Die Bloggerin Mary Pezzulo setzt sich mit der Frage des sexuellen Missbrauchs Jesu auseinander; ein Beitrag mit Vorwarnung.
Eine kleine Vorwarnung für meine missbrauchten Freundinnen und Freunde: Ich werde in diesem Text die Praxis der römischen Kreuzigung und des sexuellen Missbrauchs, der oft damit verbunden war, ziemlich anschaulich beschreiben. Dies nur als Warnung vorweg.
Eine kleine Vorwarnung
Es löst oft Überraschung aus, wenn man darüber spricht oder schreibt, dass Jesus in den letzten Stunden seines Lebens sexuellen Missbrauch erfahren hat. Offenbar wird sehr selten darüber gesprochen. Ich meine, es wird über dieses Thema zu wenig diskutiert. KatholikInnen sind an die drastischsten Beschreibungen der Leiden Christi gewöhnt, aber sie neigen nicht unbedingt dazu, auch über den damit verbundenen sexuellen Aspekt zu sprechen.
Dies ist sehr misslich für diejenigen unter uns, die sexuelle Gewalt überlebt haben. Wenn Sie so etwas durchgemacht haben, dann kann es sein, dass Sie sich richtig dreckig fühlen. Es ist dann einfach zu glauben, dass das Leiden Christi so ganz anders gewesen sein muss. Aber es gibt da etwas, dem wir uns stellen müssen.
Aber es gibt da etwas, dem wir uns stellen müssen.
In den Evangelien wird klar und deutlich beschrieben, dass Christus gegeißelt, dann wie ein König gekleidet, geschlagen und verspottet und dann wieder in seine eigenen Kleider gekleidet wurde. Stellen Sie sich einmal vor, was das genau bedeutet. Tun Sie so, als würden Sie diese Geschichte zum ersten Mal hören. Bei den alten Römern war Sadismus nichts Ungewöhnliches. Sie geilten sich daran auf, Menschen zu verletzen und zu demütigen. Und eine Bande sadistischer römischer Soldaten riss einem Mann die Kleider ab und peitschte ihn aus, während er splitternackt dastand. Dann zogen sie ihm gewaltsam ein demütigendes Kostüm an, schlugen ihn erneut zusammen, rissen ihm das Kostüm ab und warfen ihm seine eigenen Kleider wieder über. Das ist sexueller Missbrauch.
Das ist sexueller Missbrauch.
Und dann war da noch die Kreuzigung. Wir sind alle daran gewöhnt, Jesus am Kreuz mit einem hübschen weißen Lendentuch zu sehen, was angesichts der kulturellen Tabus seiner Zeit schon schlimm genug gewesen wäre. Aber tatsächlich haben die Römer die Menschen nackt gekreuzigt. Ein Teil der Folter der Kreuzigung war die Demütigung, nackt dazuhängen, mitsamt der Erektion, die entstehen kann, wenn ein erwachsener Mann an den Armen aufgehängt wird und erstickt. Manchmal trieben sie noch Schlimmeres mit Pfählen, um so die Schmerzen und die Demütigung zu vergrößern. So starb Christus: nackt, möglicherweise mit einer Erektion, während die Anführer seines Volkes ihn angafften und verlachten.
Das ist sexueller Missbrauch.
Wir können sicher sein, dass zumindest das alles geschehen ist, weil es im Evangelium klar und offen beschrieben wird.
nackt, mit einer Erektion, angegafft, verlacht
Und dann gibt es noch all das, was die Römer mit Gefangenen und zur Kreuzigung Verurteilten üblicherweise anstellten. Zeitgenössischen Historikern zufolge waren anale und vaginale Vergewaltigungen Teil dieser Folter, worauf mein Bloggerkollege Michael Iafrate bereits hingewiesen hat. Das war eben genau das, was römische Soldaten normalerweise mit den Menschen taten, die ihnen zur Folter übergeben wurden. Für mich ist es nicht nur wahrscheinlich, dass Jesus irgendwann während seiner Passion buchstäblich vergewaltigt wurde – es wäre überraschend, wenn es ausgerechnet ihn nicht getroffen hätte.
Ich habe gehört, wie wohlmeinende Leute eine total dumme Antwort auf diesen Gedankengang geben. Sie sagen: „So etwas würde Gott Jesus nicht zustoßen lassen“, oder sogar: „Maria würde das nicht zulassen.“ Ich weiß nicht, was diese Menschen denken, dass die Gottesmutter hätte tun können, um die Römer davon abzuhalten, das zu tun, was Römer eben üblicherweise taten.
„So etwas würde Gott Jesus nicht zustoßen lassen.“
Ein Teil der Agonie, die sie erlitt, bestand ja gerade darin, nichts tun zu können. Und was Gott angeht – der entscheidende Punkt bei der Kreuzigung ist ja, dass er nicht eingegriffen hat. Denn gerade so wollte Gott uns erlösen. Er hätte uns allein kraft seines göttlichen Willens erlösen können, aber er entschied sich dafür, es auf diese Weise zu tun – indem Gott, der Sohn, als Mensch auf die Erde kam und uns erlaubte, all das mit ihm tun, was wir wollten, damit er unsere Hilflosigkeit, unseren Schmerz und unseren Tod mit uns leiden konnte. Jesus hätte es jederzeit abbrechen können, aber er tat es nicht. Gott, der Vater hätte dem ein Ende setzen können, aber er tat es nicht. Gott hat sich bereitwillig hingegeben, in allen Dingen wie wir zu sein, ausgenommen die Sünde.
Und Opfer sexueller Gewalt zu sein, ist keine Sünde.
Opfer sexueller Gewalt zu sein, bedeutet, dass eine schreckliche Sünde gegen den Himmel und gegen das Opfer begangen wurde. Aber nicht das Opfer hat gesündigt.
Und Opfer sexueller Gewalt zu sein, ist keine Sünde.
Christus wurde auf schreckliche, traumatische Weise sexuell missbraucht – er wurde entkleidet und gedemütigt, um der Lust sadistischer Männer willen. Er wurde wahrscheinlich auch noch vergewaltigt. Und er war nicht schuld daran, genauso wie alle Opfer sexueller Gewalt an dieser Gewalt nicht schuldig sind.
Und diejenigen, die Christus nachfolgten und dabei Opfer sexueller Gewalt wurden, sündigten nicht, als sie zu Opfern wurden. Die „jungfräulichen Märtyrer“ der frühen Kirche waren Opfer von Vergewaltigung und allen möglichen Formen sexuellen Missbrauchs und Erniedrigung. Es gibt keinen Grund, warum ihre Folterer ihnen das erspart haben sollten. Aber sie sündigten nicht. Jeanne d’Arc wurde vergewaltigt und sündigte nicht. Wenn der Mörder von Maria Goretti sie erfolgreich vergewaltigt hätte, wäre Maria Goretti unschuldig an seiner Sünde in den Himmel gegangen.
Deshalb müssen wir über diese Dinge sprechen.
Deshalb müssen wir über diese Dinge sprechen. Deshalb ist es so falsch, das vom Tisch zu wischen oder so lächerliche Dinge zu sagen wie: „Gott würde das nicht zulassen“. Opfer sexueller Gewalt fühlen sich so dreckig. Wir haben das Gefühl, dass alles unsere Schuld ist. Das ist eines der Leiden, die wir aushalten müssen: So oft fühlen wir uns wie etwas aus der Hölle, unwürdig, unsere Augen in den Himmel zu heben, nicht wegen unserer eigenen Sünden, sondern wegen etwas, das uns jemand anderes angetan hat.
Und dort im Himmel ist Christus, der genau weiß, wie wir uns fühlen. Nicht nur weil er Gott ist, sondern auch, weil es ihm selbst angetan wurde, als er selbst Mensch geworden war. Und hier an unserer Seite, in uns, im Leiden mit uns vereint, ist derselbe Christus, der dem Vater unseren Schmerz als seine eigene Passion darbringt. Darum geht es bei der Passion Christi: Wir werden in den Leib Christi aufgenommen – und Christus bringt alles, was zu uns gehört, in das Leben der Heiligen Trinität hinein – einschließlich unseres tiefsten Leids.
Und dort im Himmel ist Christus, der genau weiß, wie wir uns fühlen.
Das ist nichts, wofür wir uns schämen sollten zu reden.
Natürlich wurde Jesus sexuell missbraucht: weil er wusste, dass einige von uns missbraucht werden würden.
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Mary Pezzulo erhielt ihren Bachelor of Arts in Englisch an der Otterbein University und studierte Philosophie an der Franciscan University in Steubenville. Sie lebt in der ehemaligen Stahlwerksstadt Steubenville, Ohio, an der Biegung des Ohio, wo der Rust Belt die Appalachen trifft. Sie bloggt täglich über „Religion, Politik, Kunst und soziale Gerechtigkeit“ im „Steel Magnificat“ im katholischen Kanal von Patheos.
Erstveröffentlichung in englischer Sprache auf dem Blog Steel Magnificat am 7.3.2019.
Übersetzt und leicht bearbeitet von Stefan Silber, Professor für Didaktik der Theologie im Fernstudium mit Schwerpunkt Systematische Theologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Christ_at_the_Column-Caravaggio_(c._1607).jpg