Am Beispiel des Landesverbandes des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) zeichnet Ludger Nagel den Prozess innerhalb eines Verbandes nach, der zur Entscheidung führte, keinen Abgrenzungsbeschluss zu fassen, sondern seine grundlegenden Wertvorstellungen eindeutig zu benennen.
Das zunehmende Erstarken von Gruppierungen und Parteien, die auf dem äußersten rechten Rand angesiedelt sind, wirft die Frage auf, ob zivilgesellschaftliche und christliche Akteure gut daran tun, hierzu eine Position zu entwickeln. Die Debatte dazu gibt es schon länger; eine Reihe von Verbänden und Vereinen hat sich damit beschäftigt und sich dazu öffentlich geäußert. Exemplarisch zu nennen sind die Arbeiterwohlfahrt (AWO) oder auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd). Der innerverbandliche Diskurs zielte dabei vor allem auf die Frage, ob ein aktives Engagement in der AfD oder auch lediglich die Mitgliedschaft mit der Zugehörigkeit zum jeweiligen Verband in Einklang zu bringen ist. Im Ergebnis haben diese Verbände und viele weitere zivilgesellschaftliche Akteure einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst.
Der ADFC in Sachsen-Anhalt
Der Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) in Sachsen-Anhalt, in dessen Vorstand ich aktiv bin, hat sich ebenfalls mit der Verhältnisbestimmung zur AfD beschäftigt, die in diesem Bundesland als gesichert rechtsextrem eingestuft ist. Im Folgenden werden der Meinungsbildungsprozess und die Ergebnisse dargestellt.
Der ADFC vertritt die Interessen aktiver Radlerinnen und Radler; er bietet seinen Mitgliedern Dienstleistungen wie z. B. eine Pannenversicherung an. Viele örtliche Gliederungen führen Fahrradtouren durch. An dieser Freizeitaktivität kann man auch als Nichtmitglied teilnehmen. Ganz wesentlich aber betreibt der ADFC Lobbyarbeit für eine andere Verkehrspolitik, die es Radfahrerinnen und Radfahrern ermöglicht, dieses Verkehrsmittel sicher und komfortabel zu nutzen.
Insgesamt hat der ADFC in Deutschland ca. 240.000 Mitglieder; der Landesverband Sachsen-Anhalt zählt mit 2.000 Mitgliedern zu den kleinen Gliederungen.
Die Debatte
Die Debatte, zunächst im Vorstand und dann in der Landesdelegiertenversammlung, ob man das oben aufgeworfene Thema überhaupt, und wenn ja wie, bearbeiten sollte, war durchaus strittig. Es gab Stimmen, die mit der Aussage, „wir sind ein radpolitischer Fachverband“ eine Positionierung für nicht notwendig erachteten. Im Vorstand setzte sich aber bald die Überzeugung durch, dass der ADFC nicht außerhalb der gesellschaftlichen Debatten steht, die in Deutschland geführt werden.
Auch wenn sich der Verband als parteipolitisch unabhängig versteht, so ist er nicht indifferent gegenüber grundlegenden Werten und Regeln des Zusammenlebens in unserem demokratischen Gemeinwesen. Es setzte sich die Überzeugung durch, dass der Rechtsextremismus in Deutschland eine echte Bedrohung für die Demokratie darstellt und dass man sich als Verband dazu nicht indifferent verhalten kann.
Grundlegende Wertvorstellungen eindeutig benennen
Bei der Debatte innerhalb des Vorstandes wurde bald klar, dass zunächst nicht vorrangig ein Abgrenzungsbeschluss gefasst werden sollte. Vielmehr will der ADFC-Landesverband seine grundlegenden Wertvorstellungen eindeutig benennen, verbunden mit der deutlichen Erwartung an alle, die sich im Landesverband engagieren, diesen aktiv zuzustimmen.
Der Antrag
Und so entstand ein Antrag für die Landesdelegiertenkonferenz mit dem Titel „Menschenwürde achten und Vielfalt als Chance begreifen“. Darin werden die im Folgenden näher ausgeführten Überzeugungen benannt:
Bei den Veranstaltungen des ADFC und bei der Kommunikation im Verband hat die Diskriminierung auf Grund von Hautfarbe, Herkunft, Religion, Staatsangehörigkeit, sexueller Orientierung oder Geschlecht keinen Platz.
- Der ADFC-Landesverband achtet darauf, dass bei seinen Veranstaltungen Ausgrenzung und Hassparolen keinen Raum haben. Wenn diese geäußert werden, sind diese durch die verantwortliche Person des ADFC aktiv zurückzuweisen.
- Der ADFC sieht die Vielfalt in unserer Gesellschaft als Chance und nicht als Bedrohung und wirbt daher ausdrücklich um Mitglieder aus dem Kreis der in den letzten Jahren nach Deutschland zugewanderten Menschen.
Zusätzlich war in der Formulierung des Antrages folgender Aspekt bedeutsam:
- Der ADFC fordert eine Verkehrswende, in der das Fahrrad als Verkehrsmittel einen wichtigen Platz einnimmt. Diese notwendige Orientierung in der Mobilität ist ein wichtiger Baustein, um den Folgen der menschengemachten Klimaerwärmung zu begegnen. Eine Leugnung der Klimaerwärmung und dessen Verursachung, sowie die Ablehnung notwendiger Anpassungsmaßnahmen haben daher im Verband keinen Platz.
Dieser Antrag wurde auf der Delegiertenversammlung im Herbst 2023 nach kurzer Diskussion bei zwei Gegenstimmen verabschiedet.
Der Diskurs geht weiter
Der Beschluss soll nicht folgenlos bleiben. Deshalb endet der Text mit der Erwartung an alle Mitglieder, die für den ADFC Verantwortung in den Gliederungen übernehmen, Touren leiten oder bei Veranstaltungen für den ADFC auftreten, diese Werte zu teilen und aktiv zu vertreten.
Der Diskurs geht im ADFC weiter. Zu der großen landesweiten Demonstration in Magdeburg, die hier, wie in zahlreichen anderen Orten, nach den Correktiv-Recherchen zu dem Geheimtreffen in Potsdam stattfanden, hat der ADFC- Landesverband mit aufgerufen. Im Bundesverband läuft ein Prozess zur Erarbeitung einer Handreichung für die örtlichen Gliederungen. Diese wird eine klare Bewertung rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien vorangestellt. Sodann werden Empfehlungen zum Umgang mit den entsprechenden Parteien bei den Themen Lobbyarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Dienstleistungsangebote enthalten.
Versuch einer Einordnung
Abschließend der Versuch einer Einordnung: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“, so las ich kürzlich. Ich bin daher der Überzeugung, dass es notwendig ist, zentrale Werte unseres Grundgesetzes entschieden zu verteidigen.
Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf
Dies gilt für zivilgesellschaftliche Institutionen, für deren weitere Existenz eine demokratische Ordnung Voraussetzung ist. Dies gilt auch für die:den Einzelne:n, erst recht, wenn man sich aus einer christlichen Haltung heraus engagiert.
Womöglich ist die aktive Mitwirkung in Verbänden und Vereinen, die sich für Gerechtigkeit, Frieden oder Bewahrung der Schöpfung oder auch für ein lebenswertes Miteinander einsetzen, ohnehin die zukunftsweisende Form des christlichen Engagements.
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Ludger Nagel, Magdeburg, war bis Dezember 2021 Geschäftsführer der Katholischen Erwachsenenbildung im Land Sachsen-Anhalt und ist seit September 2022 Mitglied des ehrenamtlichen Vorstandes des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), Landesverband Sachsen-Anhalt.
Bild: ADFC Sachsen-Anhalt