Management und Pastoral können sich gegenseitig bereichern, so Daniel Kosch. Theologische Konflikte aber kann man damit nicht umgehen.
Den Begriff «Wirkungsorientierte Pastoral»[1] habe ich vor rund 15 Jahren vom damals in vielen Schweizer Kantonen aktuellen Trend zur «Wirkungsorientierten Verwaltungsführung (WOV)» abgeleitet. Aus WOV wurde WOP. Aus dem New Public Management machten andere New Church Management. Mit diesem Trend zum Kirchenmanagement hielten Begriffe wie Kundenorientierung, Leistungsvereinbarung, Indikator und Qualitätsmanagement in die pastorale Literatur Einzug.
Einerseits bestanden hohe Erwartungen an den damit verbundenen Change, anderseits war der Legitimationsbedarf erheblich. Man fragte nach der Planbarkeit von Kirche und warnte vor der Anbiederung an die Gesetze des Marktes. Kirchenmanagern wurde um die Ohren gehauen, dass der «Geist weht wo er will» (Joh 3,8) und «’Erfolg’ keiner der Namen Gottes ist» (Martin Buber). Sie revanchierten sich mit «Prüft alles und behaltet das Gute» (1Thess 5,21) oder «Lernt von den Kindern dieser Welt» (Lk 16,8).
Church-Management hat die Zentralen der Kirchenleitung erreicht
Zwischenzeitlich hat das Church-Management die Zentralen der Kirchenleitung erreicht. Die Schweizer Bischofskonferenz organisiert ihre Aktivitäten in strategischen Geschäftsfeldern und hat eine Stelle für Marketing und Kommunikation geschaffen. Deutsche Bistümer haben Management-Beratung beigezogen und mancherorts wurde kircheninterne Kompetenz aufgebaut.
Gleichzeitig werden auch in der Management-Lehre neue Akzente gesetzt. Die 4. Generation des St. Galler Management-Modells versteht «Management» als reflexive Gestaltungspraxis» und definiert es «als kollektiven Prozess, als eine vielfältige, verteilte Gestaltungspraxis, deren Wirksamkeit auf komplexen Voraussetzungen beruht und die immer auf gewachsene Organisationen und ihre Umwelten bezogen ist. … Management ist durch Ungewissheit und Unsicherheit gekennzeichnet; dabei sind Ungewissheit und Unsicherheit … zentrale Ressourcen für die Management-Praxis, die es erlauben, Organisation und Umwelt nicht nur so zu sehen, wie sie sind, sondern immer auch mit Blick darauf, wie sie sein könnten.» [2]
Es haben also Prozesse gegenseitiger Annäherung stattgefunden: Die kirchliche Praxis hat sich dem Management-Denken geöffnet – das Management-Denken ist theologisch anschlussfähiger geworden, weil es sich von technokratischen Machbarkeitsvorstellungen gelöst hat.
Management-Instrumente einsetzen reicht nicht
Im Lauf dieser Zeit haben sich auch meine Erwartungen an «Church-Management» verändert. Zwar bin ich nach wie vor überzeugt, dass die Anwendung von Verfahren und Instrumenten, welche die Managementlehre bereitstellt, für die Professionalität kirchlicher Institutionen unabdingbar ist. Und ich ärgere mich nach wie vor über diesbezügliche Defizite. Denn dabei verpuffen nebst materiellen Ressourcen auch immaterielle Güter: Lebenszeit, Glaubwürdigkeit, Phantasie, Zuversicht und Kreativität… Aber die blosse Anwendung eines Management-Modells oder bestimmter Tools, mit denen ich früher Hoffnung auf Veränderung verband, reicht nicht.
Ein nach wie vor brauchbares Konzept
Trotzdem halte ich das Konzept der «Wirkungsorientierten Pastoral» nach wie vor für brauchbar – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer theologischen Relektüre des Begriffs.
Wirkung
Eine Pastoral, die auf «Wirkung» aus ist, kann nicht anders, als Menschen, Gemeinschaften und Strukturen, auf die sie sich bezieht, von Anfang an in Betracht zu ziehen. Sie will Prozesse der Veränderung in Gang setzen. Sie ist sich bewusst, dass sie ihr Ziel nur erreichen kann, wenn sie berücksichtigt, dass ihre Botschaft, ihr Handeln ankommen und angenommen werden müssen.
Das unterscheidet Wirkungsorientierung von blosser Produkte- oder Leistungsorientierung. Wer z.B. Bibel-Verbreitung produktorientiert denkt, bemisst seinen Erfolg daran wie viele Bibeln er produziert hat. Wer leistungsorientiert denkt, fragt nach der Zahl der verkauften Bibeln. Wer jedoch wirkungsorientiert denkt, interessiert sich dafür, wie es gelingt, Menschen auf biblische Texte neugierig zu machen, sich die Bibel als «Buch des (eigenen) Lebens» anzueignen, auf ihrer Basis zu handeln und mit ihr zu beten. So verstandenes Kirchenmanagement versucht nicht, die Dinge «in den Griff zu bekommen», sondern trägt dem Unverfügbaren Rechnung.
Orientierung
Im Begriff Orientierung steckt die Vorstellung des nach Osten, zum Aufgang der Sonne hin ausgerichteten Kirchenbaus. Die darin betende Gemeinde richtet sich auf die «Sonne der Gerechtigkeit», den vom Aufgang der Sonne her wiederkommenden Christus aus. Eine in ihrer Wirkung «orientierte» Pastoral strebt also nicht nach dem blossen Effekt und erfolgreichem Zielgruppen-Management. Vielmehr geht es um eine Pastoral, die hilft, sich auf Mitte und Ziel des Evangeliums auszurichten.
Pastoral
Mit «Pastoral» ist Metapher von «Hirt und Herde» verbunden, die wegen des Gefälles zwischen überlegenem Hirten und dummen Schafen verdächtig ist. Aber man sollte einen zentralen Aspekt dieser Bildsprache nicht übersehen. Für die Hirten beinhaltet sie den Auftrag, ihr Handeln auf das Wohl, die Sicherheit und das gute Leben der anvertrauten Herde auszurichten. Den Schafen, nicht den Hirten, soll das Gras auf der Weide schmecken. Sie sollen vor Gefahren geschützt werden. Die Hirten sollen «den Geruch der Schafe haben», nicht umgekehrt.
Zudem hat der Begriff «Pastoral» durch das Zweite Vatikanische Konzil eine wichtige inhaltliche Schärfung erhalten. Es versteht darunter die Gestaltung des Verhältnisses der Kirche zur Welt und zu den Menschen von heute.[3] An dieser Definition ist beides wichtig: Subjekt und Objekt. Subjekt und damit Akteurin der Pastoral ist «die Kirche», das ganze Volk Gottes und nicht etwa nur die Amtsträger oder die vollamtlichen Seelsorgenden. Und Objekt der Pastoral sind «die Welt und die Menschen von heute» und nicht nur die «Schäfchen» oder «Mitglieder der Kirche». Der Pastoralbegriff von Gaudium et spes bezieht sich also primär nicht auf das kirchliche «Binnenverhältnis» von «Hirten und Herde», sondern auf das «Aussenverhältnis» der Kirche zur Welt und den Menschen von heute.
Zusammenfassend: Eine «wirkungsorientierte Pastoral» befasst sich mit der Frage, wie die Kirche einen wirksamen Beitrag dazu leisten kann, dass die Welt und die Menschen von heute sich an Jesus Christus orientieren, von dem sie glaubt, dass er unser Friede ist (Eph 2,14), Gerechtigkeit schafft (Röm 3,21ff), uns versöhnt (2Kor 5,18f.), befreit Gal 5,1) und rettet (Lk 2,11). Wirkungsorientierter Pastoral geht es um nichts weniger als darum, das gesamte Wirken der Kirche darauf auszurichten, dass die Welt und die Menschen von heute «das Leben haben und es in Fülle haben» (Joh 10,10).
Konsequenzen für die Praxis des Kirchen-Managements
Wer sich mit kirchlichen Sprachspielen auskennt, ist wohl längst hellhörig geworden und fragt: Was heisst das konkret? Droht nach dem biblisch-theologischen Höhenflug nun der Absturz in banale Handlungsmaximen?
In der Tat: Konkret muss sich jede Strategie im alltäglichen Mikro-Management bewähren. Auch der Aufstieg auf den Himalaya besteht aus einzelnen kleinen und manchmal schweren Schritten. Aber zwischen Vision und täglicher Praxis gibt es eine «mittlere Flughöhe», auf der sich einige Konsequenzen formulieren lassen:
1. Die Hauptschwierigkeiten sind nicht organisatorischer Art
Die an kirchlichen Stammtischen gelegentlich geäusserte Meinung, «man müsste den Laden nur richtig organisieren, dann würde er viel besser funktionieren», teile ich nicht. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, dass wir uns in organisatorischen Optimierungsprozessen erschöpfen. Diese richten den Blick nach innen und verschieben die erwartete Steigerung von Effizienz und Effektivität auf die ferne Zukunft, wenn dann einmal alles reorganisiert ist.
2. Der Frage nach Gott Priorität einräumen
Eine Organisation, die auf Wirkung aus ist, braucht Klarheit darüber, was für sie zentral ist. Das Marketing spricht vom Markenkern. Deshalb hat die Arbeit an der Frage nach Gott in ihrer unauflöslichen Verbundenheit mit der Frage nach Welt und Menschen hohe Priorität. Mir kommt der kirchliche Betrieb manchmal vor wie ein Gourmet-Restaurant, das zwar in eine tolle Webseite, ein schönes Lokal und in ein angenehmes Ambiente investiert, aber statt erlesener Speisen und kreativer Menus mehrheitlich Convenience-Food aus Halbfertigprodukten serviert. Unvergessliche kulinarische Erlebnisse schafft man so nicht – dabei soll das Wort Gottes «süsser als Honig» (Ps 119,103) schmecken.
3. Mit Vielfalt wertschätzend umgehen
Wäre der Erfolg einer wirkungsorientierten Pastoral wie oft gefordert von einem geschärften Profil, einer Strategie und einem geschlossenen Auftreten abhängig, stünde deren Scheitern bereits fest, denn Pluralität von Kontexten, Theologien und Frömmigkeitsstilen war immer schon ein Wesensmerkmal von Kirche.
Allerdings kann der Pluralismus nur unter einer Voraussetzung erfolgreich sein. Papst Franziskus formuliert sie drastisch so: «Nein zum Krieg unter uns»[4]. Statt abzuwerten, zu kritisieren und zu verurteilen, muss der erste Reflex auf Befremdendes die Frage sein: Was kann ich von der fremden, vielleicht defizitär erscheinenden pastoralen Praxis oder Sichtweise lernen? Diese Perspektive auf Differenz kann Konflikte nicht vermeiden. Aber sie transformiert Energie, die in destruktive Flügelkämpfe fliesst, in Kräfte zum Aufbau einer gerade dank ihrer farbigen Vielfalt glaubwürdigen und wirksamen Kirche.
Mehr Kirchenmanagement heisst nicht weniger Theologie
Eine wirkungsorientierte Pastoral kommt nicht umhin, sich Grundsatzfragen zu stellen. Die damit verbundenen theologischen und kirchenpoltitischen Auseinandersetzungen mit Hilfe von Management-Instrumenten oder Strukturprozessen zu umschiffen oder zu überspringen, ist auf Dauer nicht möglich.
[1] Vgl. Kosch, D., Wirkungsorientierte Pastoral, in: SKZ 171 (2003) 840-846.851-852.
[2] Vgl. Rüegg-Stürm, J. / Grand, S., Das St. Galler Management-Modell. 4. Generation – Einführung, Bern 2014, Zitat: 27.
[3] Vgl. die Anmerkung zur Überschrift der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes.
[4] Vgl. Franziskus, Evangelii gaudium Nr. 98-101.
Daniel Kosch ist promovierter Theologe im Fachbereich Neues Testament. Von 1992 bis 2001 leitete er die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich. Seitdem wirkt er als Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz.
Photo: S. Hofschlaeger; pixelio.de