Was der Welttierschutztag, Franz von Assisi und meine alte Hündin gemeinsam haben. Von Dominik Blum.
Jetzt sitzt sie immer öfter da, die alte Hündin, und ihr Blick geht weit in den Himmel. Die Mäuse in der Wiese, die Tauben in der Hecke am Ende des Gartens und das Gebell aus der Ferne scheinen sie kaum zu kümmern. Ob sie wohl betet? Dann würde uns noch viel mehr verbinden, als ich bisher dachte.
Was den Menschen vom Tier unterscheidet, beschäftigt Generationen von Philosophen und Theologen. Ist es die Vernunft? Die unsterbliche Seele? Die subjektiven Rechte? Gar das Transzendenzbewusstsein? All das vermag ich nicht zu sagen. Was ich aber weiß ist, dass unter den Lebewesen allein der Mensch das Bedürfnis hat, sich zu unterscheiden von allen anderen. Und zwar in der Absicht, seine Überlegenheit, ob ontologisch, sozial, religiös oder autoritativ, unter Beweis zu stellen. Der Mensch ist ein – manchmal ziemlich unsympathisches – Distinktionswesen.
Ob meine Hündin wohl betet?
Nicht nur heute, am Welttierschutztag, auch sonst spüre ich viel mehr Verbundenheit mit den Tieren, viel mehr Kontinuität zwischen ihrem Leben und meinem als Unterscheidungswillen und -bedarf ihnen gegenüber. Mit Albert Schweitzer kann ich meine Ehrfurcht vor dem Leben der Tiere auf den Satz bringen: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“
Diese Ehrfurcht ist nicht nur, nicht einmal zuerst eine ethische Haltung. Sie ist für mich eine tiefe Heilssolidarität mit der ganzen Schöpfung, die stöhnt und leidet wie unter Wehen (Röm 8,22). Denn sie gelangt nicht zur Vollendung, sondern wird gequält, vergiftet, verdorrt, versinkt im Schlamm. Und mit ihr die Tiere – wer wollte das leugnen? Weltweit, gerade wurde diese Zahl vom WWF im Living Planet Report 2020 veröffentlicht, ist ein Rückgang des Bestands von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen um 68 Prozent zwischen 1970 und 2016 zu beklagen. Nur der Mensch, das Distinktionswesen, expandiert.
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ (Albert Schweitzer)
Und er macht sich die Erde untertan und herrscht statt zu walten, wie es jetzt, besser übersetzt, in Genesis 1,26 und 28 heißt. Der Mensch soll guter Verwalter der Erde sein statt ihr Beherrscher. Viel poetischer und weiser drückt es Papst Franziskus aus, wenn er den humanen Dienst an der ganzen Schöpfung so beschreibt: „Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir. Doch alle gehen mit uns und durch uns voran auf das gemeinsame Ziel zu, das Gott ist (…). Denn der Mensch, der mit Intelligenz und Liebe begabt ist und durch die Fülle Christi angezogen wird, ist berufen, alle Geschöpfe zu ihrem Schöpfer zurückzuführen.“ (Laudato Si, Nr. 38)
Der Mensch macht sich die Erde untertan und herrscht statt zu walten.
Ob meine Hündin also betet, jetzt, wo sie alt wird, ihr das Hasenjagen immer schwerer fällt und sie sich auf den Weg macht zurück zu ihrem Schöpfer? Und zu wem betet sie dann? Zu dem ‚Hund im Himmel‘, von dem Reinhard Mey in seinem Hundgebet singt? Oder doch zu dem Gott, den der Psalmist preist, weil er Gras wachsen lässt für das Vieh und auf das Gebrüll der jungen Löwen hört, die von ihm ihre Nahrung fordern? (Psalm 104,14.21) Vielleicht, so hat Kurt Marti in einer kleinen Geschichte über den Heiligen Franziskus und die Tiere mit einem Augenzwinkern deutlich gemacht, sind der Hund im Himmel und der Schöpfergott, der sich im Wort offenbart, doch ein und derselbe: Der Gott nämlich, der allen alles werden kann und den der Mensch in seiner – auch theologischen – Distinktionswut niemals zu klein denken oder unterschätzen darf.
Vielleicht sind der Hund im Himmel und der Schöpfergott, der sich im Wort offenbart, doch ein und derselbe.
Der heilige Franziskus hat bekanntlich als großer Tierfreund den Vögeln und anderen Tieren von Gottes Liebe gepredigt und dabei von ihnen gelernt. Ja, auch die Vögel sind würdig der Unterweisung, sie hören aufmerksam zu, recken die Hälse, werden vom heiligen Franz gelobt und gesegnet: „Gar sehr müsst ihr euren Schöpfer loben und ihn stets lieben; er hat euch Gefieder zum Gewand, Fittiche zum Flug gegeben und alles, was ihr nötig habt. Vornehm machte euch Gott unter seinen Geschöpfen, und in der reinen Luft schuf er euch Wohnung. Ihr sät nicht und erntet nicht, und doch schützt und leitet er euch, ohne dass ihr euch um etwas zu kümmern braucht.“ Der Spielmann Gottes erkennt umgekehrt in der Aufmerksamkeit und im Gesang der Vögel ihre Art, den Schöpfer zu loben. Und er fühlt sich vom Lied der Nachtigall eingeladen, selbst Gott zu singen, mit ihr im Duett.
Der Spielmann Gottes erkennt in der Aufmerksamkeit und im Gesang der Vögel ihre Art, den Schöpfer zu loben.
Damit ist der historische heilige Franz nicht weit entfernt von der tiefsinnigen Geschichte, die ihm Kurt Marti angedichtet hat. Im Anfang sei das Wort gewesen, predigt Franziskus den Tieren. Da entsteht Tumult. Ob Gott denn ein Mensch sei, fragen ihn die Tiere, ob ihm nur das Wort zur Verfügung stünde, nicht auch Gegacker und Gebell, Gezwitscher und Gemecker? Nur die Menschen, da sind sich die Tiere einig, die jetzt das Predigen übernommen haben, hörten Gott in Menschenzungen sprechen. „Wenn ich Gott höre, und ich höre ihn oft, hör‘ ihn fast immer, so blökt er voll himmlischen Wohllauts“, weiß das Schaf. Nun ja, zögert der Heilige in der Legende von Kurt Marti und fragt die Tiere, ob Gott denn nicht doch Mensch geworden sei. „Nun ja, Mensch für euch Menschen, das mag wohl sein, doch wie willst du wissen, was er sonst noch, was er für uns geworden ist?“ Und das verkündet ausgerechnet die Ziege über den Gott, über den hinaus Größeres nicht gedacht werden kann.
Ja, sie betet also wohl doch im Garten, meine alte Hündin, auf ihre Art, von der ich zu wenig weiß. Zu ihrem Gott, der auch meiner ist, zum Erlöser der ganzen Schöpfung.
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Dominik Blum ist Dozent für Theologie an der Katholischen Akademie Stapelfeld in Cloppenburg, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und im Beirat der Katechetischen Blätter (KatBl).
Bild: Seaq68 / pixabay.com
Lesetipps:
Kurt Marti, Das Lachen des Delphins. Notizen und Details. Zürich 2001 (Theologischer Verlag)
Anton Rotzetter, Die Freigelassenen. Franz von Assisi und die Tiere. Freiburg 2011 (Paulusverlag)