Während Christ:innen in Deutschland am 31. Oktober gruselig verkleideten Kindergruppen Lutherbonbons in die Hand drücken, haben sich dänische Gemeinden zur Inkulturation des Festes entschlossen. Kirstine Helboe Johansen skizziert kirchliche Halloween-Feiern und deren theologische Grundlegung.
Mit Singen gegen den Tod kämpfen
Es ist ein dunkler und windiger Nachmittag im Spätherbst. In einem Großstadtvorort betreten Familien und Kinder das Kirchengelände, um Halloween in der Kirche zu feiern. Im Eingangsbereich werden sie von einem beeindruckenden Haufen orangefarbener Kürbisse und einem mit verwelkten Blättern bedeckten Plastikskelett begrüßt.
Die Kinder wählen einen Kürbis und werden von den drei Pfarrer:innen begrüßt. An einer langen Tafel höhlen die Kinder und Eltern die Kürbisse aus und schnitzen Gesichter. Dann werden alle Kürbisse, mit Lichtern ausgestattet, auf einen runden Tisch gestellt. Alle versammeln sich um den Tisch und singen ein paar Lieder, bevor sie zusammen sitzen und essen. Es gibt Kürbissuppe.
Als alle fertig sind, geht es weiter in den Kirchenraum zum Geschichtenerzählen. Die Vorhalle ist mit Spinnweben dekoriert und vor den Kirchenfenstern liegen große Spinnen und ein Totenkopf. Die älteren Kinder versammeln sich um eine der Pfarrer:innen, die auf den Stufen vor dem Altar sitzt. In den Kirchenbänken sitzen die jüngeren Kinder und die Erwachsenen. Der Pfarrer erzählt den Kindern eine fiktive biografische Gruselgeschichte über einen Geist auf einem Friedhof. Nach der Geschichte bittet sie die Kinder, vorzuschlagen, was sie tun sollen, wenn sie Angst haben. Sie schlagen vor, zu singen oder nach Hause zu laufen und die Pfarrerin ergänzt die Möglichkeit, das Kreuzzeichen zu machen „wie wir das in der Kirche tun“. Dann zeigt sie den Kindern, wie man das macht. Sie betont weiter, dass die Menschen in der Kirche keine Angst vor Geistern haben, und erklärt Allerheiligen.
dass die Menschen in der Kirche keine Angst vor Geistern haben
Danach geht es weiter mit einem Grusel-Spaziergang auf dem dunklen Friedhof rund um die Kirche. Das Narrativ ist, dass die Kinder lernen sollen, wie man Tod und Dunkelheit bekämpft. Sie werden in Teams eingeteilt, die drei Stationen zu bewältigen haben. An einer Station machen die Kinder eine kleine Vertrauensübung und bilden die Hände haltend einen Kreis. An der zweiten Station beten sie das Vaterunser und singen eine Strophe aus einem bekannten Choral. An der dritten Station suchen sie das Licht der Hoffnung, ein elektrisches Kerzenlicht, versteckt an einem Grab. Schließlich treffen sich alle Teams an der letzten Station und verbinden, was sie an Strategien gelernt haben, um gegen Angst und Tod zu kämpfen. Die Kinder halten sich bei den Händen, beten und singen die Liedstrophe. Eine Pfarrerin schließt mit den Worten: „Der Tod wurde von unserer Gemeinschaft und dem Singen verscheucht … und jetzt könnt ihr Süßigkeiten haben“. Jedes Kind bekommt eine Tüte Süßigkeiten und geht mit seinen Eltern und seinem Kürbis nach Hause.
Damals war jeden Tag Halloween
In einem kleineren Dorf in Jütland lädt die Ortskirche zu einem Abendgottesdienst für Familien ein. Die Menschen nähern sich der Kirche entlang von Fackeln, die den Kirchenweg erleuchten. Vor den Kirchentüren sind auf beiden Seiten Jack O’Laterns aufgestellt. Sie wurden im Laufe der Woche von Konfirmand:innen geschnitzt.
Als sich die Leute im Kirchenraum versammelt haben, begrüßt die Pfarrerin alle und sagt, dass sie es „ungeheuer nett“ („monster nice“) finde, hier zu sein. Nach einem Gebet und einem Choral tritt sie in den Chorraum und erzählt eine Geschichte. Die Geschichte handelt vom Zweiten Weltkrieg. Obwohl wir heute Halloween feiern, um uns über das Unheimliche lustig zu machen, erklärt sie, „war damals jeden Tag Halloween“, weil die Nationalsozialisten jede:n vernichteten, der:die „anders war“ – Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Behinderte und Homosexuelle. Im Zentrum ihrer Rede steht die Geschichte von vier jungen Leuten – nicht viel älter als die Konfirmand:innen –, die während des Krieges im Widerstand kämpften und gefangen genommen wurden. In der Gefangenschaft haben sie mit Gesang, dem Vaterunser und dem Kreuzzeichen versucht ihre Angst zu überwinden. Sie beschreibt auch, wie die Kirchenglocken den jungen Kämpfer:innen Selbstvertrauen gaben.
Wenn wir Angst haben, können wir immer das Kreuzzeichen machen und das Vaterunser beten.
Die Pfarrerin verbindet abschließend die Geschichte mit Halloween und erklärt, dass wir Halloween feiern und uns über das Böse lustig machen, weil wir glauben, dass das Licht der Liebe Gottes alles besiegt. Wenn wir Angst haben, können wir immer das Kreuzzeichen machen und das Vaterunser beten. Aber, fährt sie fort, wir können auch noch etwas tun: wir können unser Glaubensbekenntnis sagen, in dem wir allem Bösen absagen (in der dänischen Kirche geht diese abrenuntiatio diaboli dem Apostolikum voraus). Nachdem sie ihre Geschichte beendet hat, bittet die Pfarrerin die Gemeinde, aufzustehen und gemeinsam das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Nach einigen weiteren Liedern, Segen und Gebet endet der Gottesdienst und den Kindern wird am Ausgang Süßigkeiten angeboten.
Halloween in der Kirche feiern
Die beiden Beschreibungen zeigen, wie Halloween in kirchliche Angebote für Kinder integriert wird. Sie sind auch Beispiele für die Vielfalt der verschiedenen Halloween-Feiern. Einige sind ein fast regulärer Abendgottesdienst für Kinder, der mit den üblichen Halloween-Dekorationen und einer Geschichte über das Böse in unserer Welt auf den Anlass zugeschnitten wird. Andere organisieren eine größere Veranstaltung mit einem gemeinsamen Essen und integrieren sowohl den Kirchenraum als auch den Friedhof in ein allgemeines Halloween-Thema. Allen gemeinsam ist die Vermittlung grundlegender christlicher Praktiken: ein bekannter Choral, das Vaterunser, das Kreuzzeichen.
Vermittlung grundlegender christlicher Praktiken
Halloween ist ein komplexes kulturelles Phänomen, das weltweit gefeiert wird und aus verschiedenen Perspektiven untersucht wurde. In Dänemark hat sich Halloween schnell zu einem etablierten Herbstereignis entwickelt, das von Einzelhandelsgeschäften als gruselige Version der Karnevalstraditionen zur Fastenzeit (Februar) präsentiert wird, wobei Schulen Halloween-Partys arrangieren und Kinder die mit „Süßes oder Saures“ unterwegs sind. Um das Jahr 2000 herum haben Gemeinden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Dänemark begonnen, Halloween zu feiern, und seitdem wird es jedes Jahr in der kirchlichen Zeitung Christian Daily (Kristeligt Dagblad) breit diskutiert, mit einer leichten Tendenz zur Akzeptanz und Unterstützung dieser neuen Praxis (Nielsen und Johansen).
Wenn man die Pfarrer:innen fragt, warum sie Halloween in der Kirche feiern, unterstreichen sie die Notwendigkeit, als Kirchen mit dem Wandel der Zeit Schritt zu halten und mit sich verändernden Gemeinschaften in Kontakt zu bleiben. Ein Pfarrer antwortet mit Nachdruck: „… weil jede Kirche, die das nicht tut, einfach lahm ist. Es ist eine beliebte Party, Halloween; es wird überall zu einer enormen Sache: in der Schule, in Freizeit-Aktivitäten, zu Hause. Es ist also wirklich eine sehr beliebte Party. Und die Kirche wäre einfach so dumm, wenn sie das verpassen würde.“ Ein anderer Pfarrer sagt: „Weil Halloween getauft werden muss. Das haben wir früher schon gemacht … man kann entweder sagen, es ist vom Teufel [djævelskab] oder man kann es taufen“. Ein dritter Pfarrer weist auf die Kirchengeschichte hin: „… es ist eine stolze kirchliche Tradition, dass wir, wenn es eine lokale Party gibt, hineingehen und sie übernehmen und unsere eigenen Sachen reinstecken, um sie sozusagen zu unserem zu machen und für etwas Vernünftiges zu benutzen“.
dass Kinder Dunkelheit und Tod im Leben verstehen und bewältigen
Die Geistlichen, die sich an Halloween-Aktivitäten beteiligen, sehen Halloween als Chance für die Kirche. Es ist eine Möglichkeit, die Kirche als zugänglichen Ort darzustellen, der sich besonders mit den Themen beschäftigt, die das Leben von Familien mit Kindern erfüllen. Die Pfarrerinnen und Pfarrer wollen aber auch ausdrücklich dazu beitragen, dass Kinder Dunkelheit und Tod im Leben verstehen und bewältigen und ihnen Hoffnung und Mut geben. Sie möchten zeigen, dass sich die Kirche nicht vor den schwierigen und dunklen Themen zurückzieht, mit denen auch Kinder ringen und dass das Christentum etwas Wichtiges dafür beizutragen hat. Wie ein Pfarrer es ausdrückt: „Das Christentum sagt, dass das Gute stärker ist als das Böse“.
… arbeitet die Kirche daran, das Verständnis von Halloween zu nuancieren und zu beeinflussen.
Die Einbindung von Halloween in das kirchliche Leben hat also eine doppelte Bewegung – die Kirche lädt ein immer populäreres Volksfest und dessen Ästhetik in die Kirche ein; und gleichzeitig arbeitet die Kirche daran, das Verständnis von Halloween zu nuancieren und zu beeinflussen. Halloween ist ein „stranger“, fremd in der Kirche, überwiegend aus Notwendigkeit eingeladen. Halloween ist aber auch eine Gelegenheit für die Kirche, zu zeigen, was sie zum Verständnis und zur Bewältigung von Angst und Dunkelheit unter Kindern beizutragen hat.
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Kirstine Helboe Johansen ist Associate Professor für Praktische Theologie an der Universität Aarhus in Dänemark. Sie hat sich hauptsächlich mit rituellen Praktiken im zeitgenössischen dänischen Christentum beschäftigt, neben neueren Ritualisierungen wie Halloween auch mit traditionellen Gottesdiensten, Hochzeiten und Beerdigungen. In den letzten Jahren hat sich ihr Forschungsbereich auch in die Homiletik und Digital Humanities bewegt.
Bilder, Zitate und Beschreibungen stammen aus einem Forschungsprojekt zu Halloween Feiern in der Ev.-luth. Kirche in Dänemark.
Zum weiterlesen: Nielsen, MV & Johansen, KH 2019, Transforming churches: the lived religion of religious organizations in a contemporary context, Journal of Contemporary Religion, bind 34, nr. 3, s. 509-527. https://doi.org/10.1080/13537903.2019.1658938