Carla Sicking reflektiert die Debatte um Designer-Babys und erklärt, warum sie am eigentlichen Anliegen des Genom-Editierungsverfahrens CRISPR-Cas9 vorbeigeht.
In den letzten Jahren ist die Debatte um Designer-Babys wieder prominenter geworden. Bei jedem neuen medizinisch-technischen Verfahren im Bereich der Zeugung und Schwangerschaft wird prophezeit oder befürchtet, dass dies zu Designer-Babys führen wird. So zum Beispiel waren bei der Präimplantations- oder der Pränataldiagnostik Artikel wie „Gibt es dank PID bald Designerbabys?“[i] keine Seltenheit. Und auch im öffentlichen Diskurs um das neue Genom-Editierungsverfahren CRISPR-Cas9 finden sich ähnliche Artikel.
CRISPR als die Zukunft der Genom-Editierung
Im Bereich der Genom Editierung und Keimbahnintervention wird schon lange geforscht. Neue Prominenz hat dieses Thema innerhalb der letzten Jahre durch die neue Technik CRISPR-Cas9 erfahren. Das besondere bei CRISPR ist, dass dieses zuverlässiger, sicherer, unkomplizierter und kostengünstiger als vorherige Editierungsverfahren ist. Der erfolgreiche medizinische Einsatz innerhalb der Keimbahnintervention erscheint somit in naher Zukunft realistisch. Der Wissenschaftler He Jiankui behauptet sogar, dass er dies bereits erfolgreich angewandt habe[ii], auch wenn das von anderen bezweifelt wird. Schaut man sich den öffentlichen Diskurs zur Keimbahnintervention an, scheint es vor allem um die Befürchtungen vor Designer-Babys zu gehen.
Worum geht es in der CRISPR-Forschung?
Aber geht es bei der bisherigen Forschung tatsächlich vorrangig um Designer-Babys? Geht es also darum, nicht therapeutische Veränderungen („Verbesserungen“) an den Embryonen nach den Wünschen der Eltern vorzunehmen, was mit dem Begriff Enhancement beschrieben wird? Schlicht und einfach: Nein. Bei der CRISPR-Cas9-Forschung geht es derzeit primär um den Einsatz des Verfahrens zu therapeutischen Zwecken und insbesondere zum Zweck der Heilung monogenetischer Krankheiten, wie zum Beispiel Mukoviszidose. Und bereits hier gibt es bislang nicht nur technische Schwierigkeiten, sondern vor allem drängende ethische Fragen.
Noch ist CRISPR nicht ausgreift genug für die klinische Anwendung.
Bisher ist CRISPR nicht ausgereift genug für die klinische Anwendung. Aufgrund der Komplexität der embryologischen Entwicklung ist es bereits eine hohe Herausforderung die ausreichende klinische Sicherheit für die Editierung eines Gens zu erreichen. Erst wenn dies möglich ist, wäre das nächste Ziel polygenetische Krankheiten durch Editierung zu behandeln, sprich die, die ihre Ursache in mehr als nur einem Gen, bzw. dem komplexen Zusammenspiel verschiedener Gene haben (z.B. Brustkrebs). Die Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet der Genom Editierung sind sich allerdings uneinig darüber, wie wahrscheinlich ein Erfolg hier ist. Der Großteil der Wissenschaft geht davon aus, dass die Anwendung auf monogenetische Krankheiten in naher Zukunft realistisch ist. Ob und inwiefern dies dann auch ethisch erlaubt ist, ist eine Frage, die unbedingt im gesellschaftlichen Diskurs erörtert werden muss.
Sofern wir dies wollen, wird CRISPR eher bei monogenetischen als bei polygenetischen Krankheiten eingesetzt werden.
Aber bereits bei den polygenetischen Krankheiten bezweifeln viele, dass dies innerhalb der nächsten Jahrzehnte oder überhaupt möglich sein wird. Der Grund liegt darin, dass die Wissenschaft unter anderem das Genom nicht ausreichend entschlüsselt hätte. Die genetische Entwicklung, das komplexe Zusammenspiel der Gene im Werden wird noch nicht ausreichend verstanden und es ist nicht gänzlich bekannt in welchen Genen diese oder jene Krankheit definitiv ihren Ursprung hat. Der mögliche Erfolg wird somit bereits bei polygenetischen Krankheiten bezweifelt. Und genau deswegen erscheinen Designer-Babys erst recht unwahrscheinlich, zumindest in naher Zukunft, da diese Editierungen noch viel komplexer wären als die bei polygenetischen Krankheiten. Wir müssten schließlich erst einmal herausfinden, welche genetischen Komponenten beispielsweise die Intelligenz oder Kreativität ausmachen, wenn wir diese verbessern wollen würden im Sinne des Enhancements. Dies ist so komplex, dass es bisher nicht gelungen ist das komplett aufzuschlüsseln. Und somit bisher auch zu komplex um darin einzugreifen.
Der fachwissenschaftliche Diskurs über Keimbahneingriffe
Setzen wir einmal die ausreichende Sicherheit des Verfahrens in naher Zukunft voraus, haben wir nach wie vor kein Urteil über die ethische Legitimität der Anwendung getroffen. Die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zu den Keimbahneingriffen im vergangenen Jahr fasst viele Streitpunkte zusammen und macht die unterschiedlichen Positionen in der bisherigen Debatte deutlich[iii]. Die Positionierungen reichen von kategorischer Ablehnung aus ethischen Gründen bis hin zur ethischen Verpflichtung zur Anwendung der Keimbahnintervention. Es herrscht bislang eine große Diskrepanz und dementsprechend eine große Uneinigkeit über dieses Thema, weswegen der Ruf nach einem gesamtgesellschaftlichen ethischen Diskurs auch außerhalb von Expertengremien nachdrücklich gefordert wird, um zu einer gesamtgesellschaftlichen Entscheidung über die Keimbahneingriffe gelangen zu können.
Die relevante Frage: Sollen Keimbahneingriffe grundsätzlich erlaubt sein und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Ethische Fragen in Bezug auf Keimbahnintervention
Die dringlichen ethischen Fragen in Bezug auf die Keimbahnintervention beziehen sich also vielmehr darauf, ob Keimbahneingriffe grundsätzlich überhaupt erlaubt sein dürfen und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Das heißt, gibt es tatsächlich kategorische Argumente gegen Keimbahneingriffe, oder lediglich hypothetische, das heißt Argumente, die Keimbahneingriffe unter bestimmten Bedingungen erlauben würden? Hier werden direkt ethische Prinzipien, wie die der Menschenwürde, Verantwortung, Gerechtigkeit und weitere angesprochen. Und dies sind ebenso eindeutig auch theologisch-ethische Fragestellungen. So wird beispielsweise die Frage aufgeworfen, ob durch erfolgreiche Keimbahneingriffe nicht ein Mehr an Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft gefördert werden kann, wenn dadurch genetische Benachteiligungen abgebaut werden können. Oder ob das Gegenteil der Fall sein könnte, da sich nur die wohlhabenden Schichten Eingriffe dieser Art leisten könnten. Oder sind wir nicht wiederum als Solidargemeinschaft dazu aufgerufen, Keimbahneingriffe nicht nur zu erlauben, sondern auch die Kosten dafür gemeinsam zu tragen? Dies sind nur wenige Beispiele der vielfachen komplexen ethischen Fragestellungen in Bezug auf Keimbahneingriffe.
Was steht jetzt an?
Die Debatte um Designer-Babys weist in eine weitere Zukunft, während die Therapie monogenetischer Krankheiten durch Keimbahneingriffe jetzt zu entscheiden ist. Natürlich: Nur weil etwas derzeit noch unrealistisch ist, schadet es natürlich auch nicht, bereits im Vorhinein ethische Überlegungen darüber anzustellen, um der technischen Entwicklung nicht stets hinterher zu hängen. Nichtsdestotrotz plädiere ich aber dafür, die früher zu erwartende und wahrscheinlichere Anwendung der Genom Editierung im gesellschaftlichen Diskurs prominenter hervorzuheben, da dies derzeit die dringlicheren Fragestellungen sind. Denn hier müssen wir erst einmal klären, ob wir als Gesellschaft eine Keimbahnintervention überhaupt zulassen wollen. Und wenn wir dies zu therapeutischen Zwecken bejahen, unter welchen ethisch vertretbaren Bedingungen dies geschehen darf. Konzentrieren wir uns zum jetzigen Zeitpunkt zu sehr auf das Enhancement, verlieren wir den Blick für die derzeit dringlichen Fragestellungen. Wenn Keimbahneingriffe etabliert werden ohne ethische Richtlinien, kann das verheerende Folgen auf unsere Gesellschaft haben und eine Entwicklung anstoßen, die negative Auswirkungen beispielsweise auf unser Menschenbild oder auf unseren Umgang mit Krankheiten und von Krankheit betroffenen Personen hat. Wir als Gesellschaft sollten also erst ein Urteil über therapeutische Keimbahneingriffe fällen, denn dies ist ein Thema, das uns alle einzeln und als Gesellschaft im Ganzen betrifft, weswegen wir die ethische Diskussion auch gesamtgesellschaftlich führen sollten.
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Zur Autorin: Carla Sicking ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Moraltheologie und Sozialethik der Goethe-Universität Frankfurt und forscht zur Entwicklung ethischer Regularien im Einsatz der Keimbahnintervention bei monogenetischen Krankheiten.
Zum Bild: Gerd Altmann auf pixabay.
[i] Taz.de: Pro und Contra. Gibt es dank PID bald Designerbabys? Kommentar von B. Dribbusch, A. Reimann. Online: https://taz.de
[ii] Vgl.: The He Lab: About Lulu an Nala: Twin Girls Born Healthy After Gene Surgery As Single-Cell Embryos. Online: https://www.youtube.com
[iii] Vgl.: Deutscher Ethikrat (2019): Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Stellungnahme. Online: https://www.ethikrat.org