Vor 30 Jahren ist Hans Urs von Balthasar gestorben. Stefan Hartmann erinnert an den kantigen Ausnahmegelehrten.
An einem Sonntagmorgen vor dreißig Jahren, am 26. Juni 1988, ist in Basel wenige Tage vor seiner in Rom geplanten Kardinalserhebung plötzlich und unerwartet der Schweizer Theologe, Schriftsteller, Übersetzer und Verleger Hans Urs von Balthasar verstorben. Über den 1905 in Luzern als Sohn einer Patrizierfamilie geborenen Autor äußerte der evangelische Systematiker Horst Georg Pöhlmann: „Hans Urs von Balthasar ist der wohl wuchtigste, kantigste und eigenwilligste unter den großen katholischen Gegenwartstheologen. Sein œuvre erreicht an Umfang, Tiefgang und Sprachgewalt Luthersche Dimensionen.“ Viel zitiert wurde das Urteil seines Lehrers und Freundes im Lyoner Jesuitenkollegiums, Henri Kardinal de Lubac (1896 – 1991), dass Balthasar „vielleicht der gebildetste Mann seiner Zeit“ sei.
Person und Profil
Für Balthasar und seine Rolle in Theologie und geistiger Auseinandersetzung der Gegenwart gilt auch jene Matthias-Claudius-Strophe, die er seinem nachkonziliaren Erfolgsbüchlein „Klarstellungen. Zur Prüfung der Geister“ (1971) voranstellte: „Seht ihr den Mond dort stehn?/ Er ist nur halb zu sehen,/ Und ist doch rund und schön!/ So sind wohl manche Sachen,/ Die wir getrost belachen,/ Weil unsre Augen sie nicht sehn.“
Da wären als „manche Sachen“ seine klare Katholizität mit Loyalität gegenüber Papst und Bischöfen, seine Abwehr gegenüber Vereinnahmungen von welcher Seite auch immer, seine unbestechlichen und manchmal weh tuenden Urteile und nicht zuletzt seine Verbindung zur Basler Ärztin, Konvertitin und Mystikerin Adrienne Kaegi-von Speyr (1902 – 1967) zu nennen. Letztgenannte führte 1950 zu seinem Austritt aus dem Jesuitenorden.
Zur Mitwirkung am Zweiten Vatikanischen Konzil wurde Balthasar nicht eingeladen, es hätte ihm auch wenig entsprochen.
Hinzu kam ein gelegentlich als elitär-unnahbar und solitär empfundenes Erscheinen und Auftreten. Doch hat sich Balthasar kaum einer berechtigt an ihn herangetragenen Bitte um ein seelsorgerisches Gespräch, einen Vortrag oder einen schriftlichen Beitrag entzogen und konnte eine ansteckende Freundlichkeit und Heiterkeit ausstrahlen. Zur Mitwirkung am Zweiten Vatikanischen Konzil wurde Balthasar nicht eingeladen, es hätte ihm auch wenig entsprochen.
Zu Balthasars bekannten Schülern zählt heute der Präfekt der Bischofskongregation, der Kanadier Kardinal Marc Ouellet. Im deutschen Episkopat sind die Bischöfe von Münster, Regensburg und Trier von seinem Geist und/oder vom priesterlichen Zweig der „Johannesgemeinschaft“ geprägt. Kardinal Christoph Schönborn, der Erzbischof von Wien, stand in engem Austausch mit dem Basler Theologen, der mehrere seiner Schriften verlegte. Kardinal Karl Lehmann (1936-2018) hat ihn aus Freiburg oft kontaktiert und noch 2016 in Basel einen Vortrag über seine Sicht der Weltreligionen gehalten.
Werk und Wirkung
Balthasars zahlreiche Schriften sind über die Auslieferung des von ihm 1947 gegründeten „Johannes Verlag Einsiedeln“, der nach einem kurzen Intermezzo in Trier seit 1990 seinen Sitz in Freiburg im Breisgau hat, lückenlos erhältlich und ein internationales Gesamtverzeichnis der umfassenden Sekundärliteratur ist über das Internet einsehbar (Link).
Sein vorkonziliar progressives Image kehrte sich nachkonziliar in sein Gegenteil um.
Wofür steht aber das Werk und die Wirkung des großen Schweizer Gelehrten und Kirchenmannes? Sein vorkonziliar progressives Image („Schleifung der Bastionen“ 1952) kehrte sich nachkonziliar in sein Gegenteil um, seit er mit „Cordula oder der Ernstfall“ (1966) harte Anfragen an ein „anonymes Christentum“ richtete oder in indirekter Bezugnahme auf Carl Schmitt einen „antirömischen Affekt“ (1974) als „Selbstzerstörung der Kirche“ (so 1986 in der Festschrift für Joseph Ratzinger) ausmachte. Irritationen verursachte Balthasar selbst durch seine – wenn auch biblisch begründeten – Annäherungen an eine Allversöhnungslehre, die beim Erwägen einer möglicherweise „leeren Hölle“ den Ernst des biblischen Gerichtsgedankens auflösen könnte.
Sein Gang des Denkens war oft assoziativ; als Schule galten ihm die Heiligen oder Schriftsteller.
Angebote von Lehrstühlen lehnte Balthasar mehrfach ab. Seit er 1940 erstmals vor diese Alternative gestellt wurde zog er den pastoralen und theologischen Dienst am geistlichen Leben einer universitären Laufbahn vor. Sein Gang des Denkens war oft assoziativ und verweisend auf andere: „Origenes oder Bernanos … stehen mir zum Beispiel näher als manches von mir selbst Geschriebene.“ Als die entscheidende Schule galten ihm die Heiligen – oder Schriftsteller wie Dante, Gerard Manley Hopkins, Charles Péguy, Paul Claudel und Reinhold Schneider. Vorbild der Annahme der Offenbarung ist für Balthasar Maria. Die marianische Prägung der Kirche sieht er der Leitung durch die petrinische Hierarchie vorgeordnet.
Sein Zeugnis
Als Theologe und Gründer eines nach ihm benannten Säkularinstitutes und Verlages orientiert sich Balthasar am Evangelisten Johannes, der mit Maria real unter dem Kreuz stand und als erster den Auferstandenen erkannte: „Es ist der Herr!“ (Joh 21,7). So identifiziert er ihn auch anders als die Exegese mit dem Verfasser der Apokalypse.
Es ging Balthasar immer um die Ausstrahlung der katholischen Glaubenswahrheit in die Welt.
Um zusammenfassend an einige seiner bekannten Buchtitel anzuknüpfen: Es ging dem Schweizer Gelehrten in seiner einzigartigen Theologie immer um die Ausstrahlung der katholischen Glaubenswahrheit in die Welt („Katholisch“, 1975), der nach der „Schleifung der Bastionen“ (1952) der Kern der allein glaubhaften christlichen Liebe („Glaubhaft ist nur Liebe“, 1963) und der grenzenlosen Hoffnung („Was dürfen wir hoffen?“, 1986) zu vermitteln ist – durch die Kirche und gesandte Zeugen, die „In Gottes Einsatz leben“ (1971), dabei aber immer beachten: „Christen sind einfältig“ (1983). Nicht populistische Kosmetik, sondern eine „Reform aus dem Ursprung“ (Titel seines Guardini-Buches von 1970) war Balthasars Ideal und Wirkungsziel.
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Stefan Hartmann, Dr. theol., nach langjähriger priesterlicher Tätigkeit in der Universitäts- und Pfarrseelsorge seit 2016 laisiert. Derzeit freier Autor und Trauerredner in Bamberg.
Bild: © Hans Urs von Balthasar Archiv, Basel.