Matthias Möhring-Hesse äussert sich kritisch zur positiven Lesart von „Veritatis Gaudium“, weil diese die konkreten Regelungen für die Theologie an Hochschulen und Universitäten ausblendet, die dem Geist der Einleitung des Dokuments widersprechen.
In »feinschwarz.net« hat sich der Rektor der kirchlichen Theologischen Hochschule Chur (CH), Christian Cebulj, über die Apostolische Konstitution Veritatis gaudium (»Die Freude der Wahrheit«), einen päpstlichen Erlass über kirchliche Universitäten und Fakultäten und insbesondere über Studium und Lehre der Katholischen Theologie mächtig gefreut. Begeistert zeigt sich Cebulj über die »breit angelegte Wertschätzung der wissenschaftlichen Theologie«: Papst Franziskus meine, so die Lesart von Cebulj, die akademische Theologie solle die Aktualisierung der im Christentum überlieferten Botschaft vorantreiben, solle den »offenen Dialog mit Gesellschaft, Politik und Gegenwartskultur […] suchen«, solle als »kulturelles Laboratorium« betrieben werden und solle »treu und kühn an die Grenzen gehen«.
In seiner Begeisterung bezieht sich der Autor ausschließlich auf die Einleitung zu dem Erlass, der aber neben dieser Einleitung auch einen Normenteil mit all den Regeln beinhaltet, die der Papst für die kirchlichen Hochschulen und Fakultäten und insbesondere für die Lehre und das Studium der Theologie erlässt. Wegen genau dieses Regelwerkes ist der Text überhaupt ein Erlass des Papstes, eine Apostolische Konstitution – und nicht ein feiner Besinnungstext aus der Feder eines sympathischen Menschen.
Es geht bei „Veritatis Gaudium“ nicht um einen feinen Besinnungstext, sondern um ein engmaschiges Regelwerk.
Von diesem Regelungswerk erfährt man von Cebulj nur kurz, dass es »im Wesentlichen eine Fortschreibung der Konstitution Sapientia Christiana aus dem Jahr 1979« bietet. Diese kurze Auskunft ist nicht ganz richtig: Das Regelwerk bietet Sapientia Christiana mitsamt all der sich seither angesammelten zusätzlichen, z.T. verschärften Regelungen sowie einigen, allerdings wenigen weiteren Verschärfungen. Damit zimmert die Apostolische Konstitution ein enges Korsett für die kirchlichen Hochschulen und Fakultäten und insbesondere für die dort betriebene Theologie – und sie zeichnet ein wenig sympathisches Bild von lehramtlich strengstens kontrollierten Hochschulen und Fakultäten sowie von einer in ihrer Wissenschaftsfreiheit und in ihrer reflexiven Selbststeuerung beschränkten, damit aber als Wissenschaft negierten katholischen Theologie. So heißt es in einer Spitzenstelle des Regelwerkes, in Artikel 38: Zwar werde der Theologie »eine gebührende Freiheit in Forschung und Lehre« zuerkannt. Gleichzeitig gilt aber, »dass die wahre Freiheit der Lehre notwendig innerhalb der Grenzen des Wortes Gottes liegt, wie es beständig vom lebendigen Lehramt der Kirche gelehrt wird«, und dass »sich die wahre Freiheit der Forschung notwendigerweise auf die überzeugte Annahme des Wortes Gottes gründet und von einer Haltung der Ergebenheit gegenüber dem Lehramt der Kirche begleitet sein muss, dem die Aufgabe anvertraut ist, das Wort Gottes authentisch zu interpretieren«.
»Gebührende Freiheit« oder »wahre Freiheit« der Theologie?
»Gebührende Freiheit« oder »wahre Freiheit« der Theologie in Lehre und Forschung – das heißt vom Kirchenrecht in die Alltagssprache übersetzt: KEINE Wissenschaftsfreiheit, das heißt: BESCHRÄNKUNG der argumentativen Selbstkontrolle der Theologie als Wissenschaft. Theologie als Wissenschaft wird damit negiert. Zugleich findet sich in dem Erlass all das, was die Kirche braucht, um diese Wissenschaftsnegation im Konkreten auch durchzusetzen, vom »Nihil obstat« und der »Missio canonica« für die Lehrenden bis hin zur »Priesterquote« für die Fakultäten. Das alles ist Cebulj keines Wortes wert, wenngleich doch seine Hochschule von diesen Regelungen unmittelbar betroffen ist und er sie als Rektor im Konkreten »ausbaden« muss.
Widersprüche
Das Regelwerk und die damit gegebene Wissenschaftsnegation für die Theologie sind nicht neu, sondern werden in Veritatis gaudium nur gebündelt und bestätigt. Sie werden aber mit einer neuen Einleitung versehen, deren Theologie so gar nicht zu dem passt, was dann als Regelungen folgt. In der Einleitung heißt es: »Der Theologe, der sich an seinem vollständigen und abgeschlossenen Denken ergötzt, ist mittelmäßig. Der gute Theologe und Philosoph hat ein offenes Denken, das heißt es ist nicht abgeschlossen, […] immer in Entwicklung begriffen«. Hingegen steht im Normteil: »Beim Studium und bei der Vermittlung der katholischen Lehre muss der Treue zum Lehramt der Kirche stets eine besondere Bedeutung beigemessen werden. In der konkreten Lehrtätigkeit soll vor allem im Grundzyklus hauptsächlich das gelehrt werden, was zum gesicherten Lehrgut der Kirche gehört. Nur wahrscheinliche Meinungen und persönliche Ansichten, die sich aus neueren Forschungen herleiten, sollen in Bescheidenheit als solche vorgetragen werden.« (Artikel 73).
Mit der in der Einleitung neuen, aber eben nicht passenden Theologie versehen, wird das gar nicht Neue im Regelwerk geradezu unerträglich. Offenkundig kann es theologisch nicht legitimiert werden – und der es erlassende Papst versucht das auch erst gar nicht. Das Regelwerk wird ohne jeden Legitimationsversuch und damit mit dem Eingeständnis, dass es sich theologisch nicht rechtfertigen lässt, in Geltung gesetzt werden. Warum erwähnt Cebulj das nicht einmal?
Lassen wir dem Autor durchgehen, dass er die relevanten Teile der Apostolische Konstitution einfach übergeht, – und konzentrieren wir uns mit ihm auf die Einleitung. Aber auch dann müssten eigentlich drei Sachverhalte auffallen, die die Freude auch an der Einleitung von Veritatis gaudium trüben:
Auch die Einleitung lässt Fragen offen.
Einmal mehr kann für Papst Franziskus eine Aufgabe nicht groß genug sein. In seiner Einleitung verlangt er »auf der kulturellen Ebene akademischer Bildung und wissenschaftlicher Forschung die großherzige und gemeinsame Anstrengung hinsichtlich eines radikalen Paradigmenwechsels, ja mehr noch – ich erlaube mir zu sagen – hinsichtlich einer ›mutigen kulturellen Revolution‹«. Wenn aber auch für die akademische Theologie alles neu und ganz anders werden muss, dann muss doch gefragt werden können, an wen ist die Forderung adressiert: Steht die gesamte katholische Theologie vor einem Paradigmenwechsel, gar vor einer Revolution? Oder gilt dies nur für einzelne Standorte der Theologie oder nur für bestimmte Theologien, theologische Ansätze oder Schulen?
Würde die Forderung für die gesamte katholische Theologie gleichermaßen gelten, wäre der geforderte Paradigmenwechsel mehr als unglaubwürdig. Denn was in der für Papst Franziskus typischen Bildsprache angedeutet wird, ist für viele TheologInnen in den unterschiedlichen theologischen Fächern überaus üblich. Was er darüber hinaus, was dort üblich ist, meinen und an Neuem und ganz Anderem einfordern möchte, das müsste er zumindest sagen.
Wer ist denn für die Mittelmässigkeit der Theologie verantwortlich?
Wenn der Papst die mittelmäßige Theologie kritisiert, die sich an einem vollständigen und abgeschlossenen Denken ergötzt, und eine »offene Theologie« fordert, die immer in Entwicklung ist, dann müsste man – sollte man mit der Kritik und der Forderung etwas anfangen können – Auskunft darüber haben, welche Verantwortung die von diesem Papst geleitete Institution, das wäre mindestens einmal der Vatikan, dafür trägt, dass die katholische Theologie bislang in die kritisierte Mittelmäßigkeit gedrängt und dass die geforderte »offene Theologie« tatkräftig verhindert, zumindest aber behindert wurde. Um die Kritik und die Forderung verstehen zu können, müsste man wissen, was denn die vom Papst verantwortete Institution tun und lassen wird, um die geforderte »offene Theologie« möglich und – mehr noch – wahrscheinlicher zu machen. Diese Auskünfte gibt die Einleitung nicht.
Schließlich und besonders ärgerlich: In der Einleitung findet sich keine belastbare Vorstellung davon, was es heißt, wissenschaftliche Theologie, also Theologie als Wissenschaft zu betreiben, – finden sich nicht einmal Andeutungen von einer solchen Vorstellung. Dass Wissenschaft und dass folglich auch die akademische Theologie ein selbstreflexives Unternehmen ist, dass sich Wissenschaft und damit auch katholische Theologie in argumentierenden Diskursen der sie betreibenden WissenschaftlerInnen unter der dafür notwendigen Öffentlichkeit selbst steuert, dass Theologie in der von ihrem Gegenstand geforderten Kirchlichkeit kirchliche Lehre als den Gegenstand ihrer kritischen Bearbeitung hat, – von diesen und ähnlichen »basics« wissenschaftlicher Theologie sagt die Einleitung nichts.
Realistisch bleiben und „Veritatis Gaudium“ nicht „schön beten“.
Christian Cebulj ist, so kann man im Internet erfahren, ein bekennender Freund von Papst Franziskus und hat die Erklärung »Pro Pope Francis« unterschrieben. Darin sichert er mit den inzwischen weit über 70.000 anderen UnterzeichnerInnen dem Papst seine »volle Unterstützung« und sein »stetes Gebet« zu. Als Theologie, erst recht als Rektor einer kirchlichen Hochschule wäre er aber wohl doch gehalten, das vom Papst unterschriebene Dokument über den gesamten Text hinweg in den Blick zu nehmen, und gefordert, seine kritische Bereitschaft gegenüber diesem Dokument nicht von vornherein aufzugeben. Zumindest wenn man ein ernsthaftes Interesse an akademischer Theologie hat, sollte man diese Wissenschaft ausmachende Kritik auch gegenüber Papst Franziskus aufbringen – und sollte sich ihn und sollte sich vor allem seinen Erlass Veritatis gaudium nicht »schön beten«.
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Matthias Möhring-Hesse, 13.02.2018
Denkanstoß und Danaergeschenk: Leserbrief zu “Papst Franziskus und die wissenschaftliche Theologie”