Eine von den Nazis zerstörte Synagoge soll originalgetreu am selben Ort neugebaut werden. Der erinnerungskulturelle Preis der symbolischen Demonstration wäre hoch. Von Ulrich Hentschel.
In der Pogromnacht 1938 wurde die Hamburger Synagoge am Bornplatz verwüstet. Im Folgejahr wurde sie abgerissen. Die Bornplatzsynagoge war ein repräsentativer Bau. Es war in Hamburg die erste Synagoge, die freistehend errichtet wurde.
Zum 50. Jahrestag der Zerstörung der Bornplatzsynagoge wurde deren ehemalige Fläche mit einem Kunstwerk von Margrit Kahl als Erinnerungsort gestaltet. Ein Jahr später wurde die Fläche der Erinnerung an den letzten Rabbiner der Synagoge in Joseph-Carlebach–Platz umbenannt. Der Carlebach-Platz ist der einzige Ort in Hamburg, der auf sichtbare Weise an die Pogromnacht und den mit ihr vorbereiteten Zivilisationsbruch des Holocaust erinnert.
Es soll demonstrativ gezeigt werden, dass es wieder jüdische Traditionen und jüdisches Leben in Hamburg gibt.
Ein breites Bündnis setzt sich im Anschluss an die Warnzeichen eines wachsenden Antisemitismus in Deutschland für einen originalgetreuen Wiederaufbau der Synagoge am Platz der alten, von den Hamburger Nazis zerstörten Synagoge, ein. Die Beweggründe sind nicht von der Hand zu weisen. Es soll demonstrativ gezeigt werden, dass es wieder jüdische Traditionen und jüdisches Leben in Hamburg gibt.
Dass die jüdische Einheitsgemeinde eine neue Synagoge (auch die geplante Rekonstruktion wäre ein Neubau) bauen will, ist erfreulich, zeigt es doch die Hoffnung auf eine unangefochtene Zukunft in dieser Stadt. Und dass dieses Vorhaben hälftig mit je 65 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt und dem Hamburger Haushalt finanziert wird, sollte aus zwei Gründen selbstverständlich sein. Zum einen schulden die Hamburger:innen ihren jüdischen Bürger:innen nach den Zerstörungen in der Nazizeit den Neu- oder Wiederaufbau ihrer religiösen und kulturellen Zentren. Zum anderen ist die finanzielle Beteiligung am Erhalt kulturell und architektonisch bedeutsamer Gebäude eine öffentliche Aufgabe und muss staatlich abgesichert werden.
Dieses Symbol hätte einen hohen erinnerungskulturellen Preis.
Aber die Entscheidung für den Neubau ausgerechnet am Joseph-Carlebach-Platz ist problematisch. Intendiert wird offensichtlich eine symbolische Demonstration. Doch dieses Symbol hätte einen hohen erinnerungskulturellen Preis.
Die mögliche Zerstörung des Gedenkortes am Joseph-Carlebach-Platz, und nichts anderes würde seine Überbauung bedeuten, wäre ein alarmierender Rückschritt. Denn dann bliebe im Zentrum der Stadt als sichtbarer Dokumentationsort für Judenverfolgung, Shoah und Krieg nur noch das Mahnmal St.Nikolai. Das allerdings erinnert monumental und eindrücklich vor allem an die im Feuersturm getöteten Hamburger und Hamburgerinnen und die Zerstörungen großer Teile der Stadt. Soll es zukünftig für die deportierten und ermordeten Hamburger Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma und anderer von den Nazis verfolgter Gruppen nur noch die kleinen Stolpersteine geben?!
So, als ob es die Zerstörung jüdischen Lebens nicht gegeben hätte.
Mehr noch: Der Neuaufbau der großen Synagoge von 1906 am alten Platz würde das Grindelviertel wieder im alten Glanz erstrahlen lassen. Es wäre also so, als ob es die Zerstörung jüdischen Lebens nicht gegeben hätte. Alles ist so schön wie früher? Darum wird auch in den jüdischen Gemeinschaften und unter den nicht religiös verorteten jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in Hamburg über die Absichten und die Wirkung einer Rekonstruktion gestritten.
Unabhängig von der Debatte um die Bornplatzsynagoge gibt es schon seit längerem deutschlandweit heftige Kontroversen um die Rekonstruktionen bedeutender historischer Gebäude. Doch Daniel Sheffer, Initiator und Sprecher der Hamburger Initiative für die Bornplatzsynagoge hat sich hier festgelegt: „Was die Dresdner Frauenkirche für Deutschland wurde, dass kann auch die Bornplatzsynagoge für dieses Land sein. Ein Ort der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint.“ (mopo.de) .
Die Täuschung, als habe es die Nazi-Herrschaft nicht gegeben.
Diese Referenz ist bedenklich. Denn die Dresdener Frauenkirche war seit 1937 Ort faschistischer und antisemitischer „Verkündigung“, während in der Pogromnacht 1939 die nahegelegene Synagoge zerstört wurde. Die Erinnerung an diese antijüdische Bedeutung der Kirche im Zentrum Dresdens wurde mit der 2005 abgeschlossenen Rekonstruktion einfach überbaut und findet sich rudimentär nur noch im Kellergewölbe.
Diese Täuschung, als habe es die Nazi-Herrschaft nicht gegeben und man wieder an die Zeiten davor anknüpfen könnte, macht verständlich, dass die neue alte Frauenkirche nicht nur als Ort für Friedensgebete dient, sondern auch den Pegidas und anderen Nazi-affinen Gruppen als Hintergrund für ihre Aufmärsche. Was also macht die Dresdner Rekonstruktion zum Vorbild für die Hamburger Synagogen-Rekonstruktion? Warum orientiert sich die Bornplatz-Initiative nicht eher an der Entscheidung der jüdischen Gemeinde in Dresden, statt einer Rekonstruktion ihrer zerstörten Synagoge eine neue zu errichten, so wie es u.a. auch in Mainz und Konstanz entschieden wurde?
Auf ihrer Homepage macht es die Initiative selten einfach, die eigene Unterstützung für jüdische Gemeinschaften und jüdisches Leben zum Ausdruck zu bringen. Auf der Website der Kampagne genügt ein Klick bei „Drück hier für die Bornplatzsynagoge“. Einige Dutzend Politiker:innen, Unternehmer:innen, Repräsentant:innen von Sport, Kirchen und öffentlichen Einrichtungen werben für diesen Klick. Die Begründungen sind kurz und allgemein und könnten für jedes Projekt stehen, dass irgendwie mit jüdischem Leben zu tun hat.
Jüdinnen und Juden werden gebraucht für das deutsche Integrations- und Gedächtnistheater.
Zu den prominenten Unterzeichnern gehört auch der Musiker Campino, Frontmann von „Die Toten Hosen“: „Jüdisches Leben ist ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Ohne die jüdischen Gemeinden wäre Deutschland nicht komplett. Wir brauchen Euch!“ Ganz abgesehen davon, dass dieses Argument unter jede Resolution passt, die irgendwie mit jüdischem Leben zu tun hat, offenbart es ein wesentliches Motiv der gutgemeinten Unterstützung der Kampagne.
Wir (?) brauchen Euch, damit Deutschland wieder „komplett“ ist. Die jüdischen Gemeinschaften, die Jüdinnen und Juden werden gebraucht und benutzt für das deutsche Integrations- und Gedächtnistheater, wie es u.a. von dem jüdischen Dichter und Autor Max Czollek analysiert und attackiert wird (deutschlandfunkkultur.de).
Soll der Wiederaufbau der alten Synagoge am alten Platz den versöhnungsbedürftigen Hamburger:innen helfen?
Noch direkter als Campino begründet die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Filiz Demirel ihr Eintreten für die Bornplatzsynagoge: „Seit Jahrhunderten gehört das jüdische Leben untrennbar zu unserer Gesellschaft. Es ist wichtig, dass wir darüber nicht nur im Kontext von antisemitischen Anschlägen oder Vorfällen sprechen, sondern auch endlich in einem ausschließlich positiven Kontext. “ (gruene-hamburg.de)
Untrennbar seit Jahrhunderten? Die grüne Abgeordnete weiß natürlich um Auschwitz und den Versuch, das jüdische Leben vollkommen aus der deutschen Gesellschaft herauszutrennen und in ganz Europa zu vernichten. Muss sie das verdrängen, um über jüdisches Leben „endlich (!) in einem ausschließlich(!) positiven Kontext“ sprechen zu können? Schluss mit dem Schuldkomplex: soll dazu der Wiederaufbau der alten Synagoge am alten Platz den versöhnungsbedürftigen Hamburger:innen helfen?
Eine Synagoge als „moralische Elbphilharmonie“?
Um die Kritik an den Bauplänen abzuwehren, geht der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries noch einen Schritt weiter bzw. höher. Er will mit dem Neubau der alten Synagoge „so etwas wie eine moralische Elbphilharmonie“ (abendblatt.de) errichtet sehen, also einen weithin sichtbaren Leuchtturm für Hamburgs großartige moralische Leistung.
Diese und weitere Voten für die Wiederherstellung eines Zustands, als habe es die Pogromnacht nicht gegeben, nähren den Verdacht, dass für viele Unterstützer:innen mit dem handfesten Bau auch eine seelenstabilisierende „Normalität“ suggeriert werden soll.
Bundeszuschuss aus Sonderfonds zur „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie zur Stärkung des interreligiösen Dialogs“.
Mehr als fragwürdig ist nicht die Höhe, wohl aber die Quelle der Finanzierung für den Neubau. Denn die 65 Millionen Euro Bundeszuschuss für die Bornplatzsynagoge sind aus einem Sonderfonds zur „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie zur Stärkung des interreligiösen Dialogs“ bereitgestellt worden. Diese Lösung haben, wie das Hamburger Abendblatt fast nebenbei berichtete „findige Haushälter und das parteiübergreifende Netzwerk Hamburger Politiker in Berlin … gefunden und möglich gemacht.“ (abendblatt.de)
Auch Finanzminister Olaf Scholz hat dazu beigetragen.“ Wenn von 150 Millionen Euro Sondermitteln gleich 65 Millionen für den Synagogenbau festgelegt werden, fehlen diese Gelder all den Initiativen und Organisationen, die zur „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ dringend darauf angewiesen sind.
Dass die Finanzierung zu Lasten der kompetenten und schweren Arbeit antirassistischer Initiativen bislang stillschweigend akzeptiert wurde, belastet beides, den Bau einer neuen Synagoge ebenso wie den davon zu unterscheidenden Kampf gegen Antisemitismus. Aber hier könnte ein Grund dafür liegen, warum die Hamburger Kampagne für die Synagoge mit dem Slogan „Nein zu Antisemitismus“ verknüpft wird und damit die zahlreichen Kritiker:innen, die gegen Antisemitismus aktiv sind, ausgrenzt.
Der Neubau einer Synagoge, wo und wie auch immer, wird den Antisemitismus nicht reduzieren.
Antijüdische Ressentiments sind fest verankert in der sogenannten Mitte der Gesellschaft und werden zunehmend aggressiver ins öffentliche Leben eingebracht. In der AFD und ihrem publizistischen Umfeld wird der Holocaust nicht geleugnet, aber zu einer historischen Bagatelle verharmlost. Der aktuell prosperierende Verschwörungsglaube: „Hinter allem stecken fremde, uns knechtende Mächte“ entspricht der mächtigen antisemitischen Wahnvorstellung.
Eine ebenso bittere wie nüchterne Feststellung: Der Neubau einer Synagoge, wo und wie auch immer, wird den Antisemitismus nicht reduzieren und Menschen und Gruppen mit antisemitischen Einstellungen nicht zur Umkehr bewegen. Trotz des seit 1990 durch die Einbürgerung von zahlreichen jüdischen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion erstarkenden jüdischen Lebens haben die antisemitischen Einstellungen auch in Hamburg nicht abgenommen.
Schon im Oktober 2019 hatte der damalige Vorsitzende der grünen Fraktion in einer Bürgerschaftsdebatte vorgeschlagen, an prominenter Stelle in der Stadt eine neue Synagoge zu errichten. „Das wäre ein Zeichen, das viel stärker ist als der Kampf gegen Antisemitismus“ (abendblatt.de), hatte Tjarks unter starkem Beifall hinzugefügt.
Warum findet die Aufklärung über die Verantwortlichen an der Verfolgung der jüdischen Bürger:innen kaum einen sichtbaren Ort in der Stadt?
Ist das ein weiterer Grund dafür, warum die historische Aufklärung über die Verantwortlichen und Beteiligten an der Verfolgung der jüdischen Bürger kaum einen sichtbaren Ort in der Stadt findet? Weder in der City noch im Grindelviertel gibt es Hinweistafeln an Geschäften und Unternehmen, die den jüdischen Bürger:innen geraubt oder nach 1938 geplündert wurden. Im Stadthaus, der ehemaligen Hamburger Polizei- und Gestapo-Zentrale, begnügt man sich mit einer kioskgroßen Ausstellung. In welchen kleinen und großen Hamburger Unternehmen, die schon vor 1945 bestanden, findet Aufklärung über deren Nazifizierung statt?
Es ist an der Zeit, dass die eindrucksvolle Dokumentation der „Landeszentrale für politische Bildung“ über „Die Dabeigewesenen“ nicht nur virtuell, sondern auch im öffentlichen Raum präsentiert wird. Bei diesen und anderen Projekten hätten Hamburgs findige Haushalter in der Bürgerschaft die Möglichkeit, ihr „Nein zu Antisemitismus“ durch konkrete Förderungen praktisch werden zu lassen.
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Ulrich Hentschel war Studienleiter für Erinnerungskultur an der Evangelischen Akademie in Hamburg. Er schreibt regelmäßig auf seinem Blog https://linksabbieger.net/. Da findet sich auch eine ausführliche Fassung dieses Artikels mit Anmerkungen.
Bild: Bernhard Diener, Wikimedia Commons