Im Sommer 2023 wurde in Österreich eine Erhebung unter allen Diözesen über den aktuellen Stand und offene Fragen im Bereich der (pfarrlichen) Kirchenmusik gemacht. Der Leiter der Studie, Johann Pock (Wien), benennt einige zentrale Ergebnisse der Studie.
Kirchliches Leben ist wesentlich geprägt von Ritualen: dazu gehören im katholischen Raum an erster Stelle die diversen Sakramentenspendungen und die vielen Sakramentalien, die die Sakramente gewissermaßen rituell umgeben. Aber auch die unterschiedlichsten neu entstehenden Formen von Feiern und von Ritualisierungen des Lebens. Als Pastoraltheologe interessiert mich dabei die Verbindung dieser Rituale mit den diversen kirchlichen Vollzügen, vor allem mit Seelsorge.
Es gibt kaum empirische Erhebungen zur Kirchenmusik
Ein zentrales Element vieler Rituale ist Musik. Und so sind die kirchenmusikalischen Beiträge zu Gottesdiensten und Feiern nicht schmückendes Beiwerk, sondern wesentlicher Bestandteil der Feiern. Und doch gibt es zur Situation der Kirchenmusik in pfarrlichen Kontexten kaum empirische Erhebungen. Eine österreichische Studie in Kooperation von Kirchenmusiksektion und Pastoraltheologie versucht diese Lücke zu füllen.[1] Dabei ging es um statistische Fragen (Anzahl von Chören, von Organist:innen, Chorleiter:innen, Kantor:innen etc.), um Ausbildung, Finanzierung, Chorrepertoire, Verbindung zur pfarrlichen Seelsorge etc.
Die Beteiligung an der Umfrage betrug 28% der knapp 3000 Pfarren in Österreich. Ausgefüllt wurde die Umfrage jeweils von Pfarrverantwortlichen und/oder Kirchenmusikern. Im Folgenden werden einige Ergebnisse herausgegriffen, die auch über den österreichischen Kontext hinaus interessant sein könnten. Vielleicht dient das zur Anregung, weitere empirische Studien zum Bereich der Kirchenmusik in die Wege zu leiten.
Kirchenmusiker:innen sind durchschnittlich eher am Land, ehrenamtlich und Autodidakt
Die Standardfrage bei jeder Studie ist jene nach dem „Überraschenden“ daran. 3 Aspekte möchte ich hervorheben: die durchschnittlichen Kirchenmusiker:innen sind eher am Land tätig, machen dies ehrenamtlich – und haben sich ihre Kompetenzen autodidaktisch beigebracht.
Die Studie zeigt, dass es gerade in kleinen bis mittelgroßen Pfarren am Land die größte Beteiligung an der Studie und die größte Anzahl an Kirchenmusiker:innen gibt. Von den 713 Pfarren mit Kirchenmusiker:innen sind 455 am Land (kleiner als 10.000 Einwohner); 129 in einer (Groß-)Stadt mit über 100.000 EW. Und immerhin 236 Pfarren haben angegeben, dass bei ihnen mehr als 6 Personen als Kantor:in, Chorleiter:in oder Organist:in tätig sind.
Ehrenamt
Einen hohen Anteil an der Studie machen Fragen und Rückmeldungen zum Ehrenamt aus. Ohne das Ehrenamt wäre Kirchenmusik in den Pfarren nicht denkbar. So sind von den genannten 1275 Organist:innen nur 46 (3,6%) hauptberuflich tätig (was nach Auskunft der Kirchenmusiker:innen angesichts der wenigen hauptamtlichen Stellen immer noch sehr viel ist), die meisten sind ehrenamtlich (58,3%) bzw. nebenberuflich tätig.
Ähnlich sieht es bei Chorleiter:innen aus: von 699 genannten Personen sind 76,7% ehrenamtlich und nur 4,5% hauptberuflich tätig.
Es gibt eine hohe Abhängigkeit von ehrenamtlichen Musiker:innen
Ein mögliches Problem für die hohe ehrenamtliche Strukturierung der Kirchenmusik liegt in soziologischen Veränderungen. Diese bedingen ein „neues Ehrenamt“ mit weniger langfristigen Engagements.[2] Daraus entsteht die Herausforderung für viele Vereine (so auch von Chören), Mitglieder zu halten bzw. vor allem, neue Mitglieder zu gewinnen. Da die Kirchenmusik so sehr auf das Ehrenamt angewiesen ist, sind hier wohl auch die Anerkennungsstrukturen gut zu analysieren.[3]
Ausbildung – ortsnahe und Autodidakt
Eine zentrale Frage für die Auftraggeber war jene nach den unterschiedlichen Ausbildungsformen. Dabei geben 26,3% der Organist:innen die Musikschule an – dies ist in Österreich jene Ausbildungsform, die am ortsnähesten (vor allem im ländlichen Bereich) ist. Bereits an zweiter Stelle ist mit 15,7% das Lernen als Autodidakt.
Ähnliches gilt für die Chorleiter:innen, wo 22,7% Autodidaktik sind und 15,1% Absolvent:innen einer Musikschule.
Ohne eine ortsnahe mögliche Ausbildung für Kinder und Jugendliche würde somit die Ausbildung an Konservatorien und Universitäten in der Luft hängen. Gleichzeitig stellt sich das Problem, dass für mögliche Absolvent:innen von Universität, Hochschulen und Konservatorien zu wenig adäquat bezahlte Stellen zur Verfügung stünden, wie sich bei der Frage nach den vorhandenen finanziellen Ressourcen der Pfarren für Kirchenmusiker:innen zeigen wird.
Trotz hoher Wertschätzung für Musik in der Kirche haben sehr viele Pfarren kaum finanzielle Ressourcen dafür.
Das liebe Geld …
Bei der Frage nach den Finanzen wird nämlich deutlich, was schon das hohe ehrenamtliche Engagement gezeigt hat: Es gibt relativ wenige Pfarren (und diese vor allem in den Städten und Zentren), die etwas mehr Geld für Kirchenmusik zur Verfügung haben oder zur Verfügung stellen können. 20,7% der Pfarren geben an, dass kein Budget für Kirchenmusik da ist. 25% haben bis zu 1000,- Euro im Jahr zur Verfügung. Ein weiteres Viertel 1000-2500 Euro. Das bedeutet, dass in knapp der Hälfte der Pfarren weniger als 1000,- jährlich für Kirchenmusik zur Verfügung stehen.
Nur 3,1 % (13 Pfarren) haben mehr als 10.000 Euro für die Kirchenmusik budgetiert.
Pfarren ohne Musik?
Bei der Frage, ob überhaupt Kirchenmusiker:innen in den Pfarren tätig sind, überraschte die relativ hohe negative Zahl. Denn 713 Pfarren (85,8%) bejahten zwar die Frage. Aber immerhin 110 Pfarren (13,2%) gaben an, dass keine Kirchenmusiker:innen tätig wären, was angesichts der Bedeutung von Liturgie in der Pastoral negativ überrascht. Da nicht davon auszugehen ist, dass es in diesen Pfarren Gottesdienste ohne jegliche musikalische Unterstützung gibt, könnte diese sehr hohe Zahl aber auch auf das Missverständnis zurückzuführen sein, dass nur nach angestellten Personen gefragt worden sei. Dies lässt sich jedoch nicht klären.
Kirchenmusik lebt stark von den kleineren Einheiten, wie z.B. Pfarren.
Chancen von Kirchenmusik in größeren Räumen?
Eine Hypothese der Studie lag darin, dass die in den letzten Jahren neu geschaffenen größeren pastoralen Einheiten eine Chance darstellen könnten für die Besetzung von Chören oder für die Anstellungsverhältnisse von Kirchenmusiker:innen. Diese Annahme hat sich mit der Studie jedoch nicht bestätigt.
Die Studie zeigt eine sehr hohe Wertschätzung gegenüber der Kirchenmusik in den Pfarren (96,5%). Interessant ist daher die Abweichung bei den Entwicklungsräumen, wo nur gute 2/3 (69,4%) einen hohen Stellenwert angeben; immerhin 13,7% jedoch auch eine sehr geringe Bedeutung der Kirchenmusik. Eine mögliche Deutung könnte darin liegen, dass Kirchenmusik immer noch primär auf der Pfarr/gemeinde-Ebene angesiedelt ist, und nicht in den größeren Einheiten wie dem Entwicklungsraum.
Strukturelle Einbindung
Die Frage nach der Präsenz von Kirchenmusiker*innen in diversen pfarrlichen Gremien sollte erschließen helfen, wie sehr die Kirchenmusik in den pfarrlichen Strukturen eingebunden ist. Zu 40,1% sind Vertreter*innen der Kirchenmusik in Pfarrgemeinderäten, zu 33,6% im Liturgiekreis und zu 8,0% im Pfarrkirchenrat bzw. Wirtschaftsrat tätig. Zu 14,5% sind Vertreter*innen der Kirchenmusik in keinen der genannten Gremien tätig.
Insgesamt war hier die Erwartungshaltung vor allem bei den Liturgiekreisen, dass eine größere Zahl von Kirchenmusiker:innen in den pfarrlichen Gremien präsent sein würden.
Es gibt erstaunlich wenig ökumenische Kooperationen im Bereich der Kirchenmusik.
Geringe ökumenische Kooperationen
Eine relativ geringe Anzahl von Pfarren gab an, dass es im Bereich der Kirchenmusik ökumenische Kooperationen gibt. 15,7% der Pfarren arbeiten dabei mit der evangelischen Kirche, 0,9% mit der orthodoxen Kirche und 1,4% mit anderen Konfessionen in der Kirchenmusik zusammen.
Dieses Ergebnis lässt sich vermutlich vor allem auf die immer noch hohe katholische Monopolität in den ländlichen Bereichen zurückführen, die eine Kooperation nicht nötig macht.
Die Studie zeigt eine hohe Motivation von Kichenmusiker:innen
Hohe Anzahl und hohe Motivation von (Kirchen-)Chören
Ein letztes Ergebnis soll hier im Blick auf die Vielfalt der Chöre in den Pfarren genannt werden. Die an der Studie beteiligten Pfarren gaben insgesamt 1376 unterschiedliche Chöre an, die sich in ihren Pfarren finden.
Am häufigsten gibt es Kirchenchöre (37,4%), darauffolgend nicht-kirchliche Chorgemeinschaften (16,0%) und Ensembles (13,8%). Immerhin 11% geben an, einen eigenen Kinderchor zu haben. Weitere Chöre sind Begräbnischöre, Jugendchöre, Männerchöre etc.
Resümierend zeigt die Studie ein hohes ehrenamtliches Engagement im Bereich der Kirchenmusik – und ein sehr ausgefaltetes Netz an Chören und an Musiker:innen trotz der insgesamt relativ geringen finanziellen Ressourcen. Und es zeigt sich nicht zuletzt in den qualitativen Rückmeldungen die hohe Kompetenz, die sich bei den Kirchenmusiker:innen findet im Bereich von Liturgie und Seelsorge. Denn die musikalische Gestaltung von liturgischen Feiern ist jeweils geprägt von theologischen Vorentscheidungen und bringt bei jeder Feier zusätzlich zu Wort und Sakrament eine eigene Deutung des Geschehens ein.
[1] Die Studie liegt aktuell nur in einem Forschungsbericht vor. Ein Beitrag erscheint im Frühjahr in der Zf „Singende Kirche“. Zentrale Ergebnisse (vor allem auch eine Auswertung der qualitativen Daten) sollen in einem Kommentarband zeitnah veröffentlicht werden. An dieser Stelle ein herzlicher Dank an Scarlett Ianc, die mit ihrer soziologischen Kompetenz die Studie wissenschaftlich begleitet hat.
[2] Vgl. https://www.ehrenamt-verbindet.de/wpD4/wp-content/uploads/2016/11/Buchbeitrag-Strukturwandel.pdf (abgerufen 15.10.2023).
[3] Die Anerkennungsformen wurden in qualitativen Fragen ebenfalls erhoben. Sie müssen in einer größeren Auswertung jedoch erst publiziert werden.
—
Johann Pock, Wien, ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Redaktionsmitglied von feinschwarz.net
Beitragsbild: Image by Christina Zetterberg from Pixabay