Die aktuelle Situation von Kirche und Gesellschaft fordert einen Aufbruch der Theologie, nicht ihren Abbau. Eine Stellungnahme österreichischer Pastoraltheolog:innen.
„Euer Ort des Nachdenkens sollen die Grenzen sein. Und tappt nicht in die Versuchung, sie zu lackieren, zu parfümieren, sie ein wenig aufzuhübschen und zu zähmen.“ (Papst Franziskus)
I.
„Das Ganze der katholischen Kirche steht auf dem Spiel, wenn die Repräsentanten dieser sich als heilig verstehenden Institution sündigen und straffällig werden, dann können sie die Herrlichkeit Gottes nicht mehr zum Leuchten bringen, dann verdunkeln sie Gott, dann stehen sie Gott im Wege.“ (D. Pollack, ZEIT 9/21) Genauso ist es.
Unsere Kirche ist auf dem Weg, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Und das in Zeiten, in denen epochale Krisen (Gesundheitskrise, Klimawandel, kulturelle Konflikte, ungerechte Verteilung der Güter) die Zukunft gefährden und die Zusammenarbeit aller, denen das Gemeinwohl nicht gleichgültig ist, unbedingt fordern.
Mit der Zukunft der katholischen Kirche steht auch die Zukunft der Theologie auf dem Spiel. Die Zahl der Theologiestudierenden schwindet seit langem. In Deutschland wie in Österreich werden Vorschläge gemacht, die einen grundlegenden Umbau der theologischen Landschaft bedeuten würden: die Zusammenlegung der Priesterausbildung an wenigen Orten oder gar deren Verlagerung an kirchliche Hochschulen.
Das alarmiert uns als Pastoraltheolog:innen. Denn es droht, was nie passieren darf: das Verstummen der Theologie als kritischer Einspruch gegen die gewinnorientierte Verwaltung der Welt, ihr Scheitern als „kulturelles Laboratorium“ (Papst Franziskus) eines Glaubens, der die Erde liebt und sich mit allen verbündet, die für die Würde und Rechte der Menschen kämpfen, und es droht eine dekontextualisierte Ausbildung kirchlichen Personals, so als ob es tätigen Glauben jenseits der konkreten, bunten, unüberschaubar gewordenen Welt gäbe.
Wir brauchen keinen Abbau, sondern einen Aufbruch der Theologie.
II.
Die Theologie hat eine säkulare Aufgabe. Es gibt sie nicht für sich, sondern um Probleme zu lösen, die ohne sie schwerer lösbar wären. Diese Probleme lauern in den Konflikten und Krisen der Welt, brechen unvermutet und oft grausam auf. Menschen ringen in diesen Konflikten um ihre Würde und Zukunft.
Dieses Ringen verändert sich, aber es hört nie auf. Immer schon waren es Konflikte um Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, heute drohen zusätzlich ökologische Katastrophen und Konflikte um lokale wie globale Interkulturalität. Niemand weiß, ob die Menschheit genug Phantasie, Kraft, Mut, Ausdauer und intellektuelle Ressourcen für eine friedliche, gerechte und gute Zukunft hat.
Die christliche Theologie kennt aus ihrer Geschichte die Versuchungen der Macht, sie erlebte und erlebt die Erfahrung der gerechten Erniedrigung. Sie ist global vernetzt und lebt, wo sie sich ihrer Lage und Aufgabe bewusst ist, im demütigen Selbstbewusstsein, etwas beitragen zu können, dass die Menschheit eine gute Zukunft hat.
III.
Die Theologie arbeitet von jeher in den Häusern der Wissenschaft und mit den Wissensbeständen und Wissenstechniken ihrer jeweiligen Gegenwart. Das war für sie nie einfach und sie machte es anderen Wissenschaften oft schwer. Manchmal fremdelt sie immer noch mit den aktuellen Wissensformaten und fremdeln daher andere Wissenschaften mit ihr.
Aber wenn die Theologie nicht neugierig ist auf die aktuellen Zonen des Wissens wie auf die anstehenden Abenteuer der Ideen, wird sie schal und leer. Wenn sie aber gut ist, geht sie an die Grenzen des Üblichen, wenn sie hervorragend ist, lässt sie diese sogar hinter sich. Theologie ist dann ungezähmt und radikal.
Sie stellt sich der Kritik der anderen Wissenschaften und kritisiert andere, wenn nun sie meinen, das letzte und einzige Wort zu haben. Sie kann mithalten im Wettbewerb des Wissens, aber sie wird den akademischen Kapitalismus der Gegenwart nicht einfach akzeptieren.
IV.
Die Theologie steht in der Pflicht des Volkes Gottes. Sie dient ihm durch den Versuch der Wahrheit. Sie dient ihm durch den Versuch, nichts ungesagt zu lassen, was um des Evangelium willen gesagt werden muss, was um der Leidenden willen gesehen werden muss, was um Gottes und des Menschen willen begriffen und verändert werden muss.
Theologie darf nicht nur die Verlängerung der gutbürgerlichen Kirche in die gutbürgerliche Wissenschaft hinein sein. Die Theologie besitzt viel weitreichendere Erfahrungs- und Resonanzräume. Der Versuchung, sich durch Wissen, gesellschaftlichen Status oder ideologische Immunisierung zu panzern vor den Risiken der Gegenwart, darf sie nie erliegen.
Denn Theologie ist zuletzt eine praktische Wissenschaft. Sie ist dazu da, sich der Verwundbarkeit unserer Existenz auszusetzen und dieser Verwundbarkeit in der Treue zu Gott einen Ausweg jenseits der Gewalt, der Verbitterung und der Verzweiflung zu zeigen.
V.
Die christliche Theologie ist eine Wissenschaft wie jede andere – und doch mehr. Sie erfasst die Person, die sie treibt, in religiöser Tiefe, sie untergräbt die unkritische Affirmation des Wissenschaftsbetriebs durch ihre Verpflichtung auf die biblische Botschaft, und sie kämpft an der Seite jener, die um ihre Würde ringen. Jedenfalls sollte sie es tun. All das würde im Wissenschaftsbetrieb schwächer werden ohne die Theologie.
Es steht viel auf dem Spiel. Als Pastoraltheolog:innen erforschen wir den kreativen Kontrast von Evangelium und Gegenwart, aber auch das oft dramatische Scheitern von Kirche und Theologie vor ihrem Auftrag.
- Wir brauchen eine Theologie, die zwischen den Archiven der Tradition und den konkreten Praktiken einer bunten und intensiven, oft auch dramatischen und widersprüchlichen Wirklichkeit kreative Diskurse initiiert.
- Wir brauchen eine Theologie, deren Disziplinen sich offensiv mit den Wissensbeständen und Wissenschaftsmethodiken der Gegenwart konfrontieren.
- Wir brauchen ein Theologiestudium, das Theologie als Projekt der eigenen Existenz begreift.
- Wir brauchen ein Theologiestudium, das von der Kirche begleitet wird: in Freiheit und Selbstbestimmung, zur Entfaltung von Person und Biographie der Studierenden.
- Wir brauchen ein Theologiestudium, das zur Übernahme von Mitverantwortung in den Konflikten und Kämpfen dieser Welt an der Seite der um ihre Würde Ringenden ermutigt.
- Wir brauchen eine Theologie, die um ihre säkulare Aufgabe in gefährdeten Zeiten weiß und sie tatkräftig angeht.
Und wir sind sicher: Auch Wissenschaft und Gesellschaft brauchen solch eine Theologie – die katholische Kirche sowieso.
Christian Bauer/Stephanie Bayer/Rainer Bucher/Klara-Antonia Csiszar/Anna Findl-Ludescher/Christian Friesl/Tanja Grabovac/Andreas Heller/Karl Heinz Ladenhauf/Adela Muchova/Veit Neumann/Johannes Panhofer/Johann Pock/Regina Polak/Paul Zulehner. Aus Südtirol: Alexander Notdurfter; aus Tschechien: Michal Kaplánek.
Bild: Rainer Bucher