Willkommen in der Postmoderne! So leitet Rainer Bucher seine Analyse der Abschlussansprache des Papstes zur römischen Bischofssynode ein.
Wie immer man „Postmoderne“ definieren mag, die römische Bischofssynode zeigt: Die katholische Kirche ist endgültig in ihr angekommen. Mit anderen Worten: Unausgleichbarer Widerstreit wird auch in ihr öffentlich. Natürlich gibt man das nicht gern zu und das Abschlussdokument der Synode findet bisweilen wirklich schöne Formulierungen, um damit halbwegs friedlich umgehen zu können – übrigens nicht der schlechteste Weg. Und natürlich wendet man sich ausdrücklich gegen den Relativismus, je mehr man selbst die eigenen Positionen lokal, temporär und situativ relativieren muss.
Aber wie immer: Papst Franziskus spricht aus, was der Fall ist, für römische Verhältnisse sogar ziemlich deutlich. Man habe „gesehen, dass das, was einem Bischof eines Kontinentes als normal erscheint, sich für den Bischof eines anderen Kontinents als seltsam, beinahe wie ein Skandal herausstellen kann – beinahe!“. Und „was in einer Gesellschaft als Verletzung eines Rechtes angesehen wird, kann in einer anderen eine selbstverständliche und unantastbare Vorschrift sein“. Ja: „was für einige Gewissensfreiheit ist, kann für andere nur Verwirrung bedeuten.“ Denn: „Tatsächlich sind die Kulturen untereinander sehr verschieden, und jeder allgemeine Grundsatz …. muss inkulturiert werden, wenn er beachtet und angewendet werden soll.“
…was für einige Gewissensfreiheit ist, kann für andere nur Verwirrung bedeuten.
Das ist eine schöne rhetorische und sachliche Klimax: vom massiv differenten Normalitätsempfinden einfacher Bischöfe („Skandal“), zur diametralen Differenz im juridischen System zwischen „Rechtsverletzung“ und „unantastbarer Vorschrift“, schließlich zum Gewissen zwischen Freiheit und Verwirrung. Abgesehen davon, dass man hier sehr gut erkennen kann, welcher Hierarchie der Vergewisserungen der Papst folgt, diese Steigerung deckt so ziemlich alles ab, was (katholisch) relevant ist in der Welt der Normen und Werte: das kirchliche Amt, die juristische Ordnung und das persönliche Gewissen. Und in all dem: Widerstreit.
Noch eine andere postmoderne Standardoperation findet sich in der Papstansprache: die Pluralisierung des Wirklichkeitsbegriffs. Die Synode bedeute, so Franziskus, „versucht zu haben, die Wirklichkeit“, und jetzt korrigiert der Papst den Singular, „besser noch: die Wirklichkeiten von heute mit den Augen Gottes zu sehen.“ Gegen den modernen „Logozentrismus“ ist der Papst auch, natürlich ohne es so zu nennen. Die „Erfahrung der Synode hat uns auch besser begreifen lassen“, so der Papst, „dass die wahren Verteidiger der Lehre nicht jene sind, die den Buchstaben verteidigen, sondern die, welche den Geist verteidigen; die nicht die Ideen, sondern den Menschen verteidigen; nicht die Formeln, sondern die Unentgeltlichkeit der Liebe Gottes und seiner Vergebung.“ Man brauche zwar das alles auch, „Formeln“, „Gesetze“ und „Göttliche Gebote“, aber Gott relativiert dies alles, denn er handle „einzig nach dem unbegrenzten Großmut seiner Barmherzigkeit“.
Auch die katholische Kirche ist nicht eine, sie ist viele. Natürlich hat man das seit längerem gewusst, aber jetzt hat sie es am eigenen Leib, mitten in Rom erfahren, also dort, wo man ziemlich viel tat, um es nicht bemerken zu müssen.
Auch die katholische Kirche ist nicht eine, sie ist viele.
Die moderne Utopie der einen, von Widerstreit, der Pluralität der Wirklichkeiten und dem Primat der Praxis unberührten Kirche, gerne auch mit Blick auf den Protestantismus stolz reklamiert, weicht der Erkenntnis: Auch bei uns gibt es so ziemlich alles, was es „in der Welt“ gibt, zum Beispiel unübwindbare Differenzen, auch bei uns lebt man in unterschiedlichen Wirklichkeiten, auch bei uns versuchen manche, sich in „Formeln“ zu verstecken, und auch bei uns führt das zu nichts. Und zu allem Überfluss: Auch bei uns gibt es Kardinäle, die sich gegenseitig ziemlich Schlimmes sagen und zutrauen, in den freundlichen Worten des Papstes: den Meinungsstreit „leider manchmal mit nicht gänzlich wohlwollenden Methoden“ führen. Alles wie im wirklichen Leben.
Es geht eben nicht darum, gegen die Postmoderne zu kämpfen, sondern in ihr zu bestehen. Immer deutlicher wird, wie das dieser Papst angehen will. Er weiß, dass Relativierungen nicht Relativismen bedeuten, und dass man ohne Relativierungen in einer postmodernen Welt schlicht nichts zu sagen hat, dass man die Kirche nicht mehr mit der (tridentinischen) Ekklesiologie, sondern nur noch mit dem Glauben führen kann, und, um mit Karl Rahner zu sprechen, dass der Kern dieses Glaubens die Identifikation von Gottes- und Nächstenliebe ist.
(Rainer Bucher, Graz)