Elena Procario-Foley (New York), Expertin in Jüdisch-Katholischen Studien, gibt Hinweise, wie in Liturgie und Predigten der Karwoche bewusster Antisemitismen vermieden werden können. Eine Übersetzung aus dem Englischen.
Angesichts der Anschläge auf Synagogen und exponentiell wachsender Gewaltstatistiken gegen jüdische Menschen und Einrichtungen ruft Elena Procario-Foley, Brother John G. Driscoll-Professor for Jewish-Catholic Studies an der Iona Universität in New York, dazu auf, diese Karwoche ganz bewusst darauf zu achten, in Predigt und Liturgie keine impliziten und expliziten Ausdrücke von Judenhass und Antisemitismus zu verwenden. Der Text wurde am 21. März 2023 auf der Webseite Faith and Leadership der Duke Divinity School auf Englisch veröffentlicht. Ihre links zu englischen Webseiten und Ressourcen sind hier übernommen:
Es ist eine Pflicht der Gemeinden, dass antijüdische Argumente und Stereotype nicht verstärkt werden.
Es ist eine heilige Pflicht im gesamten liturgischen Jahr, das Evangelium ohne Verachtung und Worte der Gewalt gegenüber dem Judentum zu predigen.[1] Aber das ist ganz besonders wichtig in der Karwoche, die über viele Jahrhunderte für jüdische Gemeinden die gefährlichste Zeit war.
Verantwortliche in Gemeinden stehen in der Pflicht, ihre Gemeindemitglieder über diese Geschichte aufzuklären und darauf zu achten, dass antijüdische Argumente und Stereotype nicht verstärkt werden. Wer in dieser Zeit des wiederauflebenden Antisemitismus und wachsender Unsicherheit für Juden weniger tut, riskiert dazu beizutragen, dass antijüdischer Hass weiterwächst.
Im Dezember 2022 veröffentlichte der Council of Centers on Jewish-Christian Relations, dem ich angehöre, „A National Reckoning of the Soul: A Call to the Churches of the United States to Confront the Crisis of Antisemitism.“
Daraus möchte ich insbesondere diesen Satz zitieren:
„In dieser entscheidenden Zeit, wie auch in der Vergangenheit, besteht die Gefahr, dass Prediger und Lehrer unbeabsichtigt ein Bild von Jesus zeichnen, der sich „außerhalb“ des Judentums – oder schlimmer noch, irgendwie im Gegensatz zu den religiösen Traditionen seines eigenen Volkes befindet. Solche Bilder können christliche Gemeinden für spalterische antijüdische Propaganda anfällig machen, die überall um sie herumschwirren.“
Ich unterstreiche das Wort „unbeabsichtigt“, um auf die enormen Fortschritte zu verweisen, die inzwischen schon erzielt wurden, aber auch auf die Arbeit, die immer noch geleistet werden muss, damit jüdisch-christliche Versöhnung gelingt.
Liturgie ist ein Raum, in den unbeabsichtigt Antijudaismus und Antisemitismus einfließen kann.
Liturgie ist eine sehr intime, gemeinschaftliche Erfahrung. Gerade deshalb ist sie ein Raum, in den unbeabsichtigt Antijudaismus und Antisemitismus einfließen kann. Die Macht der liturgischen Zyklen – in Verkündigung, Ritual, Sakrament, Raum und Musik – kann auf subtile Weise Botschaften senden, die wir vielleicht nicht willentlich beabsichtigen.
Deshalb mache ich hier zehn Vorschläge, die von christlichen und jüdischen Expert*innen im Dialog entwickelt wurden, deren Arbeit darauf ausgerichtet ist, die Beziehungen zwischen Juden*innen und Christ*innen zu verbessern.
Die Konzentration auf historische Genauigkeit hebt die jüdische Identität Jesu hervor.
- Machen Sie sich mit der Geschichte vertraut. Wenn Sie sich auf Ihre Predigt vorbereiten, denken Sie daran, dass die Karwoche für Juden historisch gesehen die gefährlichste Woche des Jahres war. Im Mittelalter wurden die Christen zu Gewalt gegen Juden angestachelt. Gesetze hinderten Juden daran, ihre Häuser zu verlassen, entweder zum Schutz vor der so genannten jüdischen Entweihung des christlichen Glaubens oder zum Schutz der Juden vor christlicher Gewalt, die versuchten sie für das Ende der Tage zu „retten“. In der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils wird betont, dass „die Konzentration auf historische Genauigkeit die jüdische Identität Jesu hervorhebt“.
- Machen Sie sich mit den kirchlichen Erklärungen ihrer Konfession zur Umkehr in den Beziehungen zu Juden und Judentum vertraut. Es gibt viele hervorragende Erklärungen, aber nur wenige sind allgemein in den Gemeinden bekannt. Für den Anfang sollten Sie sich mit Franklin Shermans ausgezeichneter zweibändiger Sammlung „Bridges: Documents of the Christian-Jewish Dialogue“ oder mit der Webseite des Internationalen Rates der Christen und Juden vertraut machen.
- Predigen Sie klar und konsequent, dass Jesus und seine Anhänger*innen praktizierende Juden und Jüdinnen zur Zeit des Zweiten Tempels in Jerusalem waren. Vermeiden Sie unbedingt im Sinne eines „wir“ gegen „sie“ zu predigen oder so zu lehren, als hätte ein „Christentum“ in den letzten Tagen Jesu als eine voll entwickelte Religion existiert.
Die Jesus-Bewegung war eine mehrerer Möglichkeiten, den besten (jüdischen) Weg zu finden.
- Unterstreichen Sie in Ihren Predigten die reiche Vielfalt jüdischen Lebens zur Zeit Jesu. Die Jesus-Bewegung war eine mehrerer Möglichkeiten, den besten (jüdischen) Weg zu finden, um mit Gott in Beziehung zu treten. In der Osterzeit konzentrieren sich die Sonntagslesungen auf die frühe Gemeinde und die so genannte Geburt der Kirche.
Allzu oft höre ich Predigten, in denen die manchmal harsche Rhetorik bestimmter neutestamentlicher Passagen so verwendet wird, als handele es sich dabei um offiziell entwickelte Lehrmeinungen der Kirchen gegenüber Juden und Judentum zu jener Zeit. Machen Sie stattdessen deutlich, dass es sich bei diesen Passagen um innerjüdische Debatten im ersten Jahrhundert handelt.
- Untersuchen Sie unsere geliebte Kirchenmusik und entfernen Sie Substitutionstheologie. Der christliche Triumphalismus ist oft in unsere Hymnen eingebettet und eine der Einfallswege für Antijudaismus in unsere Gottesdienste – oft ungewollt. Eine Webseite des Boston College enthält überarbeitete Texte für die Hymnen „Lift High the Cross“ und „Lord of the Dance“ sowie weitere Materialien für die Fastenzeit und die Karwoche. (Ähnliches gibt es von der Konferenz landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden: Israel im Gesangbuch.)
- Verhindern Sie, dass mit dem liturgischen Rahmen und Gebrauch der Heiligen Schrift implizit eine falsche Botschaft vermittelt wird. Traditionell wurde den Juden vorgeworfen, sie seien verstockt und vorsätzlich ungläubig, oder wesensmäßig Verräter und Kinder des Teufels (Joh 8,44-45), die sich weigerten, an Jesus als den Messias und die Wahrheit ihrer eigenen Schrift zu glauben.
Dunkelheit nicht antijüdisch verbrämen und Licht nicht triumphalistisch auf Neues Testament nutzen
Seien Sie vorsichtig, wenn Ihre Gemeinde Osternachttrituale feiert, in denen der physische Übergang von der Dunkelheit ins Licht und ein Zyklus von Schriftlesungen verwendet werden, die einen Bogen der Heilsgeschichte entwerfen. Achten Sie darauf, dass die Dunkelheit nicht antijüdisch verbrämt wird oder die Osterwache zum Licht für triumphalistische Auslegungen des Neuen Testaments benutzt wird, wonach die Hebräische Bibel nur noch christologisch gelesen werden kann. Betonen Sie, dass Jesus die Thora gebetet und die Propheten zitiert hat und dass Christen, wie es die Päpstliche Bibelkommission in „Das jüdische Volk und seine heiligen Schriften in der christlichen Bibel“ dargelegt hat, die jüdische Auslegung der Hebräischen Bibel respektieren müssen.
- Vermeiden Sie die gefährlichen Gottesmord- und Blutfluchvorwürfe (Mt 27,25), die seit Jahrtausenden zu Gewaltexzessen gegen jüdische Menschen und Gemeinden geführt haben. Ob bei der Rezitation der Passionsgeschichte oder bei dramatischen Darstellungen, prangern Sie die gefährliche und falsche Anschuldigung an, dass alle Juden überall und zu allen Zeiten für den Tod Christi verantwortlich sind und daher eine brutale Bestrafung verdient haben. Rom hat Jesus hingerichtet.
- Kooptieren Sie jüdische Rituale nicht. In dem aufrichtigen Bemühen, die jüdischen Wurzeln des Christentums besser zu verstehen, halten einige Gemeinden christliche Pessach Sederfeiern ab und lesen sogar christologische Bedeutungen in die Symbole und Rituale der Pessach Feier hinein. Wenn Ihre Gemeinde das Judentum als Quelle christlicher Spiritualität verstehen möchte, dann laden Sie stattdessen örtliche Rabbiner*innen und Mitglieder der Synagoge zu einem Gespräch mit Ihren Gemeindemitgliedern ein. Dann können Sie im Dialog die Bedeutung dieser Frühlingsfeiertage der Freiheit und Befreiung in den beiden Religionen erkunden. Oder jüdische und christliche Gemeinde könnten gemeinsam eine Sederfeier zur Lehre und Unterricht veranstalten.
Es geht nicht um gegenseitige Übertrumpfung
- Predigen Sie nicht, dass die Juden ihren Bund mit Gott verloren haben. Christliche Verkündigung ist kein Nullsummenspiel, bei dem es darum geht, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Christen können sich über die jüdische Bundestreue freuen und daraus lernen, und gleichzeitig an Ostern feiern, dass die Christenheit am Bund Gottes teil hat.
- Verpflichten Sie sich, so über die christliche Erlösung zu predigen und zu lehren, dass die Opfer der Synagogenanschläge in Pittsburg (und Halle) und die brennenden Kinder in Auschwitz davon nicht beleidigt werden.
Verkünden Sie die gute Nachricht vom auferstandenen Christus – ohne das Judentum zu verunglimpfen.
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Übersetzt aus dem Englischen von Dr. Katharina von Kellenbach, Evangelische Akademie zu Berlin, Projekt Bildstörungen.
Erstveröffentlichung auf Englisch: https://faithandleadership.com/10-ways-avoid-inadvertent-antisemitism-during-holy-week
Mit herzlichem Dank für die freundliche Copyright Genehmigung an Faith & Leadership, a learning resource for Christian leaders and their institutions from Leadership Education at Duke Divinity, Durhem, NC.
[1] Elena Procario-Foley ist langjähriges Mitglied der Christian scholars Group, die 2005 „A Sacred Obligation. Rethinking Faith in Relation to Judaism and the Jewish People“ veröffentlicht hat. Als Buch: Mary Boys (Hg)., Seeing Judaism Anew. Christianity’s Sacred Obligation, Lanham, 2005.
Beitragsbild: Crucifixion, Sigmund Gleismüller (attributed to), c. 1475 – c. 1500, Rijksmuseum Amsterdam