Der Begriff der Zeitenwende war der Aufhänger im Beitrag von Daniel Bogner zu einem Friedensethos nach 2/24. Diese Perspektive hinterfragt Jochen Dudeck in einer Zuschrift an die Redaktion.
Es ist erstaunlich, wie das Framing von einer „Zeitenwende“ die gegenwärtige Debatte prägt. Meines Erachtens kann davon nicht die Rede sein. Um 1760 herum schrieb der Quäker John Woolman in seinem „Plea for the Poor“: „Schauen wir auf unsere Schätze, die Möbel unserer Häuser und unsere Kleidung und untersuchen wir, ob der Same des Krieges in diesen unseren Besitztümern Nahrung gefunden hat.“
Damals ging es um die Abschaffung der Sklaverei. Und heute? Der „Exportweltmeister“ Deutschland ist völlig abhängig von einem ständigen Zufluss an fossiler Energie und anderen Rohstoffen. Der Reichtum an Bodenschätzen hat leider in vielen Regionen dazu geführt, dass kleptokratische Oberschichten diesen an sich gerissen haben. So lange der reiche „Westen“ bereit ist, nicht nur das den Völkern gestohlene Geld gewinnbringend anzulegen und mit jeder Diktatur – auch der widerlichsten – gute Geschäfte zu machen, wird sich nichts ändern.
Nach den Tschetschenienkriegen, der Invasion in Georgien 2008 und der Unterstützung des völkermordenden Assad-Regimes dürfte den Verantwortlichen Berlin doch klar gewesen sein, wes Geistes Kind die russische Führung ist. 2014 besetzte Russland die Krim und begann mit einem Destabilisierungskrieg im Donbass. 2018 starteten die Verlegearbeiten von Nordstream 2. Was sich seit „24/2“ geändert hat, ist lediglich, dass man nun beim besten Willen nicht mehr wegsehen kann.
Wie nicht anders zu erwarten, hat das allgemeine Gefühl der Bedrohung dazu geführt, dass sich für die üblichen Verdächtigen – von der Agrar- bis zur Rüstungsindustrie – die Möglichkeit ergeben hat, ihre wirtschaftlichen Interessen auf breiter Front durchzusetzen. Es wird herzlich wenig zur heutigen „Sicherheit“ beitragen, wenn ein geplantes deutsch-französisches Kampfflugzeug (FCAS) im Jahr 2040 (!) einsatzfähig ist. Eine „Zeitenwende“ wäre es dann, wenn die Regierenden den Menschen klar machen würden, dass es kein Menschenrecht auf billige Energie und grenzenlosen Konsum auf Kosten anderer gibt.
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Jochen Dudeck ist Schreiber (Sekretär) der deutschen und österreichischen Quäker, einer der historischen Friedenskirchen.
Der Leserbrief bezieht sich auf diesen Beitrag von Daniel Bogner:
Zeitenwende. Ein Ethos des Friedens nach 2/24
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