Anlässlich des 75. Geburtstags von Hans Küng veranstaltete die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen am 7. Mai 2003 eine akademische Feier, die wohl erste derartige gemeinsame Veranstaltung nach dem Entzug der venia legendi im Jahre 1979 und nach der für Hans Küng unsolidarischen Ausgliederung aus der Fakultät. Als damaliger Dekan sprach Ottmar Fuchs die Ehrung aus, an die er heute erinnern möchte.
„Ich habe es vor einigen Tagen wieder in die Hand genommen, das erste Buch, das ich von Hans Küng gelesen habe, den ersten Band der Ökumenischen Forschungen, herausgegeben von Hans Küng und Josef Ratzinger (was für ein Anfang und was hätte alles daraus werden können, wenn daraus etwas geworden wäre), mit dem Titel „Die Kirche“. Das Kaufdatum ist eingetragen, der 17. Mai 1968, also vor ziemlich genau 35 Jahren. Es ist gründlich mit Unterstreichungen in vier verschiedenen Farben durchgearbeitet. Ich kann mich gut erinnern, wie dieses Buch mich, gerade am Ende des Philosophicums, fasziniert hat. Das nächste war dann, zum 200. Geburtstag von Hegel, gekauft am 5. Mai 1970, die „Menschwerdung Gottes“. Vieles, was Küng hier schreibt, ist bis heute unübertroffen wie zum Beispiel und vor allem die Ausführungen zur Geschichtlichkeit Gottes und zur Frage „Kann Gott leiden?“.
Tief und nachhaltig geprägt.
Mit dieser kleinen Erinnerung möchte ich von meiner Biographie her belegen, was Tausende von Biographien mit den Publikationen von Hans Küng erfahren haben, nämlich dass deren Lektüre sie tief und nachhaltig geprägt hat. Ich möchte einmal an diesem Ort so verwegen sein und stellvertretend für alle, die dies erfahren haben, heute, an dieser Geburtstagsfeier, Ihnen, lieber Herr Kollege Küng, als Lehrer einer immer grundlegenden und beeindruckenden Theologie sehr herzlich danken.
Ich bringe eine weitere Erfahrung, die sich auf die Jahre bezieht, die ich nun in Tübingen bin. Ob man in Indien ist oder in Südafrika, in England oder in den Vereinigten Staaten: Wenn ich, gefragt nach meinem Woher, Tübingen nenne, dann gibt es fast immer die Reaktion: „Tübingen, ah, wo also Küng ist!“ Soviel zur Weltweite, die Küng unserer Fakultät verleiht, und auf die wir stolz sind, auch wenn sich manchmal die bestürzende Ambivalenz dieses Zusammenhangs einstellt: „Was, wo dieser Abtrünnige lehrt?“
Der 75. Geburtstag von Hans Küng ist nicht nur ein hervorragender Anlass, ihn in seinem unermüdlichen wissenschaftlichen Elan sowie in seiner Zivilcourage in der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit mit tief empfundenem Respekt und mit Dankbarkeit zu ehren, sondern auch eine Herausforderung, uns der Frage auszusetzen, wie wir dem Vorbild von Hans Küng gerecht werden, Theologie nicht nur in wissenschaftlicher, sondern auch in explizit öffentlicher Verantwortung zu betreiben, und zwar nicht nur so, dass wir von dieser öffentlichen und politischen Bedeutsamkeit der Theologie unter uns wissen, sondern dass diese Bedeutsamkeit auch bei denen ankommt, für die sie gedacht ist:
Wie dem Vorbild von Hans Küng gerecht werden: Theologie in öffentlicher Verantwortung betreiben?
Welche Konflikte müssen in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, müssen dorthin gebracht werden, wo sie verdrängt bzw. wo sie gesehen und entschieden werden? Was ist zu tun, um nicht der medialen Versuchung zu erliegen, vehikelhaft nur über ganz bestimmte Konflikte interessant zu sein? Wie können die Eigenstrukturen der Medien, insofern sie in sich schon eine Message beinhalten, so genutzt und zugleich verändert werden, dass ganz bestimmte Inhalte darin nicht ersticken? Wie kann eine Spiritualität der öffentlichen Tätigkeit entwickelt werden, die scharf unterscheiden lehrt zwischen der paulinischen Kauchesis, nämlich dem eigenen Selbstruhm, und der Selbstindienstnahme für die Gerechtigkeit Gottes unter den Menschen?
Soziologische Untersuchungen machen darauf aufmerksam, dass der Relevanzverlust der Theologie nicht an ihren Inhalten liegt, die durchaus für gegenwärtige Fragen und Probleme bedeutsam, ja entscheidend sind, sondern an den sozialen und medialen Kontaktschwächen zwischen innen und außen, dergestalt, dass viele Menschen einfach nicht darauf kommen können, dass unsere Inhalte von Bedeutung sind. Der Teufelskreis ist dann perfekt: Gesteigerte Erwartungslosigkeit erschwert dann auch noch die besten Kontaktversuche. Dass wir dieses Dilemma nicht einfachhin mit der paulinischen Torheit des Evangeliums identifizieren können, das zeigt uns Hans Küng deutlich genug, der es geschafft hat, die Sperrigkeit des Evangeliums relevanz- und konfliktträchtig nach innen und nach außen so bedeutsam werden zu lassen, dass die Menschen sich zu ihr so oder so verhalten können, ja müssen.
Die Sperrigkeit des Evangeliums relevanz- und konfliktträchtig nach innen und nach außen bedeutsam werden lassen.
So feiern wir heute Hans Küng nicht nur als Vorbild intensiver theologischer Lehre und innovativer theologischer und ökumenischer Forschung, sondern auch als einen brillanten Brückenbauer zwischen Theologie und kirchlicher wie gesellschaftlicher Öffentlichkeit.
Meine Damen und Herren,
in meinem Amt als Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen, in der Beanspruchung des Lehramtes der wissenschaftlichen Theologie, danke ich Ihnen, verehrter Herr Kollege Küng, im Namen unserer Fakultät herzlich für alles, was Sie in und neben unserer Fakultät, in unserer Kirche, in der Ökumene, im Projekt Weltethos bis zum heutigen Tag als Lehrer der Katholischen Theologie geforscht und vermittelt haben. Sie haben sich um die in diesem Sinn katholische Theologie verdient gemacht. Dem schwindenden Vertrauen vieler Menschen der Kirche gegenüber haben Sie, immer erkennbar als Priester und Theologe der Kirche, das Vertrauen vieler Menschen erworben. Und ich danke Ihnen für Ihr ökumenisches Vermächtnis in Ihren Publikationen und vor allem im Ökumenischen Institut, ohne das unsere Fakultät in ihrer Identität nicht mehr zu denken ist.
Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Kollege, noch viele gesunde und schaffenskräftige Jahre und in allem Gottes Segen! – Und überhaupt: Dass unsere Fakultät noch lange und weltweit die Ehre hat, mit Ihrem Namen assoziiert zu werden!
Dem schwindenden Vertrauen vieler Menschen der Kirche gegenüber haben Sie das Vertrauen vieler Menschen erworben.
Ich komme nochmals auf das erste Buch zurück, das ich von Hans Küng gelesen habe. Als ich es wieder aufschlug, fand ich einen Zeitungsausschnitt wohl aus dem Jahr 1968, ein Foto mit dem lehrenden Hans Küng in seinen noch etwas jüngeren Jahren. Ich schenke Ihnen dieses kleine Dokument nicht nur als Erinnerung an damals, sondern auch als Erinnerung an diese Feierstunde, in der nicht nur das Ökumenische Institut, sondern unsere Fakultät Sie als großen Lehrer Ökumenischer und Katholischer Theologie ehrt.“
Das alles gilt heute wie damals. Und immerhin: der damalige Wunsch für noch viele schaffenskräftige Jahre ist in Erfüllung gegangen. Hans Küng hatte damals Tränen in den Augen, vor Freude darüber, von seiner Fakultät in dieser Form rehabilitiert zu sein und derart wieder zu ihr zu gehören.
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Ottmar Fuchs ist emeritierter Professor für Praktische Theologie in Tübingen.