Heiner Geißler war zornig über vieles, auch über kirchliche Praktiken. An Gott zweifelte er. Über seine Zweifel hinaus ließ Geißler jedoch die Möglichkeit offen, dass Gott Gott ist. Ottmar Fuchs zum Tod von Heiner Geißler.
Wenn Heiner Geißler in seinem letzten Buch „Kann man noch Christ sein, wenn man an Gott zweifeln muss?“, zornig über vieles, auch über kirchliche Praktiken, diesen Zorn in den Zweifel an Gott münden lässt, dann darf dies auch als ein Ausdruck jenes Geistes gesehen werden, der sich mit solchen Verhältnissen nicht zufrieden gibt, zumal Geißler seinen Zweifel letztlich nicht zum Maßstab Gottes selber macht. Vielmehr lässt er über seinen Zweifel hinaus die Möglichkeit, auch seine eigene Sehnsucht offen, dass Gott Gott ist.
Geißler öffnet sich für die Spiritualität, die Gott noch einmal größer sein lässt als den eigenen Zweifel.
Geißler öffnet sich also für die leise Spiritualität, die Gott noch einmal größer sein lässt als den eigenen Zweifel. „Und vielleicht ist das, woran man zweifelt, trotzdem wahr. Die Jesuiten nennen dieses Verlangen: desiderium desiderii. Die Sehnsucht nach der Sehnsucht, glauben zu können.“[1] Dies ist der Vollzug jener Anbetung, jener Doxologie, die Gott über alles Erfahrbare und Nicht-Erfahrbare hinaus Gott sein lässt: dass seine Existenz „unmöglich“ gegeben ist und nicht von unseren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten abhängt.
Der Glaube wird zur Hoffnung wider alle Hoffnung, wie Paulus in Röm 8, 24 formuliert. Die Doxologie, der Lobpreis Gottes, lässt Gott über die eigene Situation, über das eigene Fassungsvermögen und über das eigene Elend hinaus, den unerschöpflichen und unendlichen Gott sein.
Die Doxologie nimmt Gott als Gott ernst.
Die Doxologie entschuldigt nicht, schmälert nicht die Klage, sondern nimmt Gott als Gott ernst. Warum soviel Böses, soviel Leid sind: diese Grausamkeit ist unverzeihlich. Die Doxologie bewahrt aber davor, diese Paradoxie zwischen schlechten Erfahrungen und dem Glauben an einen guten Gott zum Anlass zu nehmen, Gott zu „vernichten“. Im „Ich preise Dich!“ stellt die Anerkennung Gottes das Sagbare in den Horizont des Unsagbaren. Und Denken und Glauben können dann auf Überlegenheiten verzichten, auf Übersichtspositionen, auf Siegerdiskurse.
Was der Atheismus sich voraussetzt, nämlich dass Gott unmöglich und der Glaube nutzlos sei, wird in der anbetenden Anerkennung des Gottseins Gottes, zum Ausgangspunkt der Gottesanrede selbst. Wir müssen Gott nicht erfahren, damit er existiert. Er existiert. Wir müssen seine Liebe nicht erleben, damit Gott liebt: er liebt in jedem Fall. Die Auferstehung Jesu macht nachträglich deutlich, dass Gottes Liebe, kontrafaktisch zu Verlassenheitserfahrung im Kreuzesschrei, „objektiv“ weiterbestand. Diese Verobjektivierung der Liebe Gottes sichert die Liebe Gottes nicht durch uns, sondern außerhalb von uns. Darin besteht Gottes Absolutheit.
In der Anbetung wird die unwahrscheinliche Möglichkeit eines guten Gottes offengelassen.
In der Anbetung „abstrahiert“ der Mensch von sich selbst und gewinnt sich aus dem unverfügbaren Geheimnis Gottes heraus in einer neuen und durchaus konkreten Weise, in der gelernt wird, die unwahrscheinliche Möglichkeit eines guten Gottes offen zu lassen. Es ist die Paradoxie einer doxologischen Sprache, die das Antworthafte verliert und gleichwohl oder gerade deswegen (weil es keine oder nur unzulängliche, unbefriedigende Antworten gibt) über die Räume der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit und auch des Nicht-Glaubens hinaus weitere Räume eröffnet oder zumindest erahnen lässt.
Die Anbetung bildet den spirituellen Erfahrungsraum eines Gottes, der in keinem Erfahrungs-, Interessen-, und Intentionenbezug aufgeht. Die Doxologie ist das Gegenteil eines allzu selbstsicheren oder gar eines aggressiven Unglaubens, der selbst den Fundamentalismus widerspiegelt, den er im religiösen Bereich zu bekämpfen beabsichtigt, und, sich maßlos überschätzend, den eigenen Erfahrungsmangel, das eigene Nicht-Verstehen zum Maßstab der Existenz Gottes selbst macht.
Von guten Mächten geborgen zu sein: Der Tod ist der Ort, wo sich dies bewahrheitet oder nicht!
Die Anbetung des göttlichen Mysteriums lässt vielmehr Gott nochmals unendlich größer sein als unsere diesbezüglichen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, und zwar in die Dynamik seiner Güte, Solidarität und Erlösung hinein, wohin auch sonst, wenn man keinem umfassenden oder partiellen (wenn alle Nicht-Dazugehörigen der Hölle verfallen) Satanismus huldigt, der härtesten Form eines zerstörerischen Fundamentalismus.
Die im Glauben geschenkte Hoffnung, dass es einen guten Gott gibt, ist, im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer, das Wunderbare, letztlich von guten Mächten geborgen zu sein. Der Tod erst ist der Ort, wo sich dies bewahrheitet oder nicht!
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[1] Heiner Geißler, „Mich packt der Zorn“, Interview mit Merle Schmalenbach, in: Christ und Welt Nr. 14 (2017), bezogen auf sein Buch: Kann man noch Christ sein, wenn man an Gott zweifeln muss?, Berlin 2017.
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Ottmar Fuchs ist em. Professor für Praktische Theologie in Bamberg und Tübingen.
Bild: Heike Hulsage-Koch / Wikimedia Commons