Haben Klöster noch Zukunft? Ordensberater Berthold Winkler skizziert einen möglichen Weg: Genossenschaften als Laboratorien des guten Lebens.
„Leidenschaftlich gegenwärtig“ – das Motto der diesjährigen Herbstkonferenz der österreichischen Ordensgemeinschaften signalisiert etwas von der immer noch bunten Klosterwelt im „Klosterland“ Bayern oder im benachbarten „Klösterreich“. Allerdings muss das aktuelle Tagungsprogramm auch als „SOS“-Signal gelesen werden, nicht nur wegen des plötzlichen Lockdowns in Wien und ganz Österreich. Seit Jahren müssen viele Klöster schließen oder fusionieren, manche werden verkauft und neu genutzt, immer mehr auch von Genossenschaften. Das ist kein Zufall, denn „Genossenschaften“ boomen in Stadt und Land als bürgernahes Instrument neuer gemeinschaftlicher Projekte. Alte monastische Lebensformen sterben, neue geschwisterlich-genossenschaftliche Arbeitsformen entstehen?
Leidenschaftlich gegenwärtig oder Leuchtfeuer der Vergangenheit ?
Die „Faszination Kloster“ erfasst jährlich unzählige Menschen, angesichts alltäglicher Hektik und Beschleunigung die Spur des Gewohnten mit angesammeltem Seelenstau zu verlassen und auf einen Entlastungsweg ins Außeralltägliche eines Klostergartens und Kreuzgangs einzubiegen. Der Wunsch nach weisheitsvoller Tiefe, nach benediktinischen Werten und franziskanischer Spiritualität vereint dort Sinn-Suchende und Lebenskunst-Interessierte mit lebensklugen „Stauberatern“ und religiösen Virtuosen an einem kulturell-religiös aufgeladenen „Andersort“ (Ilona Biendarra).
Durchlässige Klostermauern
Gastfreundschaft, Gemeinschaft und Beheimatung hinter durchlässigen Klostermauern suchen nicht nur Alleinlebende, Krisen-geschüttelte und Berufung-Ahnende. Wer eine heimelig-bergende Klosterkirche für das schönste Fest im Leben sucht, erfreut sich mit allen Hochzeitsgästen vergangener Bau-Kunst und farbenfroh-sinnlicher Bilderwelten. Wer heilsame „Lebensmittel“ aufsucht bei Klostergesang, Klosterbier und Klostermedizin, findet diese in stadtnahen und landidyllischen „Entschleunigungs-Inseln und Resonanz-Oasen“ (Hartmut Rosa) des Sehnsuchtsortes Kloster. Die „Leuchtfeuer“ der Vergangenheit brennen (noch), auch weil das Charisma einiger Gründer noch strahlt in den monastischen Gemeinschaften.
Visionäre Stifter und Weltverwandler
Benedikt gilt als „Vater des Abendlandes“; in seiner Sturm- und Drang-Zeit war er ein Avantgardist, „der Neue, der Jüngste, der Zukunftsträchtigste“ (Walter Dirks). Im Unterschied zu Benedikts vertikal-spirituellem Programm (Stabilität, Gelassenheit, Ordnung, Heiligung) finden wir bei Franziskus horizontal-geschwisterlich-genossenschaftliche Prinzipien (Anton Rotzetter), wie Freiheit, Gemeinschaftssinn, Gefährtenschaft und Schöpfungsliebe. Die neben ihnen als Schattenfrauen und Lichtgestalten wirkenden Hildegard von Bingen und Klara von Assisi z.B. inspirieren seit dem 13. Jh. eine eigenständige weibliche Spiritualität. Zu diesen „Gründern und Verwandlern der Welt“ gehört auch Friedrich Wilhelm Raiffeisen, dessen in christlicher Verantwortung angestoßenen Hilfsprojekte für notleidendende Bauern und ArbeiterInnen im frühindustriellen 19. Jh. als sog. „moderne Genossenschaften“ weltweit solidarische Wirtschaftsformen mit Millionen von Genossenschafts-Mitgliedern hervorbrachten.
Von der Klosterzelle zur Kloster-Wirtschaft
Entsprechend der Grundziele ihrer Gründer bzw. Ordensnachfolger hat sich jahrhundertelang eine robuste und langlebige Organisationsform entwickelt, die trotz vieler Abbrüche und Umbrüche eine stabile Kloster-Wirtschaft ermöglichte: mit effektiven Führungsprinzipien, klugen Governance-Formen von Autonomie, Autarkie und Aufsicht und mit einem kollegial-partizipativen Wertesystem. Dafür stehen noch heute die Leitbilder von „ora et labora“ oder „caritas Christi urget nos“ für ökonomisch und caritativ ausgerichtete Orden. Ihr wirtschaftliches Handeln war lange Zeit geprägt von ökonomischer Leistungsfähigkeit und Selbstversorgung. Je mehr die Ausrichtung auf den globalen Markt erfolgte, desto dringlicher aber wurde ein effizientes Wirtschaftsmanagement. So haben einige der Orden den bisherigen Status als Verein oder Körperschaft erweitert zu einer GmbH bzw. zu einer Stiftung für ihre unternehmerischen Aktivitäten im Bereich von Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Klöster insgesamt sind „Wirtschaftsunternehmen“ geworden mit etwa 100.000 Beschäftigten in der Brauerei bis zum Bildungshaus, in der Hostienbäckerei bis zum Hospiz und in Wald- und Wiesennutzung bis hin zum Wellness-Hotel.
Klostersterben
Stillgelegte Leuchttürme
Angesichts „stillgelegter Leuchttürme“ (Tobias Kläden) und Erosionstendenzen in den Orden machen sich in ihnen auch lähmende Resignation und destruktive Lethargie bemerkbar. Trotz eines erfolgten Professionalisierungsschubs im Management der Klöster (mit ordensfremden Fachleuten in der Ökonomie) – das „Klostersterben“ ist nicht mehr zu übersehen. Von den rund 1.000 Klosteranlagen in Bayern werden nicht einmal mehr 160 in ihrem ursprünglichen Sinne genutzt. In den vergangenen 90 Jahren sank die Zahl der Ordensfrauen in Deutschland von rund 70.000 auf 20.000, bei den Ordensmännern halbierte sich deren Anzahl auf 4.700. Nachwuchskrise und Überalterung führen zu einer historischen Krise: Klösterlicher Ausverkauf, Missbrauchs-Skandale in Kirchen und Orden und riesige Austrittswellen sind die äußeren Anzeichen einer seelisch-geistigen Veränderung, die wie die unsichtbare „Corona-Pandemie“ flächendeckend die letzten Orte „religiösen Ursprungs der Wirklichkeit“ (Kitaro Nishida) erfasst hat. Wie meistern Klöster und Orden selbst diese Schwelle – überlassen sie (durch einen Klosterverkauf) ihr Erbe der Welt oder verbinden sie sich neu mir ihr?
Genossenschaften als Klosternachfolger?
Seit manches Kloster leer steht, haben findige Bürgermeister und Landräte, Kreativ-schaffende und Privatinvestoren das „Kloster-Gut“ entdeckt. Als potente Käufer übernehmen sie denkmalgeschützte, renovierungsbedürftige ehemalige Zellen (z.B. die Klöster in Ahrweiler, Bernried, Mindelheim, Schlehdorf u.a.) und knapp gewordenen, ökologisch wertvollen Grund und Boden. Immer häufiger tauchen (Wohn-) Genossenschaften auf als Nachfolger eines Klosters. Die Wohnungsbaugenossenschaft München z.B. übernahm den größten Teil des Klosters Schlehdorf, die neu gegründete „Klostergut Schlehdorf“-Genossenschaft die Landwirtschaft. Nach der Auflösung des Franziskanerklosters in Rheda-Wiedenbrück bildete sich aus früheren Besuchern eine Klostergenossenschaft eG zur Weiterführung des Seminarbetriebs und der Klosteranlage.
Die Zahl der Genossenschaften in Deutschland hat sich auf fast 8.000 erhöht. Ihre Geschäftsbetriebe bieten ein modernes, innovatives und nachhaltiges Wirtschaftsmodell für zukunftsfähige Problemlösungen an. So gibt es Genossenschaften für Bürger, Bildung, Energie, Gesundheit, Konsum, Landwirtschaft, Quartiere, Schulen, Schüler, Senioren – als Kultur-, Sozial- und Wohnungs-Genossenschaften. Zeigt sich hier ein neuer Zukunftskeim für Klöster? Wäre das nicht ein lohnender Weg: von der monastischen Lebensform eines Ordens im Kloster hin zu einer monastisch-spirituellen Wirtschafts-Gemeinschaft?
Selbsthilfe, Solidarität, Freiheit und Ordnung
Innovationen im 19. Jahrhundert
Die Gründung einer „Kloster-Genossenschaft“ könnte vielen Klöstern frischen Wind liefern bei den anstehenden Aufgaben eines klösterlichen Umbruchs und Aufbruchs in die Zukunft. Denn: Klöster sind schon seit ihren Anfängen der eremitisch-brüderlichen Güter-Gemeinschaften („Alles sei allen gemeinsam“, Apg 4,32) tatkräftige „Genossenschaften“. Und nicht umsonst nennen sich seit dem sog. „Ordensfrühling“ im 19. Jh. die damals zur Linderung sozialer Not gegründeten, dann in einen Orden inkorporierten Gemeinschaften bis heute „Religiöse Genossenschaften“ (z.B. Missionsbenediktiner von St. Ottilien). Ihr damaliges Aufblühen erfolgte auf der Basis der, oft auch im direkten Anschluss an die freien, selbstorganisierten Lebens- und früherer (Toten-) Bruderschaften, Beginen und Begarden. Die Vision einer „societas caritatis“ & „vita communis“ sowie einer geschwisterlichen „Genossenschaftlichkeit“ inspirierte die Klostergründungen im 19. Jh. ebenso wie F.W. Raiffeisen, der in den 1860-er Jahren selbst eine klosterähnliche Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern gründen wollte. Monastische Prinzipien und genossenschaftliche Werte zusammen bildeten fortan die Basis religiöser und weltlicher Genossenschaften. Klöster praktizieren weiterhin Gastfreundschaft, Gütergemeinschaft, Kollegialität und eine Verantwortungsethik. Die neuzeitlichen Genossenschaften berufen sich auf Selbsthilfe, Solidarität, Freiheit und Ordnung.
„Start ups“ von Kloster-Genossenschaften als Teil eines neuen WIR
Die kreative Kombination beider verwandter Gemeinschaftsformen, von Kloster und Genossenschaft, wäre eine ideale Ergänzung für manches Kloster. Statt einzelne Bereiche (wie z.B. Landwirtschaft) zu verpachten, könnten im laufenden Betrieb ihrer „externalisierten Aktivitätswirtschaft“ (Isabelle Jonveaux) gemeinsame Genossenschafts-Projekte mit Lieferanten, Kunden, Kooperationspartnern und Kloster-Sympathisanten entstehen. Erfolgreich praktizieren diese Wirtschaftsform bereits das Kloster St. Lambrecht und das Kloster Ettal mit umliegenden Bauern bzw. Milchlieferanten jeweils in einer „Bio-Masse-Heizwerk-Genossenschaft“ bzw. einer „Käserei-Genossenschaft“. Das Kloster Selbitz und das Kloster St. Ottilien sind mit einer Biogasanlage jeweils beteiligt an einer regionalen Energie-Genossenschaft.
Die Geschäftsbereiche einer zu bildenden „Kloster-Genossenschaft“ würden Bildung, Klosterläden, Land-, Forst-, Wald-Wirtschaft, aber auch Missionsprojekte, Wallfahrten und Verlagsarbeit umfassen; auch neue Formen eines Quartier-Wohnens und neue Formen solidarischen Zusammenlebens mit Kriegs- und Klima-Flüchtenden würden sich für eine Kloster-Genossenschaft eignen. In ihren Gremien (Aufsichtsrat und Vorstand) säßen Mitglieder des Konvents und andere Beteiligte, engagierte Klosterfreunde und Zeit-Genossen im „Ökosystem“ Kloster, gleichberechtigt zusammen in einer neuen Solidar-Gemeinschaft.
Anschlussfähig für Zukunftsprojekte
Damit die monastische Lebenskunst „ora et labora, lege et ama“ erneuert und ein Kloster anschlussfähig wird für Zukunftsprojekte, braucht es allerdings den gemeinsamen Willen, die geistlose Enge als „Teil jener zukunftslosen culture of fear“ (P. Zulehner) mit den Stimmen der „Aber-Geister“ und vorwärtsstrebenden „Zukunfts-Pioniere“ in Resonanz und Dialog zu bringen, sie „füreinander gesprächsfähig und kompromissbereit zu halten“ (E. Salmann OSB).
Ein „Zukunfts-Dialog“ in den Konventen (wie z.B. im Kloster Mariastein CH) ist die Voraussetzung, dass die Klöster als „Wächter des Morgen und Übermorgen“ (Bischof em. Maximilian Aichern) sich einbringen in das neue Netz vieler „commons“- und „Wir“-Initiativen in einer global sich ausrichtenden Zivilgesellschaft. „Zukunftslabore“ fordern Fabian Moos SJ und Kollegen, einzelne „Leuchtturmprojekte der Orden“ (Ordenskorrespondenz 2021/3) gehen in diese Richtung. Gemeinsam ist ihnen der seismographische Wille, das „Kloster zum Mitleben“ (Stühlingen, Rapperswil) zu öffnen, „barfuß in das Herz der Stadt“ zu gehen (Augsburg) und als Klostergemeinschaft wieder „Laboratorien“ im „Abseits wirtlicher Orte“ (Marianne Gronemeyer) anzubieten, zwischen Tradition und Verheutigung (Harald Weber).
Innovations-und Experimentier-Orte
Unsere planetarische Verantwortung für die Klimaveränderungen und die notwendigen Veränderungen in Lebens- und Arbeitsformen benötigen neue Lern-und-Experimentier-Orte, an denen ganzheitlich und transdisziplinär die spirituell-sozial-ökologische Umkehr eingeübt werden kann. Damit Klöster wieder als „Innovationslabore“ (Gerd Melville) wirken können, müssen sie sich transformieren, d.h. anschlussfähig werden für ein neues WIR.
Was einem kleinen Konvent nicht mehr möglich ist, vermögen dann viele Genossenschafts-Mitglieder in einer „Kloster-Genossenschaft“!
Berthold Winkler ist freier katholischer Theologe, Supervisor und „Kloster-Aktivist“.
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