In der Bibel ist an vielen Stellen davon die Rede, dass Gott zu den Menschen spricht. Das zu lesen ist eine Sache. Eine andere ist es, sich diese Stimme Gottes klanglich vorzustellen. Und eine dritte ist es, sie anderen hörbar zu machen – im gesprochenen Wort oder sogar in einer musikalischen Umsetzung. Von Elisabeth Birnbaum
Wer biblische Stoffe allgemein und Gottes Worte im Speziellen in eine musikalische Form gießen möchte, muss sich einigen Fragen stellen. Zunächst einmal der Frage, welche Worte als Gottes Wort erklingen sollen. Sind es Worte aus der Bibel oder ganz andere, frei gedichtete Texte? Welche Botschaft soll hier mit göttlicher Autorität versehen werden? Dann die Frage der musikalischen Umsetzung: Sind es satt instrumentierte dramatische Klanggewalten, die das göttliche Wort in Szene setzen, oder genügt ein nüchternes Rezitativ dafür? Und schließlich: Spricht bzw. singt Gott selbst oder werden seine Worte von anderen zitiert?
„Ich bin das Alpha und das Omega“ – Gott singt
Es gibt es zahlreiche Werke, die Gott als Einzelperson zu Wort kommen lassen. In der Frühzeit des Oratoriums im 17. Jahrhundert entfalteten sich im Wesentlichen zwei Arten von Oratorien. Das lateinische, das sich streng an den Bibeltext hielt, und das volkssprachliche oratorio volgare, das sehr frei mit dem Bibeltext umging. In beiden kam regelmäßig Gott zu Wort, im ersteren sang er ausschließlich Bibelworte, im zweiteren auch neu gedichtete Texte. Und da zeigt sich: In der Mehrheit der Fälle ist Gott männlich und väterlich, und wird mit einem Bass besetzt. Meist strahlt er Würde aus, gelegentlich treten Eigenschaften wie Strenge oder gar Zorn hinzu. Das betrifft lateinische wie italienische Oratorien und ist auch in den deutschsprachigen geistlichen Dialogen (meist zwischen Gott/Christus und der gläubigen Seele) so.
Gott als Bass findet sich wieder in bekannten Oratorien der Romantik wie im Werk von Franz Schmidt, „Das Buch mit sieben Siegeln“ (1938). Musikalisch wuchtig skandiert hier Gott Worte aus dem Buch der Offenbarung. Die Reaktion auf seine Rede könnte pompöser nicht sein: Ein vielstimmiger Chor stimmt ein ausgedehntes Halleluja an, das neben Händels Halleluja aus dem Messias wohl eindruckvollste der Musikgeschichte.
Angemessenheit?
Es war jedoch nicht immer unumstritten, ob es angemessen sei, Gott als sprechende/singende Person in ein musikalisches Werk einzuführen. Der große Reformator des Oratoriums, Apostolo Zeno (1669-1750), erachtete es als völlig unakzeptabel, dass göttliche Personen singen sollten. Seinem Beispiel folgten einige Zeit lang viele andere Musikschaffende. Von Gott wurde gesprochen, seine Worte zitierten andere, doch die direkte Rede fehlte.
„Und Gott sprach“ – Gott zitieren
Wird Gottes Wort zitiert, fällt diese Aufgabe häufig einer Erzählstimme zu. Musikalisch beschränkt sich diese Form häufig auf das Rezitativ, ohne weiter gehende dramatische Ausgestaltung. Berühmtestes Beispiel dafür ist Joseph Haydns „Schöpfung“, der den Bibeltext der Schöpfungserzählung in den Rezitativen wörtlich zitiert und in den Arien in freier Dichtung reflektierend entfaltet. Die Aufteilung der Erzählstimme auf die drei Engel Gabriel, Raffael und (den nicht biblischen) Uriel, erzeugt dabei eine gewisse musikalische Varianz. Doch treten die Engel kaum aus ihrer Erzählerrolle heraus und bleiben dramaturgisch unauffällig. Gott wird nur aus ihren Stimmen und ihren Worten hörbar.
„Spruch des Herrn“ – dramatische Wiedergabe
Größere dramatische Effekte erzielt Gottes Wort, wenn es nicht nur nacherzählt, sondern durch eine handelnde Person direkt übermittelt wird. Neben Engeln kommen dafür vor allem Propheten in Betracht. Eine der berühmtesten musikalischen Darstellungen eines Propheten ist Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy (1846). Der kämpferische Prophet aus dem Alten Testament verkündet Gottes Wort mit Vehemenz und großem persönlichen Einsatz.
Die im Oratorium verwendeten Texte dazu entstammen der Bibel, aber nicht nur dem Erzählkreis der Elija-Erzählung im 1. Buch der Könige, sondern auch anderen biblischen Büchern. Diese collageartige Zusammenstellung von Bibeltexten verstärkt die dramatische Aussage der Grunderzählung um emotionale Momente.
Eine Besonderheit findet sich in der leidenschaftlichen Arie des Elias: „Ist nicht des Herrn Wort wie ein Hammer“: Der biblische Text (Jeremia 23,29) lautet eigentlich: „Ist meinWort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?“ (Lutherbibel 2017). Im Oratorium wird aus der ersten Person eine dritte Person. Elias zitiert das Wort nicht wie sonst als Wort Gottes, sondern als Wort über Gott. Aus „mein[em] Wort“ wird „des Herrn Wort“.
„Saul, was verfolgst du mich?“ – Jesu zärtliche Stimme
In der Frühromantik gewinnen die Oratorien noch an Dramatik. Auch die Zurückhaltung der Komponisten Gottes Stimme hörbar zu machen schwindet nach und nach wieder. Das Problem einer musikalisch würdigen Ausgestaltung bleibt jedoch. Einige Kompositionen umgehen das Problem und lösen es damit zugleich: Sie besetzen Gott durch einen Chor.
Dabei entstehen oftmals musikalisch interessante Effekte. Die ansonsten nicht weiter auffällige Kantate von Bernhard Klein, „Hiob“ (1820), lässt Gott durch einen einstimmigen Männerchor mit Posaunenklang sprechen.[1]
Doch nicht immer muss es ein Männerchor sein. Felix Mendelssohn Bartholdy wählt in seinem „Paulus“ (1836) einen besonderen Zugang: Er lässt den himmlischen Jesus durch einen vierstimmigen Frauenchor wiedergeben. Die ruhigen, strahlenden Holzbläserdreiklänge lassen das Bekehrungserlebnis des Saulus zu einem friedvollen, beinahe zärtlichen Geschehen werden.
„Nun verkünde!“ – der unvorstellbare Gott
Die Vielstimmigkeit als Darstellung der Stimme Gottes erlebt einen besonderen Höhepunkt in der Oper „Moses und Aron“ (1932) von Arnold Schönberg. Die musikalische Darstellung ist äußerst eindrucksvoll und geprägt vom Begriff „unvorstellbar“, der die Oper durchzieht. Gleich zu Beginn der Oper bezeichnet Moses Gott als „einzigen, allgegenwärtigen, unsichtbaren und unvorstellbaren“ Gott. Die Berufung des Mose am Dornbusch ist dementsprechend umgesetzt: Die „Stimme aus dem Dornbusch“ wird hier nicht von einer Person gesprochen oder gesungen, auch nicht von einem Chor alleine, sondern von einem Sprechchor und sechs Solostimmen zeitgleich. Der Zusammenklang von gesungenen Frauen- und Männerstimmen einerseits, die polyphon versetzt erklingen und dem durchwegs zeitgleich skandierenden, ebenfalls gemischten Sprechchor erzeugen einen eindrücklichen Klangteppich, der dennoch Textdeutlichkeit ermöglicht. Gott spricht eindringlich, lautstark, auffordernd und fordernd. Seine Stimme lässt sich nicht festlegen auf Mann oder Frau, hoch oder tief, gesungen oder gesprochen. Im Dialog mit Mose, einer Sprechrolle, übertönt er diesen an Lautstärke und Suggestivkraft. Der Unvorstellbare wird dadurch in seiner Uneindeutigkeit und seinem Geheimnis belassen.
Wie klingt Gott? Das hängt viel mit der eigenen Vorstellung von Gott zusammen und stellt jedenfalls eine bleibende Herausforderung dar für alle, die sich damit ernsthaft auseinandersetzen.
[1]Schering, Geschichte des Oratoriums, 396.
Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.