Am 22. Mai 2018 starb in New York City der Schriftsteller Philip Roth. Eine Würdigung von Erich Garhammer.
Der US-amerikanische Schriftsteller Philip Roth ist tot. Er wurde 85 Jahre alt. Er gilt als einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren. Mehr als 25 Romane hat er veröffentlicht, dazu Dutzende Novellen, Kurzgeschichten, Essays und Interviews. Durch Werke wie „Amerikanisches Idyll“, „Der menschliche Makel“, „Das sterbende Tier“ und „Jedermann“ war Roth auch dem deutschen Publikum vertraut. Sein letztes Werk „Nemesis“ erschien 2010 auf Englisch. Zwei Jahre später hatte Roth angekündigt, nicht mehr schreiben zu wollen: Er habe das Beste aus dem gemacht, was er zu bieten hatte.
Philip Molton Roth wurde am 19. März 1933 in Newark im US-Bundesstaat New Jersey als zweites Kind jüdischer Eltern geboren. Er arbeitete ab 1956 zunächst als Dozent für Englische Literatur an der Chicago University, später folgten Aufenthalte als „Writer-in-Residence“ an der Princeton University (1962-1964) und der University of Pennsylvania (1967-1980). Ende der Achtzigerjahre wurde Roth Dozent für Kreatives Schreiben am Hunter College in New York.
literarisches Debüt „Goodbye, Columbus“ (1959)
Schon mit seinem literarischen Debüt „Goodbye, Columbus“ (1959) erhielt Roth den National Book Award, eine der höchsten literarischen Auszeichnungen der USA. 1998 bekam er für „American Pastoral“ den Pulitzerpreis für erzählende Literatur. In den vergangenen Jahren wurde Roths Name immer wieder genannt, wenn es um mögliche Preisträger für den Literaturnobelpreis ging. Diese Auszeichnung blieb ihm allerdings verwehrt. Nun ist er just in dem Jahr gestorben, in dem kein Nobelpreis für Literatur verliehen wird. Zwei Jahre wollte er nicht mehr warten.
Als die „New York Times“ ihre Leser 2006 nach den besten amerikanischen Romanen der vergangenen 25 Jahre fragte, schafften es sechs von Roths Titeln auf die Liste – aus insgesamt 29 Titeln. Roth war zweimal verheiratet. Seine erste Ehefrau starb bei einem Autounfall. Seine zweite Ehe mit der britischen Schauspielerin Claire Bloom wurde 1994 geschieden.
Das Alter: ein Massaker
Philip Roth hat sich in seinen letzten Büchern vor allem mit dem Altwerden beschäftigt. In seinem Buch „Jedermann“ hat er das Alter als Massaker bezeichnet. Der Erzähler in diesem Roman lässt sein Leben Revue passieren – es ist eine Aneinanderreihung von Scheidungen, Krankheitsgeschichten, Eingriffen, Operationen, und Krankenhausaufenthalten. Nach einer solchen Operation bietet er einen Malkurs an – nicht nur für sich, um wieder auf andere Gedanken zu kommen, sondern vor allem auch, um dabei wieder auf andere Menschen aufmerksam zu werden, mit ihnen in Kontakt zu kommen:
Zu jedem Kurs kamen etwa zehn Teilnehmer, die sich gern in seinem hellen Atelier zusammenfanden. Im großen ganzen war das Malen nur ein Vorwand, überhaupt dort zu sein, und die meisten machten den Kurs aus dem gleichen Grund mit, warum er ihn gab: um befriedigenden Kontakt zu anderen Leuten zu finden. Bis auf zwei waren alle älter als er, und obwohl sie allwöchentlich in einer Stimmung kameradschaftlich guter Laune zusammenkamen, wandte sich das Gespräch jedesmal unweigerlich den Themen Krankheit und Gesundheit zu, denn mittlerweile deckten sich ihre persönlichen Biographien mit ihren medizinischen Biographien, und der Austausch medizinischer Daten drängte nahezu alles andere in den Hintergrund. In seinem Atelier identifizierten sie einander eher an ihren Gebrechen als an ihren Bildern. „Wie geht’s Ihrem Zucker?“ „Was macht Ihr Blutdruck?“ „Was hat der Arzt gesagt?“ „Haben Sie von meinem Nachbarn gehört? Es hat auf die Leber übergegriffen.“ Einer der Männer kam immer mit seinem tragbaren Atemgerät. Ein anderer hatte Parkinson, wollte aber trotz seines Zitterns unbedingt malen lernen. Alle ohne Ausnahme beklagten sich – manchmal scherzend, manchmal nicht – über zunehmenden Gedächtnisverlust und sprachen davon, wie schnell die Monate und Jahreszeiten und Jahre dahingingen und dass das Leben nicht mehr mit der gleichen Geschwindigkeit ablaufe wie früher. (Jedermann, 79/80)
Unter den Teilnehmern befand sich auch eine Frau mit Rückenkorsett, die sich immer wieder hinlegen musste und unter entsetzlichen Schmerzen litt: Milicent Kramer. Als er sie fragte, ob ein Heizkissen helfen würde, gab sie zur Antwort: Nur ihr verstorbener Mann könnte helfen, seine Stimme, seine Stärke. Er habe sich im Leben nie schwach gezeigt, aber dann sei der Tumor gekommen und habe ihn vernichtet.
Und sie selber schämt sich, dass sie so hilflos ist, so angewiesen, so bedürftig nach Trost. Und sie fährt fort: „Sie kennen das nicht. Die Abhängigkeit, die Hilflosigkeit, die Isolation, die Angst – das alles ist entsetzlich, und man schämt sich deswegen. Die Schmerzen sind so, dass man Angst vor sich selber bekommt“ (Jedermann, 90). Und dann fällt der bemerkenswerte Satz: „Das Alter ist kein Kampf, das Alter ist ein Massaker.“ (Jedermann, 148)
ein Satz gegen die republikanische Partei, die das Gesundheitssystem der Demokraten abschaffen wollten.
Philip Roth hat in einem Interview erzählt, dass ihm dieser Satz gekommen sei, als er in den Fernsehnachrichten sah, wie in dem überschwemmten New Orleans die Altersheime evakuiert wurden. Er sagte laut zu seinem Besucher: „Alter ist ein Massaker“. Es sah nämlich aus, als würde man Leute von einem Schlachtfeld holen. Die Schlacht, die sie geschlagen hatten, war ihr Leben. Der Satz war auch ein Satz gegen die republikanische Partei, die das Gesundheitssystem der Demokraten abschaffen wollten. Sie seien nur an Profit orientiert, nicht daran, dass jemand Schutz genießt, nicht einmal die Armen und die Sterbenden. Was würde Roth zu den heutigen Zuständen in den USA sagen?
das Sterben zeitlebens ein Thema, obwohl er wie alle daran scheiterte.
Für ihn war das Sterben zeitlebens ein Thema, obwohl er wie alle daran scheiterte: „Ich entsinne mich an Gespräche meiner Eltern über ihre Freunde, die krank waren oder im Sterben lagen. Und obwohl ich damals schon über 40 war, habe ich es nicht kapiert. Ich glaube, es gibt eine eingebaute biologische Schutzfunktion, die Menschen unterhalb eines bestimmten Alters davor bewahrt, richtig zu begreifen, dass der Tod die ganze Zeit zuschlägt und alles überwältigt. Selbst als meine Eltern einige ihrer besten Freunde verloren, habe ich zwar zugehört, aber nicht recht begriffen, was zu verlieren sie alles im Begriffe waren. Jetzt verstehe ich es.“
Der Roman „Jedermann“ endet damit, dass die Hauptfigur dem Totengräber auf dem Friedhof bei seiner Arbeit zuschaut. Er gibt ihm zwei Fünfziger. Er ahnt, dass er eines nicht mehr fernen Tages ein Loch für ihn graben werde, das am Grund so flach wäre, dass man ein Bett darin aufschlagen könnte.
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Prof. em. Dr. Erich Garhammer war von 2000 bis 2017 Lehrstuhlinhaber für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg, davor von 1991 bis 2000 in Paderborn.
Beitragsbild: Tomáš Krist, CC-BY-2.5 via Wikimedia Commons.
Vgl. zum Thema des Alter(n)s:
Erich Garhammer, Spiritualität und Alter(n). In: Ders., Heiße Fragen-coole Antworten. Überraschende Blicke auf Kirche und Welt, Würzburg 2016, 47-53.