Wie Transformationsprozesse gestaltet und überholte Strukturen vom Kopf auf die Füße gestellt werden können, das fragten sich Theologinnen aus Wissenschaft und Bildungseinrichtungen beim AGENDA-Regionaltreffen im Haus Klara, Oberzell. Ein Bericht von Simone Birkel, Magdalena Hürten und Katharina Leniger.
Sie sind überall zu sehen, zu hören, zu spüren: Umwälzungen, die das Leben, wie es war, vom Kopf auf die Füße stellen – oder umgekehrt. Transformationsprozesse sind notwendig, um mit Blick auf die kommenden Generationen Grundlagen für gelingendes Leben zu schaffen. Dabei betreffen sie nahezu jede:n und alle vorstellbaren menschlichen Bereiche, beispielsweise ökologische, ökonomische und soziale Fragen, Politik und Partizipation angesichts von Identitätsfragen und Digitalisierung, die Verteilung von Macht und die Organisation des öffentlichen Lebens. Nicht zuletzt ausgehöhlte Strukturen in Kirche und Theologie zeigen: „Es ist Druck im Kessel.“
Prozesse gelingen gemeinschaftlich.
Spaltungen und Krisen treten deutlich zu Tage. Die Wahrnehmung, dass es so nicht weitergehen kann oder bereits vieles versäumt wurde, ruft Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Resignation und Überforderung hervor, bisweilen macht sich aber auch Kampfgeist breit. Dabei wird deutlich, dass, Transformation zu gestalten, eine Zerreißprobe sein kann und diese Prozesse im Sinne des Lebens am besten gelingen können, wenn sie gemeinschaftlich und im Dialog angegangen werden.
Die Frage, warum bleiben, stellt sich für Theologinnen auf eine existentielle Art, ist damit doch auch die Frage nach der beruflichen Zukunft verknüpft. Die Theologinnen, die sich im AGENDA-Regionaltreffen Bayern organisieren, haben sich entschlossen, zu bleiben. Ihnen ist es wichtig, gemeinsam innerhalb der Kirche AndersOrte1 zu schaffen, die aufzeigen, wie es besser gehen kann und warum es wichtig ist, die bestehenden Räume anders zu prägen. Sie wollen gemeinsam gestalten und damit Ideen im Kopf auf die Füße stellen. Das Thema Transformation erleben Theologinnen gerade in der Institution Katholische Kirche als Gestaltungschance einerseits und Zerreißprobe andererseits.
Schöpfen und Erschöpfung.
Die mehr als notwendigen Umbrüche bieten die Chance, neue Strukturen, gelingende Kommunikationsprozesse und zukunftsrelevante Themen einzubringen. Auf der anderen Seite melden beispielsweise viele der beim Synodalen Weg beteiligten Frauen zurück, dass die Umgestaltungen unglaublich viel Energie rauben und eine hohe Frustrationstoleranz notwendig ist. Allerdings ist diese Ambivalenz auch in außerkirchlichen Transformationsprozessen spürbar. Frauen leben dabei nicht selten im Zwiespalt zwischen „Schöpfen und Erschöpfung“, wie es die beiden Transformations-Vordenkerinnen Maja Göpel und Eva von Redecker gerade in einem neuen Bändchen zusammengefasst haben.2 Auch viele Theologinnen verstehen ihr Engagement als stille Revolution ganz im Sinne von Eva von Redecker, als „Prozesse der Vorwegnahme von dem, was man nach der Revolution gern sähe, als Einübung eines anderen Lebens in den Zwischenräumen des Bestehenden.“3
Dr. Katharina Ebner, Leiterin der Nachwuchsgruppe „Herrschaft“ an der Würzburger Katholisch-Theologischen Fakultät, stellte im Rahmen des Regionaltreffens ihre Sichtweise auf die vielfältigen Phänomene und Notwendigkeiten dar, die sich in Bezug auf Transformationsprozesse an den Schnittpunkten von Religion und Staat ergeben. Aufbauend auf ihrer Dissertation4 zeigte sie, inwiefern ein grundlegendes Umdenken und Umstrukturieren hilfreich wäre, um die positiven Beiträge, die Religionsgemeinschaften für das Funktionieren von Staat und Zivilgesellschaft leisten, auch nachhaltig gestalten zu können. Deutlich wurde dabei, dass schon die Differenzierung der Begrifflichkeiten eine komplexe Herausforderung ist:
Wer ist mit Religionsgemeinschaft gemeint? Wer transformiert Kirche? Und welchen Mehrwert haben so genannte und häufig beschworene „christliche Werte“ für die Zivilgesellschaft? Insbesondere wurde deutlich, dass Wechselwirkungen zwischen den mindestens zwei Bereichen (hier: Kirche und Staat) nicht nur wünschenswert, sondern auch unvermeidlich und notwendig sind: Was kann Kirche in den Staat oder ein Gemeinwesen einbringen? Wie können Religionsgemeinschaften ein gesellschaftliches, staatliches System kritisch begleiten und stützen? Was kann oder muss Religion von freiheitlich-demokratischen Strukturen übernehmen und lernen?
Lerneffekt aus freiheitlich-demokratischen Strukturen.
Diskutiert wurde u.a., ob der Lerneffekt aus freiheitlich-demokratischen Strukturen für die Kirche lediglich die Beteiligungsprozesse betrifft – und damit zunächst einen Rahmen vorgibt, in dem inhaltliche Punkte herausgearbeitet werden – oder darüber hinaus auch eine inhaltliche „Füllung“ übernommen werden kann, wie bspw. über menschenrechtliche Konzepte. Deutlich wurde in jedem Fall, dass Diskursräume geöffnet und geschützt werden müssen, in denen eine Aushandlung darüber stattfinden kann, was als Kern und Mehrwert von Religionsgemeinschaften in den Staat eingebracht werden kann. Es geht konkret im christlichen Kontext um die Frage, wer die Deutungshoheit darüber be- und erhält, wie bspw. die Kirchen gesellschaftliche Strukturen gestalten können.
Dass zentrale christliche Vorstellungen eines guten Lebens bereits in demokratische Prozesse eingespeist werden und Beteiligung so auf verschiedenen Ebenen längst geschieht, wurde nicht zuletzt an den praktischen Einblicken von Dr. Margaretha Hackermeier, Vertreterin des katholischen Büros Bayern, deutlich. Als aktuelle Beispiele von Transformationsprozessen nannte sie die Diskussion rund um das kirchliche Arbeitsrecht oder die Situation von fehlenden kirchlichen Mitarbeiterinnen, die insbesondere für die Sicherstellung des schulischen Religionsunterrichts relevant seien.
AndersOrt: Tagungshaus St. Klara in Oberzell.
Bei Transformationsprozessen ist es hilfreich, sich bereits an bestehenden AndersOrten, wie dem Tagungshaus St. Klara [https://www.hausklara.de/nachhaltigkeit#] mit seiner sozial-ökologischen Ausrichtung zu orientieren. Sr. Beate Krug, seit 2016 die Nachhaltigkeitsbeauftragte des Klosters, schilderte den Weg, der in Oberzell bereits gegangen wurde. Mittlerweile sei es ein Selbstläufer, bei anstehenden Renovierungen auf dem Klostergelände, immer die ökologisch beste Variante im Blick zu haben. Sr. Beates Rat ist es, nicht zu warten, bis es nicht mehr geht, sondern vorausschauend Dinge zu gestalten. Dabei ist es hilfreich, nicht immer sofort das Ganze transformieren zu wollen, sondern auch exemplarisch zu arbeiten.
Öffentlichkeitsarbeit und hilfreiche Tipps, wie z.B. der Hinweis, wieviel CO2 bei der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Vergleich zur Anreise mit dem PKW gespart werden kann, motivieren zum klimafreundlichen Handeln der Besucher:innen, zumal wenn die Tagespauschale für den klostereigenen Parkplatz entsprechend hoch ist. Auch bei der Auswahl des Essens steht die vegetarische Variante an erster Stelle. Der Wunsch nach klimaschädlicherer fleischlicher Kost muss bei der Belegung extra angefordert werden.
Auch innerhalb des Netzwerkes AGENDA – Forum katholischer Theolginnen e. V. wird damit gerungen, wie veränderte Bedingungen einer besonderen Wahrnehmung bedürfen: Mit dem Projekt „Leerstelle“ legen Theologinnen der Jungen AGENDA den Finger in die Wunde, warum gerade fähige junge Frauen in der Theologie keine Zukunft mehr sehen.
Professorin Dr. Sabine Bieberstein und Professorin Dr. Simone Birkel zeigten mit einem Blick in die Bibel, dass Umbrüche zu den menschlichen Urerfahrungen gehören. Als die Jerusalemer Oberschicht nach Babylon deportiert war, konnte sich nach etwa 50 Jahren die scheinbare unbesiegbare Supermacht Babylon nicht mehr halten und brach in sich zusammen. In Babylon hat unter den deportierten Judäerinnen und Judäer ein klarsichtiger Mensch, dessen Namen wir nicht einmal mehr kennen und den wir deshalb Deuterojesaja nennen, die Ereignisse beobachtet und die Zeitenwende kommen sehen. Scharfsichtig hat er:sie auch die Konsequenzen für die Judäer:innen formuliert. In überschäumenden Bildern einer neuen Schöpfung und eines neuen Exodus malt er:sie aus, dass eine neue Zeit kommt und wie sie kommt. Als Urheber:in von alledem sieht er:sie Gott. So lässt er:sie Gott in Jes 43,18–19 sagen:
Denkt nicht an das Frühere, und auf die Vorzeit achtet nicht! Siehe, ich mache Neues, jetzt sprießt es auf, erkennt ihr es nicht? Ja, ich mache in der Wüste einen Weg, in der Einöde Wasserströme.
Deuterojesaja sieht, wie das Neue kommt und dass es gilt, es zu ergreifen und es zu gestalten. In diesem Sinne wurden gemeinsam gesammelte Entmutigungssätze transformiert, nämlich in Ermutigungssätze. Symbolisch wurden die mit Hindernissen beschriebenen Papiere der Teilnehmer:innen in Schmetterlinge umgestaltet. Und damit schließt sich der Kreis, ist doch der Schmetterling in der christlichen Symbolik das Symbol für Transformation und Wandel. Die Transformation von der Raupe zum Schmetterling ist Hinweis auf die Ungewissheit und Unsichtbarkeit des kommenden, gewandelten Zukünftigen. Schließlich weiß ein Schmetterling selbst nicht, in welchem Stadium der Transformation er sich gerade befindet – und so kann der Schmetterling Ermutigung und Mahnung zugleich sein.
___
Autorinnen:
Prof. Dr. Simone Birkel ist Vertretungsprofessorin für Religionspädagogik an der Fakultät für Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und beschäftigt sich mit Transformationsprozessen im Kontext einer religiösen Bildung für nachhaltige Entwicklung (rBNE). Sie ist außerdem Mitglied im Bundesvorstand von AGENDA – Forum Katholische Theologinnen e.V.
Magdalena Hürten ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg. Im Rahmen ihrer Promotion untersucht sie Formen der Epistemic Injustice im Sprechen über Missbrauchsfälle in der Gründungsgeschichte der St. Franziskusschwestern Vierzehnheiligen.
Katharina Leniger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie arbeitet an einer Promotion zu Versöhnungsprozessen im Justizvollzug und zum transformativen Potenzial der Restorative Justice.
Bild: Suzanne D. Williams, unsplash.
- Mit dieser Schreibweise wird auf eine Projektidee von Simone Birkel, Martin Schneider und Katharina Karl von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt verwiesen, welche sozial-ökologische Transformationsorte identifizieren und sichtbar machen möchte. ↩
- Vgl. Göpel, Maja / von Redecker, Eva / Tsomou, Margarita / Haas, Maximilian, Schöpfen und Erschöpfen, Berlin 2022. ↩
- Ebd. 72 ↩
- Ebner, Katharina, Religion im Parlament. Homosexualität als Gegenstand parlamentarischer Debatten im Vereinigten Königreich und in der Bundesrepublik Deutschland (1945–1990), Göttingen 2018. ↩