In den vergangenen Wochen haben vier Städte den Klimanotstand ausgerufen. Stadtbewohner*innen sind die Hauptbetroffenen des Klimawandels. Aber Christinnen und Christen können aktiv an der Zukunftsfähigkeit der Stadt mitarbeiten. Von Martina Bär.
Die Stadt Basel hat als erste Stadt im deutschsprachigen Raum am 20. Februar den Klimanotstand ausgerufen. Sie folgt damit dem Beispiel anderer Städte wie London, Los Angeles und Vancouver, die dies bereits in den vergangenen Wochen getan haben. Die Stadt Basel signalisiert damit politisch, dass es den Klimawandel als Problem anerkennt. Die Eindämmung des Klimawandels und seiner schwerwiegenden Folgen werden nun als urbane Aufgabe von höchster Priorität betrachtet.
Basel hat den Klimanotstand ausgerufen. Schüler*innen hatten zu einer Großdemonstration aufgerufen.
Auslöser für dieses politische Statement ist eine Großdemonstration Anfang Februar in Basel gewesen, an der nach Angaben der Polizei 8.000-10.000 Menschen teilgenommen haben. Schüler*innen hatten zu dieser Demonstration aufgerufen. Sie verfassten eine Resolution zum Klimanotstand, die nun mit einer Zweidrittelmehrheit vom Basler Stadtparlament angenommen worden ist.
Es ist bezeichnend, dass gerade Städte den Klimanotstand ausrufen und so dem Klimaschutz eine politische Bedeutung beimessen, die man andernorts vermisst. Warum Städte? Städte bergen die Risiken des Klimawandels in sich. Die Stadtbewohner*innen sind es, die heute schon von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und in Zukunft die Hauptbetroffenen sein werden, wenn dem Klimawandel kein Einhalt geboten wird.
Zu den Folgen des Klimawandels, die jetzt schon in den Städten bemerkbar sind, gehören der Hitzestress in der Stadt aufgrund steigender Temperaturen, die Überschwemmungen von Flüssen aufgrund von Starkregen oder heftige Sturmfluten, welche die Hafenstädte bedrohen. Den Stadtbewohner*innen könnte zukünftig eine Versorgungsknappheit und schlechte Qualität von Wasser und Nahrungsmittel ins Hause stehen.
Der Klimawandel ist ein virulentes Problem, da er sehr viele Menschen schon jetzt direkt betrifft.
Im Blick auf die weltweit zunehmende Verstädterung, die besonders in Ländern mit niedrigem Einkommen schnell zunimmt, ist dieser Klimawandel ein virulentes Problem, da er sehr viele Menschen schon jetzt direkt betrifft und weiter betreffen wird. Nicht umsonst hat die Deklaration Transforming our World: the 2030 Agenda for Sustainable Development (LINK) der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015 zur nachhaltigen Entwicklung unserer Welt die Stadt eigens thematisiert.
Klimawandel und zukunftsfähige Städte in der Agenda 2030
Diese Deklaration, die kurz Agenda 2030 genannt wird, benennt siebzehn globale Ziele (17 Sustainable Development Goals), die bis im Jahr 2030 erreicht werden sollten, um unsere Welt zukunftsfähig zu machen. Diese Ziele wollen eingedenk der physischen und psychischen Verletzbarkeit des Menschen, ein friedliches, gutes und gesundes Leben fördern (6). Das sich auf Städte beziehende formulierte Ziel lautet: „Make cities and human settlements inclusive, safe, resilient and sustainable.“ (26)
UN-Deklaration: „Make cities and human settlements inclusive, safe, resilient and sustainable.“
Wenn Städte wie Basel oder London in den vergangenen Wochen den Klimanotstand ausgerufen und der Nachhaltigkeit politisch oberste Priorität eingeräumt haben, dann verpflichten sie sich auf nichts anderes als auf das, was die Agenda 30 bereits vor einigen Jahren den Städten der Welt anempfohlen hat, um in eine Zukunft zu gehen, die Zukunft hat und nicht nur mit einem humanitären und ökologischen Desaster kämpfen muss.
Interessant ist, dass die Agenda 30 einen nachhaltigen Lebensstil in der Stadt nicht nur als einen ökologischen Lebensstil versteht, sondern als einen urbanen Lebensstil, der auf Sozialität bedacht ist. Wenn beides, ein nachhaltiger und sozial gerechter Lebensstil in der urbanen Ethik von Stadtbewohner*innen Hand in Hand gehen, dann fördert dies ein friedliches und gutes (Zusammen-)Leben. Denn, so das Credo der Vereinten Nationen, es gibt keinen Frieden ohne nachhaltige Entwicklung, und es gibt keine nachhaltige Entwicklung ohne Frieden.
Kirche und Nachhaltigkeit
Auch Papst Franziskus mahnt seit Jahren in vielfältiger Weise an, die sozio-ökologische Krise, in der unsere heutige Welt steckt, ernst zu nehmen. Er fordert sowohl die Bewahrung der Schöpfung als auch eine evangeliumsgemässe Kultur des Zusammenlebens ein. Die Enzyklika Laudato si‘ (2015) steht programmatisch dafür.
Mit seinem dringlichen Appell steht Papst Franziskus in enger Nähe zu den Zukunftsvorstellungen der Vereinten Nationen und deren gesellschaftliches Konzept von Nachhaltigkeit (Sustainable Development), das zwar auf die Zukunft gerichtet, aber heute schon durch eine andere Gesellschaftspraxis wirksam werden soll.
Gerechtigkeit − Frieden − Bewahrung der Schöpfung: Kirchliches Engagement in diesen drei Bereichen gilt als Form der Kommunikation des Evangeliums in der heutigen Gesellschaft.
Neu ist die päpstliche Programmatik zugunsten einer nachhaltigen und sozialen Welt für die christlichen Kirchen nicht. Bereits der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, der seinen vorläufigen Abschluss auf der Weltversammlung in Seoul im Jahr 1990 gefunden hatte, hat diesen Konnex von Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Frieden thematisiert. Das Engagement von Kirche in diesen drei Bereichen gilt seitdem als eine Form der Kommunikation des Evangeliums in der heutigen Gesellschaft.
Neu ist aber, dass der Klimawandel inzwischen eine Tatsache ist und somit der Appell von Papst Franziskus hohe Dringlichkeit hat. Und neu ist, dass diese Art von Kommunikation des Evangeliums konkret verortet werden kann, nämlich inmitten einer Stadt. Andere Bewegungen zeigen schon längst auf ihre Art und Weise, dass die Städte hervorragende Orte sind, auf einen nötigen Wandel hinzuweisen. Doch wer verkündet in der Stadt dieses Evangelium der Bewahrung der Schöpfung und wie?
Zukunftsfähige Stadt – zukunftsfähige Kirche in der Stadt
Im Blick auf die drohenden Folgen des Klimawandels in Städten liegt alles daran, dass sich Christ*innen bewusst werden, dass sie Subjekte ihres Glaubens sind. Jede*r Christ*in darf sich als Akteur*in kirchlichen Handelns ernst nehmen und die Verantwortung in der Stadtgesellschaft zugunsten einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Stadt und Stadtgesellschaft übernehmen. Gleichzeitig bedarf es aber auch auf institutioneller Ebene der Kirche (in der Stadt, im Dekanat oder Pastoralraum bzw. Seelsorgeeinheit) eine aktive Unterstützung von städtischen Projekten in den Bereichen Nachhaltigkeit und alternatives Wirtschaften.
Jede*r Christ*in darf sich als Akteur*in kirchlichen Handelns ernst nehmen und die Verantwortung zugunsten einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Stadt und Stadtgesellschaft übernehmen.
Es bedarf aber auch Solidarität mit Stadtmenschen in den sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern, die zu den Verlierern der Globalisierungsprozesse gehören und in der prekären Wohnsituation von Slums in keiner Weise auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet sind. Sie sind dem Risiko einer (Natur-)Katastrophe meist schutzlos ausgeliefert sind.
Transkapitalistische Gesellschaftsbewegung: Urban Gardening, Zero Waste, Food Save/Food Sharing, die Tausch-Community oder Repair-Cafés.
Gegenwärtig machen in großen Städten verschiedenen Bewegungen wie Urban Gardening, Zero Waste, Food Save/Food Sharing, die Tausch-Community oder Repair-Cafés von sich reden, die von Soziolog*innen als transkapitalistische Gesellschaftsbewegung bezeichnet werden. Diese Bewegungen suchen entweder marktfreie, von Nachhaltigkeit geprägte Räume in der Stadt oder eine Auflösung des Stadt-Land-Gegensatzes, indem die Natur durch Gärtnerei in die Stadt geholt wird. Diese Gruppierungen werden meist von jüngeren Generationen getragen, die den postmodernen Milieus zuzuordnen sind und einen anderen Lebensstil als die ökonomisierte Lebensform im Kapitalismus praktizieren möchten.
Dieser Lebensstil entsagt dem Profit- und Leistungsdenken. Diese Praktiken sind vom Wunsch nach Veränderung getragen. Im Blick auf den urbanen Raum basiert dieser Wunsch nach Veränderung auf dem praktischen Bestreben, „den urbanen Raum so zu gestalten, dass er den eigenen urbanen Sehnsüchten oder dem eigenen urbanen Ideal näher kommt“1. Diese urbanen ‘Sehnsuchtspraktiken’ zeichnen sich durch ihre Experimentierfreude aus und folgen keinem lang erprobten und ausgetüfteltem Masterplan.
Christlich-urbane Ethik von Kirchen könnte fortan bedeuten, an einer zukunftsfähigen Stadt mitzuarbeiten.
Die Stadtkirchen und ihre Gläubigen könnten Allianzen bilden mit diesen säkularen Bewegungen oder anderen Institutionen, die sich für Nachhaltigkeit im Stadtraum einsetzen. Christlich-urbane Ethik von Kirchen könnte so fortan auch bedeuten, an einer zukunftsfähigen Stadt mitzuarbeiten, die als nachhaltiger Lebensraum einen erstrebenswerten urbanen Raum darstellt, da er eine friedliche und soziale Lebensqualität in sich birgt.
Am Beispiel der Urban Gardening-Bewegung2 kann dies gut aufzeigt werden. In bereits unzähligen Großstädten weltweit nutzen Stadtbewohner*innen öffentliche Plätze dafür, Gemüse und Kräuter anzubauen oder Blumen zu pflanzen. Urban Gardening will die Städte begrünen und jedem kostenfrei Zugang zu Lebensmitteln gewähren, sofern gerade etwas geerntet werden kann. Urban Gardening ist also zugleich etwas zutiefst Soziales und Solidarisches, denn alle Stadtbewohner*innen haben davon etwas.
Die Stadt Berlin unterstützt dies offiziell, weil neben dem ökologischen und ästhetischen Nutzen auch der soziale und aufklärerische Vorteil gesehen wird. Es kommen unterschiedliche Menschen zusammen, es entstehen Beziehungen, es kann Geld für Einkäufe gespart werden und Großstadtbewohner*innen bekommen wieder eine Nähe zum Anbau und zur Ernte von Lebensmitteln.
Nachhaltigkeitsstandards ad intra und Allianzen ad extra, um sich um eine zukunftsfähige Stadt zu bemühen.
Die Stadtkirchen könnten Bewegungen wie diese unterstützen, indem sie beispielsweise selbst ihre Grünflächen für Gartenanbau bereitstellen. Ein wichtiger Baustein einer zukunftsfähigen Kirche in einer zukunftsfähigen Stadt wäre auch, dass die Pfarreien dafür Sorge tragen, dass in ihren Kirchenräumen nachhaltige Umweltstandards umgesetzt werden, etwa mit dem Zertifikat Grüne Kirche (Grüner Güggel in der Schweiz) oder die Idee der zeroWaste-Bewegung oder der Tausch-Community praktisch unterstützen.
Wenn sich also die Kirchen und ihre Gläubigen ad intra um Nachhaltigkeitsstandards bemühen und wenn sie ad extra Allianzen schließen mit säkularen Institutionen, Gruppierungen oder den Stadtparlamenten selbst, die um eine zukunftsfähige Stadt bemüht sind, dann verkündet die Kirche in der Stadt das Evangelium nicht nur zeitgemäß, vielmehr übernimmt die Kirche so ihre Verantwortung für die Schöpfung und ihre Menschen.
Jede Christin und jeder Christ kann aktiv an der Zukunftsfähigkeit der Stadt mitarbeiten.
Jede Christin und jeder Christ kann aktiv an der Zukunftsfähigkeit der Stadt und der Kirche in der Stadt als eigenen Lebens- und Glaubensraum mitarbeiten sowie zugleich inmitten einer Stadt die gesellschaftskritische Kraft des Evangeliums zur Geltung bringen.
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Martina Bär ist Gastprofessorin für Systematische Theologie am Seminar für Katholische Theologie der Freien Universität Berlin.
Bild: pexels.com
- Motakef/ Münter, Sehnsuchtspraktiken, 137. ↩
- Vgl. dazu: Müller, Christa, Sehnsuchtsstadt statt Landlust. Wie postindustrielle Sehnsuchtsorte des Selbermachens und der Naturbegegnung neue Bilder von Urbanität entwickeln, in: Bosshard, Marco Th./ Döhling, Jan-Dirk, u.a. (Hg.) Sehnsuchtsstädte. Auf der Suche nach lebenswerten urbanen Räumen, Bielefeld 2013, 141-151. ↩