Am Theologisch-Pastoralen Institut in Mainz wird Kompetenzorientierung großgeschrieben. Das erfordert ein Umdenken und verändert Lernen und Lehren, finden Luisa Fischer, Regina Heyder und Christoph Rüdesheim.
Wissen ist noch keine Kompetenz, und Fortbildung ist keine Wissensvermittlung. Wenn wir, das Dozent*innenteam des Theologisch-Pastoralen Instituts, unsere beliefs zur Fortbildung für pastorale Mitarbeiter*innen zusammentragen, dann steht dieser provozierende, vom Erwachsenenbildner Rolf Arnold geprägte Satz an erster Stelle.[1] In der Fortbildung geht es darum, die Möglichkeiten der Teilnehmenden zu erweitern, die immer selbstbestimmte und mündige Subjekte ihres Lernens sind. Fortbildner*innen haben entsprechend die Rolle von Lernbegleitungen, sie sind Ermöglichungsspezialist*innen und eröffnen Räume der reflexiven Beobachtung, der Beratung und des Feedbacks.
Nichts ist praktischer als gute Theorie
Und selbstverständlich übernimmt das Wissen dann doch eine wichtige Rolle, denn – auch davon sind wir überzeugt – nichts ist praktischer als eine gute Theorie. Theorien, beispielsweise aus der (Organisations-)Soziologie, der Systemtheorie, den Postcolonial Studies und ebenso der Theologie, prägen die Weise, wie wir unsere Wirklichkeit wahrnehmen, deuten und Handlungspotenziale identifizieren.
Die TPI-Lerngeschichte
Fortbildung ist nicht nur dem Wirklichkeitssinn, sondern gleichermaßen auch dem Möglichkeitssinn verpflichtet, denn sie greift Entwicklungen in Bistümern und Gesellschaft auf: Einerseits binden Kirchenentwicklungsprozesse Energien und Personen, andererseits werden die pastoralen Berufsgruppen immer schneller immer kleiner. In zehn Jahren, vielleicht sogar noch früher, werden nur noch halb so viele Mitarbeitende in der Pastoral tätig sein wie heute. Abbrüche gibt es gleichzeitig bei den Menschen, die sich den Kirchen verbunden fühlen. In Deutschland können nach der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung noch 13 Prozent der Gesamtbevölkerung dem „Kirchlich-Religiösen Orientierungstyp“ zugeordnet werden. Dramatisch ist eine weitere Zahl: Für 73 Prozent aller Katholik*innen ist ein Kirchenaustritt denkbar.[3]
Abschied von Vertrautem
Dies alles erfordert den Abschied von vertrauten Berufsrollen und Aufgabenfeldern und den Aufbruch zu neuen Formen von Pastoral – oft gegen Widerstände vor Ort, verbunden mit einer berechtigten Trauer und im Wissen, dass es nie wieder so schön wird, wie es niemals war. Die kirchliche korrespondiert mit der gesellschaftlichen Realität: Wir leben global und lokal in disruptiven Zeiten und steuern ökologisch auf Kipppunkte zu.
Kompetenzbereiche theologisch-pastoraler Fortbildung. Ein Modell
Diese exemplarisch genannten Wahrnehmungen, die um viele Beobachtungen ergänzt werden könnten, waren und sind für uns als Fortbildungsinstitut ein guter Grund, die Kompetenzorientierung in unseren Fortbildungen zu stärken. Kompetenzorientierung verstehen wir grundlegend als Sich-zurecht-Finden in neuen und unüberschaubaren Situationen, als Handlungsfähig-Werden und -Bleiben angesichts von Fragestellungen, die mit den Lösungsmöglichkeiten von gestern nicht mehr handzuhaben sind. Wachsamkeit im Hinblick auf Veränderungen und Ressourcen, Wertschätzung und Wirksamkeit werden zu entscheidenden Eckpunkten eines solchen Verständnisses von Bildung im Prozess.
Neue und unüberschaubare Situationen
Kompetenzorientierung muss konkret werden und sowohl den Bedürfnissen der Mitarbeitenden wie auch den Bedarfen der Organisation entsprechen. Wichtige Anregungen haben wir empfangen durch das in der Schweiz entwickelte Kompetenzstrukturmodell für evangelisch-reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer, das dort seit 2013 verwendet wird, und den Austausch mit Thomas Schaufelberger als dem wesentlichen Urheber dieses Modells.[4] Vor diesem Hintergrund haben wir konkret und exemplarisch einige jener neuen und unüberschaubaren Situationen identifiziert, in denen sich pastorale Mitarbeitende wiederfinden und sie verbunden mit der Frage, welche Kompetenzen in diesen Situationen die Handlungsfähigkeit vergrößern. In einem Prozess der Verdichtung haben sich schließlich vier Kompetenzbereiche herauskristallisiert, denen sich entsprechend einzelne Kompetenzen zuordnen lassen[5].
- Kompetenzbereich: Wissen generieren, reflektieren und nutzen
Da Wissen an sich (noch) keine Kompetenz ist, zeigt sich die Kompetenz vielmehr darin, Wissen (neu) generieren, reflektieren und nutzen zu können. Diesem Bereich ordnen wir beispielsweise den seit einiger Zeit verstärkt geäußerten Bedarf pastoraler Mitarbeitenden nach theologischer Selbstvergewisserung zu, der auch mit der Kompetenz theologischer Sprachfähigkeit verbunden ist.
- Kompetenzbereich: Gewissheit hinterfragen, neu denken
Neu und unüberschaubar sind Situationen vor allem dann, wenn sie Gewissheit(en) erschüttern. Zentrale Relevanz gewinnt dadurch die Kompetenz, Gewissheit hinterfragen und neu denken zu können. Pastorale Mitarbeitende sind in diesem Bereich derzeit besonders durch die laufenden Veränderungsprozesse der Bistümer herausgefordert, die auch eine Veränderung der eigenen Berufs-Rolle mit sich bringen.
- Kompetenzbereich: Mit eigenen und den Emotionen Anderer umgehen
Emotionen spielen für die eigene Handlungsfähigkeit eine entscheidende Rolle. Mit den eigenen und den Emotionen Anderer muss umgegangen werden. Dass es derzeit unter pastoralen Mitarbeiter*innen enorme Enttäuschungen und Frustrationen gibt, Ohnmachtserfahrungen und Erschöpfungsanzeichen, die auch in einem hohen Krankenstand resultieren, stellt uns in diesem Bereich vor enorme Herausforderungen.
- Kompetenzbereich: Mit Anderen Beziehungen ermöglichen und gestalten
Pastorale Praxis ist Beziehungspraxis. Entsprechend notwendig ist die Kompetenz, mit Anderen Beziehungen zu ermöglichen und zu gestalten. Kompetenzen, die mit sozialräumlichem und netzwerkförmigem Denken einhergehen, haben für uns in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung.
Rollenveränderungen in Lernprozessen
Alle, die in Bildungs- oder Erziehungsprozesse involviert sind, wissen, dass deren Ergebnisse stets unverfügbar sind, weil Personen immer selbstgesteuert und unter den je eigenen Bedingungen lernen. Für die Fortbildung bedeutet das einerseits einen Rollenwandel für Lehrende und Lernende, andererseits auch veränderte Settings. Die Lernenden sind Subjekt, nicht Objekt, des Lernprozesses. Im Mittelpunkt steht daher die Selbstlernbewegung des Individuums. Ihr gilt alle Aufmerksamkeit, ihr wird mit Wertschätzung begegnet. Alles, was gelernt wird, ist alleine Produkt dieser Person.
Zurückgenommen, unterstützend und begleitend
Impulse von außen sind Anregungspotenzial, um sich selbst auf eine Lernreise zu begeben und in diese Eigenbewegung hineinzukommen. Die Lernenden bilden sich fort. Unsere Rolle als Fortbildner*innen, die diese Prozesse anstoßen und begleiten, ist deshalb zurückgenommen und als unterstützend sowie begleitend zu definieren. Mit aller Wertschätzung und Achtung begegnen wir den Teilnehmenden, wohl wissend, dass das eigene Tun dienend sein soll. Expertise hat sich in einem solchen Verständnis aus einer reflektierten Praxis heraus zu begründen. Es kommt auf das Lernen an, hinter das das Lehren zurücktritt.[6]
Ja, und … Konkretionen
Das Urteil darüber, ob wir im beschriebenen Sinn kompetente Fortbildner*innen sind, sei den TPI-Teilnehmer*innen überlassen. Zwei Konsequenzen aus diesem Verständnis sollen jedoch an dieser Stelle exemplarisch genannt werden. Zum einen haben wir als Fortbildungsinstitute in Freising und Mainz gemeinsam ein Institutionelles Schutzkonzept entwickelt, um unsere Fortbildungen als sichere Orte selbstbestimmten Lernens und Begegnens zu stärken. Die Gefahren beispielsweise der Ausnutzung von Machtasymmetrien, gerade in Begleitsituationen, oder von spirituell oder sexuell missbräuchlichem Verhalten sollen damit identifizierbar, ansprechbar und ahndbar werden.[7]
Ansprechbar für kurzfristig entwickelbare Lernräume
Zum anderen haben sich in jüngerer Zeit unsere Fortbildungsformate verändert. Hatten wir lange ein umfangreiches Jahresprogramm, so sind die mit großem Vorlauf geplanten Kurse inzwischen deutlich reduziert. Anstelle dessen signalisieren wir, dass wir ansprechbar sind für gemeinsam und eher kurzfristig zu entwickelnde Lernräume mit Teams, Gruppen oder in Absprache mit den Trägerbistümern.[8] Zugleich versuchen wir neben den vertrauten Formen von Veranstaltungen in Tagungshäusern auch arbeitsplatznähere Formate zu entwickeln, die eine engere Verknüpfung der Lernbewegung von Personen und der Veränderung von Routinen und Prozessen in der Pastoral vor Ort ermöglichen.
Immer Lernende
Wir sind davon überzeugt: Wenn sich gerade so viel gesellschaftlich und kirchlich verändert, dann lassen wir uns als theologisch-pastorale Fortbildung davon herausfordern. Auch als Fortbildner*innen bleiben wir immer Lernende.
Luisa Fischer, Regina Heyder, Christoph Rüdesheim (TPI Mainz).
[1] Vgl. z. B. Rolf Arnold/John Erpenbeck, Wissen ist keine Kompetenz. Dialoge zur Kompetenzreifung, Hohengehren, 5. Auflage 2021; Rolf Arnold, Wie man lehrt, ohne zu belehren. 29 Regeln für eine kluge Lehre. Das LENA-Modell, Heidelberg 5. Auflage 2019.
[2] Dazu die beiden Artikel Hermann-Josef Groß, 50 Jahre TPI. Von der Wiege des Instituts und „kranken Kühen“ (53-65) und Christoph Rüdesheim, Kirchliche Fortbildung x.0, oder: Was ist die Zukunft der Fortbildung in der nächsten Gesellschaft? (67-79), in: Thorsten Hoffmann / Christoph Rüdesheim (Hg.), Zwischen Planung und Unverfügbarkeit. Festschrift zum 50. Jubiläum des Theologisch-Pastoralen Instituts, Norderstedt 2022.
[3] Vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.), Wie hältst du’s mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft. Erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, Leipzig 2023, S. 57 (https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/07490_EKD_KMU_Web_neu.pdf).
[4] Vgl. Standards für die Aus- und Weiterbildung der evangelisch-reformierten Pfarrerinnen und Pfarrer: Kompetenzstrukturmodell, aber 2024 in einer aktualisierten Version gültig (https://www.bildungkirche.ch/kompetenzstrukturmodell). Thomas Schaufelberger/Juliane Hartmann (Hg.), Perspektiven für das Pfarramt. Theologische Reflexionen und praktische Impulse zu Veränderungen in Berufsbild und Ausbildung, Zürich 2016.
[5] Dabei kann es nicht darum gehen kann, eine abgeschlossene Liste an Kompetenzen vorzulegen, sondern auch hier bedarf es einer Offenheit für den Prozess und die Veränderung. Eine grafische Darstellung der vier TPI-Kompetenzbereiche ist zu finden unter https://bistummainz.de/bildung/tpi/page/Kompetenzbereiche/.
[6] Jöran Muuß-Meerholz bietet eine pointierte Gegenüberstellung der „alten Welt der Fortbildung“ und der „neuen Welt der Fortbildung“: Barcamps & Co. Peer-to-Peer-Methoden für Fortbildungen, Weinheim 2019 (abrufbar unter https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/89374/89374_1.pdf?sequence=1).
[7] Vgl. https://bistummainz.de/bildung/tpi/Schutzkonzept/.
[8] Vgl. www.tpi-mainz.de und https://bistummainz.de/export/sites/bistum/bildung/tpi/.galleries/downloads/08_Folder-Kurs-TPI-2024-ES.pdf.
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