Julia Blanc beobachtet das kirchliche und theologische Umwelt-Engagement zwischen Klima, Natur und Religion: Es ist noch Luft nach oben.
Diesen Sommer veranstalteten einige Kolleg*innen und ich eine Summer School in Rom zum Thema „Nature and Religion in the Anthropocene“. Rund dreißig Studierende aus unterschiedlichen deutschsprachigen Universitäten nahmen teil; sie kamen aus Theologie und Umweltethik, Soziologie, Anglistik und verschiedenen anderen Fächern – ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Besonders war, dass sie entweder einen theologischen Hintergrund hatten und sich darauf aufbauend auf umweltethische Fragen einließen oder einen umweltethischen Hintergrund und aus diesem heraus religiöse Aspekte beleuchteten.
Die Studierenden bereiteten sich gewissenhaft vor, sie produzierten Podcasts und organisierten Roundtabels. Wenn auch einige in der abschließenden Bewertung meinten, dass die Taktung etwas eng und vor allem zu viele Kirchen auf dem Programm gestanden hatten, waren sich die meisten Teilnehmer*Innen doch einig, dass ein Mehrwert entstanden ist, den es lohnt, weiter in andere Bereiche hineinzutragen. Und: es machte Spaß, so unterschiedliche Bereiche wie Spiritualität und Architektur, Liturgie und Ethik, etabliertes Christentum und Umweltspiritualität in „Frozen“ und „Vayana“ zusammen zu bringen.
Umweltspiritualität in „Frozen“ und „Vayana“
Gerade dieser Blick fürs Zusammenbringen jedoch geht dem Bereich der eco-theology – vor allem im deutschsprachigen Raum – meiner Meinung nach häufig ab. Und zwar auf mehreren Ebenen:
- Die potentiell als „natürliche Verbündete“ ansehbaren Felder der greening of Religions Forschung (meist aus religionswissenschaftlicher oder religionssoziologischer Sicht) und der „klassischen“ Ökotheologie forschen weitgehend unbehelligt nebeneinander her – ergänzend kommt hinzu, dass selbst innerhalb des theologischen Fächerkanons noch viele Berührungsängste bestehen.
- Ökotheologische Forschung findet nur sehr bedingt ihren Weg in die Praxis – ganz egal ob im Schulunterricht oder dem pastoralen Leben vor Ort.
- Viele kirchliche Positionsbezüge scheuen immer noch davor zurück, sich selbst als Akteur im Nachhaltigkeitsbereich mit dem Bereich der Bewusstseinsbildung als Unique Selling Point zu verstehen. Statt dessen wird fast immer zuerst auf „praktische“ Aspekte verwiesen.
Greening of religions
Im weiteren Verlauf des Artikels möchte ich diese Punkte ein wenig vertiefen:
Die „greening of religions“-Theorie wurde seit den 1990er Jahren vor allem im US-amerikanischen Milieu entwickelt. Bron Taylor (Dark Green Religion – auf Deutsch Dunkelgrüne Religion) hat ihr sicherlich zu mehr Aufmerksamkeit verholfen. Aber auch Mary Tucker und John Grim fällt eine nicht zu vernachlässigende Rolle zu. Während Bron Taylor vom Dominum Terrae Vorwurf Lynn Whites herkommend vermehrt das „natürliche“ Wissen um ökologische Zusammenhänge in „alternativen Spiritualitäten“ untersuchte, fokussierten Mary Tucker und John Grim – ermutigt durch ihren Lehrer Thomas Berry (einem katholischen Theologen) – auf ökologisches Wissen in etablierten Religionen. Parallel dazu entwickelte sich – wohl angestoßen durch die katholisch-innerkirchlich damals zumindest umstrittene Position Pierre Teillard de Chardins – ein katholisches Interesse daran, was denn nun zu ökologischen Fragen gesagt werden könnte. Davon über lange Zeit unberührt entwickelte der US-amerikanische theologische Feminismus – unter anderem repräsentiert durch Rosemary Radford Ruether, Catherine Keller und Laurel Kearns – eigene Ansätze im öko-theologischen Diskurs die in großen Teilen mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie im Austausch steht.
Nebeneinander verschiedener Diskurse zu Umwelt und Klima
Spannend, wenn wahrscheinlich auch nicht überraschend ist, wie wenig die drei Bereiche vor allem im deutschsprachigen Raum, aber auch international, aufeinander Bezug nehmen.
Im Gegensatz zu dieser selektiven Aufnahme und Fortführung von Gedankengängen zum Greening of Relgions und eco-theologies, die theoretisch mit in quasi jedem Fach bestehender Blindheit gegenüber fachfremdem Wissen entschuldigt werden kann, wird das einander nicht-wahrnehmen und nicht-rezipieren auf einer anderen Ebene noch einmal viel deutlicher: sowohl qualitative Interviews zu „Urban Green Religions“ (einem SNF-geförderte Forschungsprojekt an der Universität Basel zwischen 2018 und 2021 zum ökologischen Engagement kirchlicher Akteure im lokalen Umweltschutz) als auch aktuelle Umfragen unter angehenden und jungen Religionslehrern machen deutlich, dass Theologie nur in den wenigsten Fällen Ihren Weg „zu den Leuten“ findet.
Dies ist keinesfalls ein auf den Nachhaltigkeitsbereich beschränkter Umstand, sondern lässt sich in verschiedensten Bereichen nachweisen. Trotzdem wird es im Umweltbereich noch einmal deutlicher, da er in diesem Umfang immer noch ein „neues“ Feld des Theologietreibens darstellt. Obwohl selbst diese Zuschreibung schwierig ist. Spannend wäre zum Beispiel eine liturgiewissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen traditioneller Tiersegnungen und Flurumgängen. Oder auch dem osternächtlichen Besuch des Stalles in der vorkonziliaren Tradition[1]… .
Umwelt? Ach wissen Sie, dazu habe ich in meinem Studium nichts gelernt
Aber zurück zum eigentlichen Anliegen: es gibt theologische Auseinandersetzungen mit verschiedensten Aspekten des Umweltbereichs. Es gibt theologische Auseinandersetzungen aus pastoraltheologischer und dogmatischer, moraltheologischer und religionspädagogischer, exegetischer, fundamentaltheologischer und sozialethischer Perspektive. Nur – wozu? Denn rezipiert wird sie in der Glaubensvermittlung kaum bis gar nicht. Auch heute noch lassen sich seit mehreren Jahren im gemeindlichen Leben aktive Pastoralreferenten mit den Worten „ach wissen Sie, dazu habe ich in meinem Studium nichts gelernt – und jetzt habe ich keine Zeit dafür“ zitieren. Im Umweltbereich aktive Akteure sind eher in der Minderheit – und wenn sie dann Engagement zeigen in ihrer Selbstwahrnehmung Exoten, die in mehreren Fällen darauf verweisen, durch Pierre Teilhard de Chardin geprägt worden zu sein (und nicht durch die auf ihn folgenden inzwischen 70 Jahre theologischer Forschung). Selbst noch im Studium stehende Religionslehrer verzichten bei ihren Stundenentwürfen extrem häufig auf theologisches Input und beschränken sich auf das (kritische) Lesen des Schöpfungsberichts.
Lediglich übergeordnete Ebenen wie Dachverbände bemühen sich darum, ihre Positionsbezüge auch theologisch zu untermauern, schaffen es aber – zumindest in den untersuchen vier Benchmark-Cities (Mittelgroße Städte in Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz, die alle den European Energy Award in Gold haben) nicht, ihr Wissen in die Gruppen vor Ort weitergeben zu lassen.
Wissen in die Gruppen vor Ort weitergeben
Das Selbstverständnis der Gemeinden und unterschiedlichen Ortsgruppen im Nachhaltigkeitsbereich lässt sich auch noch einmal anders betrachten: Im Zuge der über 60 Interviews im Urban Green Religions-Projekt wurden die Teilnehmenden eingangs gebeten aufzuzählen, wie und wo sich ihre Gemeinde im Umweltschutz engagiert. Als Antworten kamen der Einbau neuer Heizungen mit besserem Wirkungsgrad, der bewusste Konsum biologisch angebauter Nahrungsmittel bei Jugendlagern und Pfarrfesten, die Teilnahme an Zertifikationsprogrammen wie dem grünen Hahn oder grünen Gockel oder auch die Verwendung palmölfreier Putzmittel. Was nicht, oder höchstens nach längerem Nachfragen kam, waren Aspekte der theologischen Wissensvermittlung oder auch „Mission“ für ökologische Fragestellungen.
Trotzdem betont Jens Köhrsen in seiner Forschung, dass drei Bereiche von kirchlichen Akteuren abgedeckt werden sollten: praktischer Umweltschutz, das Aufgreifen theologischer Überlegungen in der Pastoral und die Kommunikation über das eigene Tun.[2] Ich möchte in meinem Beitrag und auch in meinem gesamten Theologie-Treiben auf keinen Fall so verstanden werden, als wäre ich gegen tätigen Umweltschutz. Dies wäre ähnlich einer theoretischen Unterstützung der Armenfürsorge, nur um dann am Bedürftigen vorbei zu gehen – durch und durch unchristlich und unmenschlich. Trotzdem geben Ansätze wie zum Beispiel die Initiative zur Formulierung des SDG18 „Bewusstseinswandel“ einen Hinweis darauf, wie Theologie auch noch ihren Beitrag leisten kann.
Theologische Forschung zum Öko-Bereich größer denken
Und dafür ist es auch gut, dass es die gesamte theologische Forschung zum Öko-Bereich gibt. Nun bedarf es nur noch ein wenig „größere“ Forschungsansätze, die sich nicht als einzelne Inseln im weiten Feld der Theologie verstehen, sondern vernetzt aufeinander aufbauen und aneinander anschließen. Wenn sie dann noch so formuliert werden, dass eine einfache Rezeption möglich ist, wird vielleicht noch klarer, warum der ganze Bereich der Öko-Theologie so spannend und essentiell für Theologie heute ist.
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Dr. Julia Blanc ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für theologische Ethik an der Universität Passau. Neben Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen interessiert sie sich für Tiere, Frauen als Akteurinnen des Sozialkatholizismus und aktuellen Fragen der Caritaswissenschaft.
Bild: Julia Blanc
[1] Michael Rosenberger und Martin Lintner zeigen diese Aspekte immer wieder ansatzweise auf.
[2] Vgl hierzu: Köhrsen, Jens (2015). Does Religion Promote Environmental Sustainability? – Exploring the Role of Religion in Local Energy Transitions. Social Compass, 62(3), 296–310 oder auch ders. (2018). Religious Agency in Sustainability Transitions: Between Experimentation, Upscaling, and Regime Support. Environmental Innovation and Societal Transitions , 27, 4–15.