Angesichts des Missbrauchsskandals in der Katholischen Kirche fordert Katharina von Kellenbach einen zeichenhaften Umgang mit Schuld. Welche Rolle spielen dabei vergorener Wein und durchsäuertes Brot?
Das Spektakel kirchlicher Hilflosigkeit im Umgang mit dem sexuellen Missbrauchsskandal ist umso bedrückender, als es ein Verrat an den theologischen Traditionen der Schuldbewältigung ist. Hier, in der Krise, besteht die Möglichkeit, Buße neu zu definieren und modellhaft für die säkulare Moderne zu leben.
Das Schuldbekenntnis ist nur der erste Schritt im Bußsakrament.
Bislang erlebt die Öffentlichkeit nur Schuldbekenntnis und Vergebungsbitten: ob wie kürzlich aus päpstlichem Mund in Irland oder auf lokaler Ebene in Gemeinden und bischöflichen Diözesen, wie gerade in Pennsylvania, USA. Auch der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, bat angesichts der Ergebnisse der Studie zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Priester, Ordensleute und Laien um Entschuldigung. Aber das Schuldbekenntnis ist nur ein Schritt im Bußsakrament, das bekanntlich aus drei Schritten besteht: contritio, confessio und satifactio. Wie kann dieser Bußprozess für die kirchliche Schuldbewältigung fruchtbar gemacht werden, um die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Botschaft und Praxis wiederherzustellen?
Confessio zielt auf Wahrheitsfindung und fordert radikale Transparenz. Das verlangt Mut, sich den Tatsachen zu stellen, die in Wahrheitskommissionen, staatsanwaltlichen Untersuchungsberichten und historischer Archivforschung an die Öffentlichkeit gebracht werden. Wer hat dazu schon den Mut? Nur solche Menschen und Institutionen, die der christlichen Versöhnungsbotschaft tatsächlich Glauben schenken. Nichts macht die Kirche in der Verkündigung der Heilsbotschaft unglaubwürdiger als die bürokratische Flucht in Scheinheiligkeit und Dienstgeheimnis.
Contritio, seit der Reformation heftig umstritten, kann nur zeichenhaft in konkreten Taten sichtbar gemacht werden. Spätestens seit Luther, aber vermutlich schon immer, ist klar, dass nur Gott beurteilen kann, ob ein Reuegeständnis „echt“ und wahrhaftig gemeint ist. Dennoch wird Reue in öffentlichen Absagen und offiziellen Schuldsprüchen geschaffen, vor Gericht und in kirchlichen Amtshandlungen. Wo kein Schuldspruch ergeht und keine Sanktionen verhängt werden, entsteht vermutlich auch keine Reue. Solange contritio lediglich eine Sache des Herzens und nicht auch des Tuns ist, bleibt sie selbstbezogen und trägt nichts zur fruchtbaren Bearbeitung von Schuld bei.
Ein Fastentag für den ganzen Klerus.
Was wir brauchen, sind zeichenhafte Taten, wofür die Tradition ein reichhaltiges Repertoire bereithält: Papst Franziskus könnte verpflichtend für den gesamten Klerus einen Fastentag ausrufen und damit ein Zeichen setzen, dass sich jeder Priester, Bischof, und Kardinal, öffentlich hungernd, mit der Schwere der Vergehen und des Versagens vertraut macht. Reuerituale sind sinnlich konkrete Akte des Verzichts auf Wohlbefinden (Fasten), Ehre (Sack und Asche) und Macht, wie z.B. der barfüßige Bußgang Kaiser Heinrichs IV. über die Alpen nach Canossa im Jahr 1076. In der Bereitschaft zu leiden und im Verzicht auf Privilegien werden Energien freigesetzt, die versteckte Scham und sprachlose Schuld zum aktiven Dienst am Unheil und seiner Veränderung verwandeln. Es ist das performative Werk der contritio, mit dem eine äußerlich bezeugte Reue glaubwürdig wird und zur innerlichen Erneuerung beiträgt.
Nicht zu vergessen, der dritte Schritt der satisfactio, das Bemühen, den Opfern Recht zu verschaffen und den Schaden zu lindern. Hierher gehören Rituale wie Entschädigungszahlungen, aktive Beihilfe für Opferorganisationen und institutionelle Reformen. Ich benutze das Wort „Ritual“ bewusst, um anzudeuten, dass es sich hier nicht um einmalige Aktionen handeln kann, sondern um eine zeichenhafte Praxis über Jahre hinweg. Satifactio muss Teil kirchlicher Identität und Verpflichtung werden. Es gibt keine Versöhnung ‒ also Neuanfang ‒ ohne grundlegende Veränderung und Konversion.
Reinigung heißt nicht, den Dreck unter den Teppich zu kehren.
Ich möchte das am Begriff der „Reinigung des Gedächtnisses“ veranschaulichen, den Papst Johannes Paul II. für das Jubiläumsjahr 2000 benutzt hat, um den Neuanfang nach zwei Jahrtausenden einschließlich kirchlicher Schuld an Kreuzzügen, Inquisition, Holocaust, Rassismus und Sexismus zu wagen. Wie reinigt man geschichtliche Schuld? Auf welchem Boden findet der Neuanfang statt?
Reinigung kann nicht bedeuten, den Dreck unter den Teppich zu kehren. Ebenso wenig kann es genügen, das Haus der Kirche zu putzen, in dem man einzelne, schuldig gewordene Priester und die sie deckenden Vorgesetzen entfernt, obwohl dies Teil der Reform sein muss. Jeder Waschvorgang produziert Abwasser und Schmutz, der entsorgt werden muss. Wir haben uns allzulange darauf verlassen, dass unser Schmutz über Kanalsysteme verschwindet oder diskret von der Müllabfuhr abgeholt und in die Vergessenheit überführt wird. Tatsächlich schwelen die Überreste unserer Säuberungsaktionen in Müllhalden weiter und ersticken unsere Flüsse und Meere.
Wir brauchen neue Bilder: arbeitender Sauerteig, vergärender Wein.
Was zählt: zeichenhafte Reuepraxis
Auch der Müll schuldhaften Handelns verschwindet nicht nach religiösen und institutionellen Waschritualen, die uns unweigerlich verpflichten, zu vergeben und zu vergessen. Das Neue entsteht nicht, wo der Dreck ausgesondert, entfernt und vernichtet wird. Dreck ist eine Ressource, die dekontaminiert, kompostiert, und fruchtbar gemacht werden kann und muss, damit das Neue darauf wachsen kann. Die Reinheit der Kirche, von Johannes Paul II. im Bild der reinen Jungfrau Maria symbolisiert, sollte durch die Symbole des reinen, vergorenen Weines und des durchsäuerten Brotes ersetzt werden. Es stinkt, wenn Trauben gären und Sauerteig arbeitet, aber das Resultat ist lebensspendend. Der Prozess zeichenhafter Reuepraxis ist schmerzhaft und anstrengend, und wird erst in der Hoffnung auf radikale Erneuerung schuldbelasteter Personen und Institutionen erträglich und erstrebenswert.
Wir brauchen neue Bilder und Methoden, die Mut machen, den Schrecken und Ekel zu überwinden, um im Dreck den Kompost eines produktiven Neuanfangs zu sehen. Der sexuelle Missbrauchsskandal ist eine Chance zur Besinnung auf alte Praktiken radikaler Hoffnung. Wenn nur jemand daran glauben würde.
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Autorin: Katharina von Kellenbach, Professorin für Religious Studies am St. Mary’s College of Maryland, ist die Autorin von The Mark of Cain: Guilt and Denial in the Lives of Nazi Perpetrators (Oxford 2013) und leitet zusammen mit Matthias Buschmeier die interdisziplinäre Forschungsgruppe „Felix Culpa? Zur kulturellen Produktivität der Schuld“ am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung in Bielefeld.
Aus dem Englischen übersetzt von Norbert Reck.
Bildquelle: Wine-Dharma / Unsplash.com