Andreas Paul hat in Corona die Selbstlern-Methode WOL entdeckt und damit eine neue Weise, miteinander zu arbeiten und Ratlosigkeiten und Blockaden zu überwinden.
Es ist ein Montagmorgen Ende März, an dem ich nicht ins Büro, sondern auf den Balkon gehe. Ich sitze nicht mit Freude in der Frühlingssonne. Ich sitze in Quarantäne. Unsichtbar breitet sich da draußen etwas aus, das wir so noch nicht kennen. Computerviren kennen wir, sie blockieren Programme und lassen das digitale System abstürzen. Coronaviren blockieren unsere Begegnungen und bringen unser soziales System zum Wanken. Das Sommersemester soll in wenigen Wochen beginnen und mir wird klar: Auch nach meiner Quarantäne werde ich daheim sitzen bleiben. Im Lockdown.
Ich sitze in Quarantäne.
Ich bin ratlos. Wie soll ich nun meine Seminare gestalten, die angehende Religionslehrer*innen zusätzlich zu den universitären Veranstaltungen im Schulreferat des Bistums belegen müssen, damit sie ihre kirchliche Unterrichtserlaubnis erhalten? Persönlichkeitsbildung und Spiritualität ohne Begegnungen, dafür die Nicht-Atmosphäre virtueller Räume – wie sollte das gehen? Bei meinem Arbeitgeber finde ich statt Rat nur weitere Unsicherheit. Zoom? Geht nicht wegen des Datenschutzes. Homeoffice? Geht nicht wegen der Arbeitssicherheit und der Vorschriften. Warten! Unmöglich, das Semester beginnt.
Warten.
Dass sich die Ratlosigkeit damals im Frühjahr nicht nur bei mir ausgebreitet hatte, wurde zum Ausgangspunkt für meinen Versuch, mit „Working Out Loud“ (WOL) die Blockade zu überwinden. Über zwölf Wochen hinweg arbeiten Menschen zusammen, die nicht durch ihren Arbeitsvertrag dazu verpflichtet sind, sondern Interesse haben, andere an ihren Ideen teilhaben zu lassen – weniger als zielorientiertes Netzwerken, vielmehr als Aufbau von Beziehungen und als gemeinsames Entdecken durch das großzügige Teilen von Themen und Erfahrungen. Was nicht heißen soll, dass WOL eine neue Variante der Befindlichkeitsrunde ist. Nein, es geht prinzipiell um sichtbare Arbeit (Visible Work), zielgerichtetes Verhalten (Purposeful Discovery) und wachstumsorientiertes Denken (Growth Mindset), wobei Beziehungen (Relationships) und Großzügigkeit (Generosity) dafür die Matrix bilden. Die Idee ist älter als Corona. Bryce Williams hat bereits 2010 davon gesprochen, John Stepper hat die Methode weiterentwickelt und sie in seinem 2015 veröffentlichten Buch bekannt gemacht.
Sichtbare Arbeit, zielgerichtetes Verhalten, wachstumsorientiertes Denken, Beziehungen, Großzügigkeit.
Ich machte mich in meinem beruflichen und privaten Netzwerk auf die Suche, und es dauerte nicht lange, bis sich ein Quartett zusammenfand: ein Kunsthistoriker, der nurmehr mit der Absage von Kulturveranstaltungen beschäftigt war; ein Personaler, der Vorstellungsgespräche und Fortbildungen nicht mehr durchführen konnte; eine junge BWLerin, die trotz ihres hervorragenden Abschlusses keine Stelle fand – und ich, ein ratloser Theologe und Mentor. Drei Monate lang trafen wir uns einmal wöchentlich für ein bis zwei Stunden virtuell. Jeder und jede entwickelte die eigenen Projekte weiter, erzählte von Fort- und Rückschritten. Jeder und jede dachte sich in die Themen und Fragen der anderen ein. Wir formulierten unsere Zweifel ebenso offen wie wir Lob äußerten.
Zweifel und Lob.
Zweierlei entstand daraus: Zum einen fanden alle von uns Wege, unsere Arbeit im Lockdown fortzusetzen. Zum anderen machten wir die hoffnungsstiftende Erfahrung, dass der Virus unsere Kreativität, unsere Beziehungen und unsere Freude nicht blockieren kann. Vielleicht muss ich mich in dieser Pandemie damit anfreunden, dass der Plan von heute morgen schon wieder hinfällig sein kann. Ich brauche mich deswegen aber nicht in Ratlosigkeit verlieren. Ich darf hoffen, immer wieder Menschen zu finden, die mir helfen, das auszuhalten. Hoffnung machen uns die, die miteinander neue Pläne machen, die miteinander ein Boot zu zimmern beginnen – oder wenigstens ein Floß – und sich dabei gegenseitig ihr Werkzeug leihen. Damit wir zusammen weiterfahren können.
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Text: Andreas Paul, Theologie und Sozialarbeiter, arbeitet als Pastoralreferent im Schulreferat des Bistums Passau und als Mentor für Lehramtsstudierende mit Fach Katholische Religion an der Universität Passau.
Bild: Ahmed Zayan Unsplash