Der Evangelische Kirchentag gehört seit 1949 zu den großen protestantischen Institutionen, die Plattformen für gesellschaftliche und kirchliche Diskussionen bietet und teilweise über 100.000 Teilnehmer*innen für Gottesdienste, Diskussionen, Vorträge und Bibelarbeiten zusammenbringt. Neben den wechselnden Kirchentagspräsident*innen steht mit Prof.in Dr. Julia Helmke eine Theologin an der Spitze der Zentrale des Kirchentages in Fulda.
Ein Interview von Wolfgang Beck
Beck: Frau Helmke, Sie bereiten mit Ihrem Team den Kirchentag 2019 vor. Dabei hat die Entscheidung für Wirbel gesorgt, sich dezidiert gegen eine Einbindung von AfD-Funktionär*innen in dem Programm zu positionieren. Wie kam es zu dieser Festlegung und wie sahen die Reaktionen darauf aus?
Helmke: Der Kirchentag ist 1949, im selben Jahr wie die Bundesrepublik (und die DDR) gegründet worden, um Menschen zu versammeln, zu bilden und zu stärken, die aus ihrem christlichen Glauben heraus Verantwortung für Gesellschaft und Kirche übernehmen. Er ist gegründet worden, um aus dem Unheil der nationalsozialistischen Herrschaft und dem weitgehenden Versagen der Kirchen zu lernen. Dem bleiben wir treu. Es war und ist ein reformatorischer Grundimpuls: Sein Gewissen zu bilden und Widerstandskraft aus dem Evangelium heraus zu entwickeln, dabei nicht einfach einer Obrigkeit zu glauben oder innerweltlicher Ideologie zu folgen.
Bereits 2016 – und seitdem ununterbrochen – wird an das ehrenamtlich arbeitende Leitungsgremium des Kirchentages sowohl von den Medien als auch von vielen Besucher*innen die Anfrage gestellt, wie der Kirchentag mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus umgeht und konkret mit einer Partei, die rechtsextreme Positionen beheimatet. Eine Richtlinie entsteht, die bereits eingeübte Praxis war und nun offengelegt wird: Nicht ein Parteibuch entscheidet über Ein- und Ausladung. Kriterium für eine Einladung auf ein Podium oder zu einer Diskussionsveranstaltung ist fachliche Kompetenz zum Gelingen einer Veranstaltung. Keine Bühne gegeben wird rassistischen Äußerungen oder der Verbreitung von Äußerungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Diese Kriterien gelten weiterhin.
Zwei Jahre später hat sich die gesellschaftliche Situation deutlich verschärft. Die Mechanismen und Strategien des rechten Populismus beginnen zu wirken. Es ist das perfide Wechselspiel von gezielter Provokation und nachträglicher Relativierung, die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren, Aufrufe zur Denunziation an Schulen, die Narration als sogenannte Andere definierte Menschen für gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu machen und auszugrenzen. Zugleich ist das, was in Teilen der neurechten Bewegungen unter dem Etikett des Christlichen läuft, bereits ein Anklang an die in dunkelsten Zeiten erlebte Reformulierung und Überhöhung irdischer Autorität unter Preisgabe der Botschaft Jesu. Es wäre blauäugig, diese Zeichen der Zeit nicht zu sehen. Hier ist eine Grenze überschritten, die es zu markieren gilt. Eine Grenzmarkierung, die politisch, theologisch, historisch, ethisch und auch im praktischen Erleben zwischen Ost und West, Nord und Süd wohl graduell unterschiedlich zu ziehen ist. Jedoch: Nur ein erkennbares Zeichen ist ein Zeichen. Dies hat das Präsidium mit seinem sogenannten Doppelbeschluss getan, in dem er denen, die als Repräsentantinnen und Funktionäre solche Prozesse befördern, keine Bühne gewährt, also ein „Halt“ und ein „Halt ein“. Der aktualisierte Beschluss betont ausdrücklich, dass alle, die sich in den gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Themen und Debatten nicht wiederfinden und darum mit der AfD sympathisieren oder diese wählen, zum Kirchentag nach Dortmund eingeladen sind. Das Dilemma einer passenden Haltung im Umgang mit dem Rechtspopulismus ist damit nicht aufgehoben. Dies ist in vielen der zustimmenden und auch in den kritischen und nachdenklichen Stimmen zu unserem Beschluss zu spüren. Der Beschluss zeigt: Es gibt keine einfache Lösung.
Typischer Kirchentagsmief?
Beck: Die Diskussion berührt die Frage, wie das Verhältnis von Kirchentag und gesellschaftlichen Öffentlichkeiten zu bestimmen wäre. Repräsentiert der Kirchentag die gesamte Gesellschaft oder handelt es sich eher um das Treffen einer bestimmten Gruppe von Christinnen und Christen, die vielleicht auch eher mit dem Kirchenbild früherer Jahrzehnte verbunden sind?
Helmke: Was ist denn das Kirchenbild früherer Jahrzehnte? Und das Kirchentagsbild? Linksliberale Birkenstockträger mit Bart und Frauen, die „Danke“ und „Da ist ein Sehnen tief in mir“ singen und Gepa-Kaffee in Papphockerkreisen trinken? Kirchentag repräsentiert nicht die gesamte Gesellschaft – das ist in unserer so ausdifferenzierten Gesellschaft schlechterdings nicht möglich – auch bei 100.000 Menschen. Aber wenn Sie „bestimmte Gruppen“ parteipolitisch oder frömmigkeitsbezogen definieren wollen, wäre das viel zu enggeführt. Die überwiegende Zahl derer, die kommen, sind engagierte Christinnen und Christen und dabei spielt das Alter, die regionale Verortung, Stadt und Land und individuelle Interessen eine ähnlich wichtige Rolle wie die Konfession. Als Teilnehmer*innen und Mitwirkende kommen zu uns sehr viele, die ehrenamtlich in der Ortsgemeinde engagiert sind und andere, für die der Kirchentag temporäre Heimat bildet und die ihr Engagement vor allem gesellschaftlich leben. Nehmen wir die Pfadfinder: hier finden wir den Verein christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder, die protestantisch geprägt sind, dazu gehört die katholisch geprägte Pfadfinder(innen)schaft St. Georg, dazu gehören auch jüdische und muslimische Pfadfinder. Sie alle arbeiten zusammen, sie machen und sie „sind“ Kirchentag. Ich bin dankbar über ein halbwegs ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter bei denen, die zuhören und denen, die vortragen, ebenso in der Alterskohorte.
Ist der Kirchentag rot?
Beck: Der Evangelische Kirchentag hat eine profilierte Tradition, was die gesellschaftliche Verantwortung von Christ*innen angeht und war über weite Strecken durch eine Nähe zu SPD und Grünen, also linken Parteien, geprägt. Auf den Soziologen Armin Nassehi geht die These zurück, dass die großen politischen Muster keine Relevanz mehr hätten. Wie nehmen Sie das wahr und welche Folgen hat das für den Kirchentag?
Helmke: Ihr erster Satz gilt für eine bestimmte Epoche, die den Kirchentag sehr prägte, v.a. in den 1980er Jahren, ist aber seit Jahrzehnten bewusst ‚ausgewogener‘. Ein früherer Kirchentagspräsident bezeichnete den Kirchentag einmal als „protestantische Bürgerrechtsbewegung“. Die Trias von „Fest des Glaubens“, „vielfältige Diskussionsplattform“, „Netzwerk“ trifft es meines Erachtens nach besser. Wir laden Menschen ein, die etwas beizutragen haben zu einer „Zeitansage“. Das sind natürlich auch Politikerinnen und Politiker, die Verantwortung übernehmen und Gesellschaft mitgestalten – oft aus ihrem Glauben heraus. Ein großes politisches Muster lässt sich dabei vielleicht nicht immer erkennen, es ist eher ein bunter Teppich – mit roten Fäden, die wir bewusst anlegen, die sich zuweilen aber erst im Geschehen eines Kirchentages selbst zeigen. Kirchentage sind Seismographen ihrer Zeit, auch der Themen, die angesprochen werden und nach Jahren des Ausprobierens (Kirchentag als Experimentierlabor!) weiter disseminieren. Das gilt gerade auch für den liturgischen Bereich, so wie Feierabendmahl und Tagzeitengebete, aber auch für manche gesellschaftliche Fragestellungen, die beim ersten Auftreten vielleicht als Schleudersitz bezeichnet worden wären. Die letzten Jahre wurde oft gesagt: der Kirchentag ist zu ausgewogen, zu wenig aufregend. Vielleicht ist das auch die gegenwärtige Großwetterlage (gewesen). Ich bin keine Wahrsagerin zu prognostizieren, wie es die nächsten Jahre werden wird, ich vermute jedoch, wieder politischer.
Keine Bühne für die AfD?!
Beck: Der Kirchentag hat die Präsenz der AfD bzw. ihrer Parteifunktionär*innen bei einzelnen Veranstaltungen ausgeschlossen und mit dieser Entscheidung heftige Reaktionen ausgelöst. Hätte es nicht gute Argumente gegeben, in einem eng begrenzten Rahmen die Diskussion mit den Rechtspopulist*innen zu ermöglichen?
Helmke: Das Präsidium des Kirchentages hat sich entschieden, öffentlichen Vertreterinnen und Vertretern der AfD keine Bühne zu bieten, das ist etwas anderes, als Sie formulieren. Uns war es aus unserer Geschichte heraus zum jetzigen Zeitpunkt wichtig, dies als Zeichen für den Kirchentag in Dortmund zu setzen. Natürlich gibt es auch Argumente für einen Weg, wie Sie ihn vorschlagen und der seit kurzem auch wieder verstärkt an unterschiedlichen Stellen in der Öffentlichkeit und in geschützten Räumen geführt wird und wir haben intensiv dazu diskutiert. Dankbar bin ich, dass unser Beschluss sowohl in kirchlichen und säkularen Bereichen Diskussionen nicht beendet hat, sondern auch durch klare Gegenpositionen Gespräche öffnet, vor allem für die Frage: Woher kommt die Entfremdung, ja zum Teil der Hass auf vieles, was lange Jahre als „common sense“ und sinnvoll galt. Wohin wollen wir denn für das Land, für Europa und für die Kirche(n) – zu welchen Visionen wollen wir Ja sagen, wie wollen wir sie finden und zu welchen müssen wir ein ausdrückliches Nein rufen.
Auch Christ*innen tendieren zum Populismus.
Beck: Zu den bitteren, konfessionsübergreifenden Einsichten gehört, dass Kirchenmitglieder in gleicher Zahl für die Politik der AfD zu gewinnen sind, wie das in der Gesamtgesellschaft der Fall ist. Die christlichen Kirchen haben also offenbar keine immunisierende Wirkung gegenüber politischen Populismen. Welche Konsequenzen müssten sich daraus ergeben?
Helmke: Dreierlei: Erstens dies anzuerkennen. Zweitens sich nicht damit zufrieden zu geben und neue Wege und Kommunikationsformen zu suchen, Menschen zu erreichen, dort wo sie sind, gedanklich wie räumlich und zuzuhören. Drittens sich nicht damit abzufinden und klar auszusprechen, was nicht biblisch ist und auch nicht christlich. Metanoia/Umkehr und Buße ist für erstens und zweitens und drittens nötig und Gnade und Barmherzigkeit ebenso.
Neben Kirche und Gemeinde eine christliche Bewegung.
Beck: Frau Helmke, Sie sind Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, der sich als ein gegenüber der landeskirchlichen Struktur unabhängiger Akteur versteht und häufig als eine Bewegung interpretiert wurde. Welche Chancen liegen in Ihrer Wahrnehmung in dieser Unabhängigkeit von der sonst so dominanten Gemeindestruktur?
Helmke: Zum einen würde ich die Gemeindestruktur nicht eindeutig als „dominant“ im Sinne von negativ dominierend konnotiert verstehen wollen. Gemeinde vor Ort ist ein Schatz und sollte, wo es geht, erhalten bleiben, denn das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Miteinander leben, beten, glauben ist hoch und auch attraktiv, da es in einer sehr vereinzelten, flexibilisierten und mobilen Gesellschaft ein Bedürfnis gibt nach Beheimatung. Zugleich gilt, es neue Heimaten auf Zeit zu schaffen und zuzulassen, was auch mit einem Kontrollverlust bestehender Institutionen einhergeht. Kirchentag ist einst als Bewegung und als solche temporäre Heimat gegründet worden. Bald aber auch mit dem Ziel der Verstetigung. Der Kirchentag hat sich als beständig erwiesen, da er die Balance zwischen Verlässlichkeit und Erkennbarkeit und Dauer sowie Wandel, Neuausrichtung, Partizipation ständig neu sucht und hoffentlich findet.
Das schwierige Verhältnis der Kirchen zur Gegenwartskultur..
Beck: Sie waren über 10 Jahre lang in Hannover Kulturbeauftragte der dortigen Landeskirche. Welche Verschiebungen ergeben sich aus Ihrer Wahrnehmung im Verhältnis der großen Kirchen zur Gegenwartskultur des 21. Jahrhunderts?
Helmke: Da stellen Sie eine Frage, über die wir gerne einen Abend lang bei Wasser und Wein diskutieren könnten und sollten – auch in der konfessionellen Unterschiedenheit wie Gemeinsamkeit. Für den evangelischen Bereich sehe ich schon eine größere Sensibilität für das Verhältnis und die Verbindung von Gegenwartskultur zur verfassten Kirche. Um die Jahrtausendwende hat die Evangelische Kirche in Deutschland zusammen mit der Vereinigung evangelischer Freikirchen ein Konsultationsprozess zu Kultur und Protestantismus gestartet. Im Bereich Bildende Kunst gab es Annäherungen und neue Aufträge z.B. im Bereich Altarbilder, v.a. aber auch für temporäre Ausstellungen und Installationen. Die Konferenz der Kulturbeauftragten in den Landeskirchen in der EKD ist ins Leben gerufen worden, eine offizielle Kulturbeauftragte der EKD eingesetzt worden, die den Kontakt mit Kulturinstitutionen hält und selbst gestaltet und in Berlin angesiedelt ist. In vielen Landeskirchen gibt es „Kulturkirchen“ mit unterschiedlichem Profil und teilweise wirklich beachtlicher Arbeit – zum Teil mit der Ortsgemeinde, z.T. mit stärker spezifischem Profil wie die die Literaturkirche und das Literaturhaus St. Jakobi in Hildesheim, das auch von einem Intendanten und keinem Pfarrer geleitet wird. Herausragende Ausstellungen wie „Luther und die Avantgarde“ im alten Wittenberger Gefängnis während des Reformationssommers wären ohne solche Vorarbeit nicht möglich gewesen. Auch in der Pfarrer*innen-Fortbildung finden sich immer wieder Kurse dazu. Zugleich, wenn ich auf ‚meinen‘ Bereich Filmkultur schaue, wird das in diesem Bereich seit den 1950er Jahren Aufgebaute Stück für Stück eingespart, kaputt reduziert durch die Frage: Was bringt das für die Gewinnung neuer Mitglieder und unser Ansehen? Wir brauchen die zeitgenössischen Künste für eine Kirche in Zeitgenossenschaft, das gilt ebenso für die wissenschaftliche Theologie in aller Intersektionalität.
Angstfrei auf Fragen der Digitalisierung schauen.
Beck: Neben ihren Aufgaben als Generalsekretärin des Kirchentages sind Sie auch Theologin und Publizistin und arbeiten in diesen Feldern auch wissenschaftlich. Es gehört zu den bemerkenswerten Phänomenen, dass die großen Kirchen trotz ihres Geldes und der großen Personalstärke, sich mit modernen Medien schwertun und mit ihren Print- und Digital-Formaten kaum die kleinen Blasen der kirchlich Engagierten übersteigen können. Wie wäre aus Ihrer Sicht mit diesem Dilemma umzugehen?
Helmke: Wenn es darauf eine einfache Antwort gäbe, wäre ich sehr froh. Jedenfalls dürfen die Kirchen Digitalisierung nicht als „Projekt“ betrachten, das man angehen, in dem man etwas „machen“ kann – und irgendwann ist es dann wieder gut. Die digitale Revolution ist noch nicht überschaubar, sie wird nicht weniger verändern als die industrielle Revolution und es ist ja keine Reformation. Wir brauchen Angstfreiheit, Spezialist*innen und etwas weniger Kirchturmdenken. Wir haben eigentlich keine Zeit mehr und müssen sie uns doch nehmen dafür. Da es die eine große Blase ja nicht mehr gibt, doch – die Gemeinschaft aller Heiligen – aber nicht die eine große digitale Blase, finde ich es auch nicht schlimm, wenn es kleine Blasen gibt, aber die müssen mit Wachsamkeit und zugleich mit Freude am Kontrollverlust, der Kreativitätsgewinn bedeuten kann, gefüllt und lebendig gehalten werden.
Der dritte ökumenische Kirchentag rückt 2021 in den Blick.
Beck: Im nächsten Jahr steht vom 19. bis 23. Juni der Kirchentag in Dortmund bevor, danach folgt der dritte Ökumenische Kirchentag im Jahr 2021 in Frankfurt am Main. Welche Hoffnungen verknüpfen Sie mit diesem gemeinsamen Treffen von evangelischen und katholischen Christ*innen?
Helmke: Danke, dass Sie nach den Hoffnungen fragen und nicht nach den Befürchtungen. Also: 1. Gemeinsam Zeugnis geben und die Welt mitgestalten. Der erste Ökumenische Kirchentag war großartig, dass es ihn überhaupt gab. Ihr sollt ein Segen sein. Das bleibt. Die Enttäuschung folgte: dass es keine sichtbaren Fortschritte im ökumenischen Miteinander in Bezug auf Gemeinsames Abendmahl und eine gleichberechtigte Wahrnehmung und Anerkennung der verschiedenen Ämter gab. Der zweite Ökumenische Kirchentag „Damit Ihr Hoffnung habt“ war – nicht gewollt, aber sich so ereignend – auch ein Umgehen mit Scheitern, mit der Begrenztheit dessen, was die Kirche und die in ihr handelnden Personen dazu beitragen, Gottes Reich auf Erden hier zum Blühen zu bringen. Der dritte Ökumenische Kirchentag soll für mich ein deutliches Zeichen setzen, welche Kraft ein Leben im Licht der biblischen Botschaft ermöglicht, als Licht, das in die Welt hinein- und hinausstrahlt. Begründet und unterstützt wird dies durch die Selbstverpflichtung, einander in der Vielfalt und Verschiedenheit offen zu begegnen und sich gegenseitig zu erlauben, sich zu verändern und zugleich dadurch noch näher zu sich und das bedeutet, zu Gott zu kommen. Ich bin dankbar, dies zusammen mit dem Zentralkomittee der Katholiken gemeinsam zu gestalten – in Kooperation mit vielen weiteren mehr. Immer mehr Menschen haben zu Gott oder dem christlichen Glauben keinen Bezug oder auch kein Interesse daran. Auch ihnen wissen wir uns in wichtigen Anliegen verbunden. Mit ihnen suchen wir das Gespräch über Fragen des konkreten Handelns wie der leitenden Orientierungen. Dieses Gespräch bedarf neuer Wege und Sprachformen. Dazu wollen wir beim 3. ÖKT Initiativen entwickeln. Auf dem Weg zum 3. ÖKT tragen mich die Worte des Predigers beim Abschlussgottesdienstes des Kirchentages 2017 auf den Wiesen vor Wittenberg: As you live the Kirchentag, I charge you to hear the cries of others and of our planet as God would. My prayer is that you will be radical; that you will give love away – even as you recognice your frailties and limitations, even if your are daunted by the enormity of he tasks of transforming the world. Even if you feel that you are seeing the challenges only dimly, please do something, at least one thing, for love’s sake, for dignity’s sake, for freedoms‘ sake, for Christ’s sake (Thabo Makgoba, südafrikanischer Erzbischof).
Hoffnung auf politische Weihnachtspredigten.
Beck: Ein Blick in die nahe Zukunft: Auch bei Pfarrer*innen laufen die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest auf Hochtouren, auch die Überlegungen für die Weihnachtspredigten. Nach dem letzten Weihnachtsfest gab es heftige Auseinandersetzungen um deren politische, teilweise auch parteipolitische Einfärbung. Was würden Sie den Pfarrer*innen in diesen Tagen an ihren Schreibtischen sagen?
Helmke: Na ja, zum einen bin ich Kollegin unter Kollegen. Als eine, die keine feste Ortsgemeinde hat, freue ich mich, gerade in der Weihnachtszeit auf der Kanzel stehen zu dürfen und sich dem Wunder der Menschwerdung Gottes predigend zu nähern. Wissend, dass die Ohren und Herzen der Menschen, die zuhören, besonders sensibel und weich und bedürftig sind und die anderen Sinne, der Geist und Eigenwille oft besonders anspruchsvoll. Es ist eine Ausnahmezeit – jedes Jahr wieder neu. Dies bedeutet für mich einen Raum zu schaffen, in dem die biblische Botschaft re-soniert. Dieser Raum ist von Grund auf politisch, da er ein gemeinsamer Raum ist. Was brauche ich, was glaube ich, dass meine Zuhörer*innen sich erhoffen von einer Weihnachtspredigt und was – und dies an erster Stelle – sagt mir der biblische Text und wird so zu einer Botschaft? Das sind für mich Ausgangsfragen. Am Ende dieses ‚seltsamen‘ Jahres – sowohl in kirchlicher wie politischer Perspektive – bleibt als Wahrnehmung: Legt die Hände nicht in den Schoß, werdet aktiv und gelassen zugleich. Mein Bild für dieses Jahr ist, dass wir selbst zu Botinnen und Boten der Weihnachtsbotschaft werden. Und da zum Glück Boten ganz unterschiedlich sind, ist es ganz folgerichtig, dass die Botschaft unterschiedlich empfangen und weitergegeben wird. Formal wie inhaltlich. Das fordert heraus und entlastet zugleich. Getragen bleibe ich dabei von der Losung des Kirchentages, die mich durch das ganze Jahr 2018 begleitet hat: „Was für ein Vertrauen“ aus dem 2. Könige Buch 18,19.
Beck: Frau Henke, ich danke Ihnen, dass Sie sich für die Fragen Zeit genommen haben und wünsche Ihnen sowohl für die Vorbereitungen der Weihnachtspredigten wie auch für die Arbeit beim Evangelischen Kirchentag weiterhin alles Gute!
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Prof.in Dr. Julia Helmke, evangelische Theologin und Pastorin, hat seit 2017 das Amt der Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags inne und arbeitet als Honorarprofesssorin für Publizistik an der FAU Erlangen.
JProf. Dr. Wolfgang Beck, katholischer Theologe und Pfarrer, Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik an der PTH Sankt Georgen in Frankfurt a.M. und Leiter des Studienprogramm Medien und Öffentliche Kommunikation; Mitglied der feinschwarz-Redaktion.
Foto 1: DEKT/Silvia Kriens
Foto 2: DEKT/robert gross photograp