüngere Gemeinschaften: so hat auch die japanische neureligiöse Bewegung Sōka Gakkai, die 1930 aus einer laienbuddhistischen Bewegung hervorging und von einem Reformpädagogen gegründet wurde, eine Präsidentschaft an der Spitze, der innerhalb der Gemeinschaft maximale Autorität, sowohl inhaltlich als auch jurisdiktionell zukommt.
Damit wäre durchaus die These in den Raum zu stellen, dass die aktuelle Struktur der katholischen Kirche als ein relativ junges Phänomen wahrzunehmen ist. Die eindeutigsten Parallelen ergeben sich interessanterweise zu transnational agierenden jüngeren Religionsgemeinschaften, die vielfach ähnlich konzipierte sehr hierarchische Verwaltungsapparate mit strenger top-down Ausrichtung entwickelt haben.
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DDr. Franz Winter ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Graz.
Bild: Rainer Bucher