Österreich hat gewählt – und viele zufriedene, aber auch entsetzte Reaktionen hervorgerufen. Und jetzt? Im Folgenden versucht Johann Pock (Wien) einige Eindrücke als Österreicher wiederzugeben über mögliche Motive und Konsequenzen der Wahl.
Bei der Nationalratswahl 2017 in Österreich wurde auf dem Altar eines möglichen Wahlerfolges vieles geopfert: Prinzipien, Anstand, Moral – all das zählte in den letzten Wochen nicht. Was als „Orientierung an der Mitte“ verkauft wurde, ist letztlich ein populistischer Neoliberalismus, der in der linken Variante der SPÖ lautete „Hol dir, was dir zusteht“, in der rechten Variante von ÖVP und FPÖ „Österreich(er) zuerst“. Die einzige wirkliche Alternative dazu, die Grünen, haben sich durch zerstörerische interne Querelen (wie dem Ausschluss der Jungen Grünen; Abspaltung der Liste Pilz) zum ungünstigsten Zeitpunkt selbst geschwächt und aufgespalten.
„Alles falsch machen und dabei gute Menschen bleiben“
Treffend hat es der Philosoph Franz Schuh wenige Tage vor dem Wahltag formuliert:[1] „Ich wähle Die Grünen. Auch ich mache im Leben alles falsch und bin dabei ein guter Mensch geblieben. Die Grünen machen ebenso alles falsch und sind dabei gute Menschen geblieben.“ Genau das spricht er den Großparteien ab – dass sie „gut geblieben“ sind. Sie haben sich z.B. mit obskuren Politikberatern umgeben (vor allem die SPÖ), die dann zum Erstaunen (oder auch nicht) mancher Parteigrößen ein „Dirty Campaigning“ initiierten. Über diese Berater sagt Franz Schuh: „Sie verkörpern die vollkommene politische Entleerung bis hin zu einem ebenso sinnentleerten Pragmatismus.“ Er nennt sie „PR-Söldner“, und ihnen „ist es vollkommen gleichgültig, wem sie dienen. Ihre Künste bieten sie überall zum Verkauf an. Ihr Geist ist egoistisch.“
Das grüne Fiasko
Und auch wenn wohl viel mehr WählerInnen in Österreich die Meinung von Franz Schuh vertreten, dass die Grünen richtige und wichtige Themen benennen, kam es bei der Wahl zum Fiasko – mit 3,8 Prozent scheitert die Partei an der 4%-Hürde gerade mal um 10160 Stimmen. Die Grünen sind im Vorfeld der Wahl strukturell zurückgefallen in jene Zeit, wo einzelne konkurrierende Gruppen die Partei spalteten. Die wichtigen Themen, wie z.B. Klimawandel oder Gleichbehandlung, griffen im Wahlkampf nicht – zum einen, weil sich alles auf den Dreikampf ÖVP-SPÖ-FPÖ konzentrierte; zum anderen, weil der Wahlkampf der Grünen zu „zahm“ war, mit einem Touch des „Besserwissens“ bzw. dem moralisch erhobenen Zeigefinger.
Dass nur wenige Monate nach dem historischen Wahlsieg eines grünen Politikers bei der Bundespräsidentenwahl seine ursprüngliche Partei nun nach 31 Jahren nicht mehr im Parlament vertreten sein wird, ist schade für die politische Landschaft – und auch nicht zu kompensieren dadurch, dass die abgespaltene Liste Pilz es knapp geschafft hat.
Der Abschied von christlichen Werten
Eine weitere, wenn auch nicht neue Erkenntnis ist, dass es keine relevante Partei in Österreich mehr gibt, die christliche Grundhaltungen und Grundwerte vertritt. Wenn sich Kurz und Strache für den Erhalt der Kreuze an öffentlichen Plätzen einsetzen, so ist dies meines Erachtens ein Kulturkonservatismus, nicht mehr. In einem Interview mit der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“ sagte Kurz noch im Feb 2017: „Menschen in Not bedürfen Schutz. Menschen auf der Flucht benötigen eine echte Perspektive.“[2] Gleichzeitig ist er auf europäischer Ebene einer der härtesten Verfechter der Abschottung der Außengrenzen – immer mit dem Verweis, dass dies nicht nur dem Schutz nach innen dient, sondern zum Besten für die Flüchtenden sei. Und wie es Menschen auf der Flucht in den Lagern z.B. in Libyen geht, ist kaum vorstellbar und ist weit weg von menschenwürdigen Zuständen.
Das Thema „Zuwanderung“ gewinnt die Wahl.
Alarmierend ist, dass mit dem Schlagwort „Zuwanderung“, das Sebastian Kurz praktisch bei jedem seiner Wahlkampfpunkte ins Spiel brachte, eine Wahl zu gewinnen war. Hier wurde und wird mit irrationalen Ängsten gespielt. Mantraartig wurde über Boulevardmedien eingetrichtert, wie instabil die Sicherheit in Österreich geworden ist durch die Zuwanderer. Und mittlerweile glaubt dies ein Gutteil der ÖsterreicherInnen – und nicht überraschend ist, dass dies vor allem dort greift, wo keine realen Kontakte mit geflüchteten Menschen bestehen.
Die rechten Politiker – und da gebe ich ÖVP und FPÖ bewusst in einen Topf – vermischen auch explizit und absichtlich Zuwanderung, Flüchtlingsbewegungen, Migration und Terrorismus – und schüren damit eine irrationale Angst, die in keiner Relation zu tatsächlichen Vorkommnissen in Österreich steht. Die Botschaft lautet dabei: Da kommt ein „Strom“ an Menschen, die „uns“ nicht nur Arbeitsplätze wegnehmen und unser Sozialsystem ausnützen, sondern auch Frauen vergewaltigen und unser christliches Österreich islamisieren möchten.
Die Furcht vor der „Islamisierung“
Damit ist ein weiteres Motiv dieser Wahl angesprochen, mit dem Kurz und Strache gewonnen haben: die Angst vor der „Islamisierung“. Entgegen den Fakten (die spielen bei Wahlen ja sowieso kaum eine Rolle) wird mit dem uralten Feindbild gespielt, bezugnehmend auf die Belagerungen durch die „Türken“ bzw. Osmanen 1529 und 1681, – und die Notwendigkeit hervorgehoben, unser „christliches Österreich“ zu schützen.
Bei aller Trennung von Kirche und Staat wird hier auf kulturelle Errungenschaften rekurriert, die man mit dem Christentum verbindet, ohne jedoch die tatsächlichen Leistungen der christlichen Kirchen (im Übrigen zumeist gemeinsam mit den anderen Religionen im Land) z.B. im karitativen Bereich zu beachten. Auch hier neoliberal: Das, was gerade nützt, wird gelobt – aber das bedeutet nicht, dass man selbst wirklich für christliche Werte steht. Denn diese würden ja z.B. lauten: Solidarität mit den Schwächsten; Nächstenliebe gerade auch dem Fremden gegenüber etc.
Das Motiv der Angst
Angst war im Wahlkampf ein wichtiger Faktor. Zum einen die Angst, die ständig geschürt worden ist mit Feindbildern und Sündenböcken, wie z.B. „die Ausländer“, „die Muslime“. Dann die Angst, dass man einen bestimmten Lebensstandard nicht mehr würde halten können; dass da Menschen kommen könnten, die uns Arbeitsplätze, Traditionen, ja selbst die eigene Religion wegnehmen könnten.
Schließlich aber auch die Angst, die man doch bekommen kann in einem Land, in dem zwei Drittel rechts der Mitte gewählt haben – und 26 % weit rechts. Und da tröstet wenig, dass auch beim großen Nachbarn Deutschland die linken Parteien zusammen nur 38% haben. Ich meine hier die Angst vor größerer sozialer Kälte – sowohl durch politische Kürzungen von sozialen Errungenschaften, also auch dadurch, dass egoistische, fremdenfeindliche Haltungen und Äußerungen nun salonfähig und mehrheitsfähig geworden sind. Die Angst davor, dass Religionsfragen instrumentalisiert werden für politische Zwecke; dass die rechte Politik den großen Wirtschaftsbetrieben und ihren Lobbyisten hilft; und dass mit der Suche nach Sündenböcken von den eigenen Fehlern abgelenkt wird.
Das Opfer-Motiv
Ein Motiv dieser Wahl muss schließlich noch genannt werden: Zur jüngeren österreichischen Identität gehören diverse „Opfer-Mythen“ und Minderwertigkeits-Komplexe: So z.B. das jahrzehntelange Narrativ, das erste Opfer des Hitler-Regimes zu sein – diese Geschichtssicht ist immer noch in den Köpfen vieler Menschen da. Oder das Narrativ von Karl Schranz: Dem Schi-Superstar wurde aufgrund einer Verletzung des Amateur-Paragrafen die Teilnahme an olympischen Spielen 1972 verweigert – was ihm einen Empfang von fast 80.000 Menschen beim Bundeskanzleramt einbrachte.
Und in einer perfiden Umkehrung der Realitäten stilisieren Kurz und Strache die Krise der Migrations- und Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre um zur Gefahr, dass Österreich ein Opfer der Zuwanderung wird: Indem „unser Sozialsystem“ ausgenutzt wird; indem „unsere Arbeitsplätze“ genommen werden etc.
Schließlich gibt es aber auch das Gefühl gerade des Mittelstandes, dass man in den vergangenen Jahren von den „Eliten“ nicht gut behandelt worden ist; dass es sich die politischen und wirtschaftlichen Granden gerichtet haben. Der „kleine Mann“ sieht sich als Opfer von Korruption – und vertraut nun jenen, die vorgeben, sich für die Rechte der „Kleinen“ einzusetzen.
Die großen Erinnerungslücken
Verbunden mit dem Opfermotiv sind die großen Erinnerungslücken bei Politikern und Wählern. Ein Beispiel: Kaum hat ganz Österreich für das Hypo-Desaster in Kärnten, das der frühere FPÖ-Chef Jörg Haider hauptsächlich mit verursacht hatte, 20 Milliarden bezahlt und ist das Land knapp vor dem Konkurs gerettet worden, wählt das Land Kärnten wieder mehrheitlich die FPÖ. Während die FPÖ in den vergangenen Jahren bei vielen Gesetzesvorschlägen, die für Arbeiter oder ärmere Bevölkerungsschichten gewesen wären, dagegen gestimmt hat, wurde sie nun trotzdem von der großen Mehrheit der Arbeiter gewählt. Ganz zu schweigen von den blinden Flecken im Blick auf die rechtsnationalen und rassistischen Tendenzen und Aussagen, die so manche Mitglieder der FPÖ in den vergangenen Jahren kennzeichnen.
Das Messias-Motiv
Nicht zufällig gab es im Verlauf des Wahlkampfes, aber auch in den Analysen nach der Wahl immer wieder das Motiv, dass Sebastian Kurz gewissermaßen ein „Messias“ wäre: der Retter für die ÖVP, die noch vor wenigen Monaten in Umfragen unter 20% gelegen hatte und jetzt mit 31,5% die Wahlen deutlich gewonnen hat; der Retter aber auch für „unser Österreich“ gegenüber den Migranten und auch gegenüber der Brüssel-EU.
Und schließlich: ich bin zornig!
So vieles in diesem Wahlkampf und an seinem Ausgang macht mich daher einfach zornig. Ich bin zornig, für wie dumm sich viele ÖsterreicherInnen verkaufen lassen: durch Parolen von smarten Politikern; durch die Filterblasen von Facebook, Twitter und Co; durch Boulevard-Medien wie Österreich, Heute und die Kronenzeitung, die – hoch bezahlt durch die politischen Parteien – Ängste schüren und Gräben aufreißen.
Ich bin zornig auf einen Politiker, der in den vergangenen 7 Jahren für Integration zuständig war – und wenig für Integration, jedoch viel für Ausgrenzung und Abschiebung getan hat. Und dem die Mehrheit der WählerInnen nun für seine Strategie Recht gegeben haben.
Und ich bin zornig, dass die Kultur der Erinnerung in Österreich es so schwer hat; dass so wenige bereit sind, aus der Geschichte zu lernen.
Wie auch immer nun die konkrete Regierung aussehen wird – und es sieht nach ÖVP-FPÖ aus: die kommenden Jahre werden zeigen, welche Rechnungen aufgehen. Die Rechnung der WählerInnen, dass sich mit diesen Politikern etwas zum Besseren verändert – was in einem Land, das in den meisten Ranglisten weltweit unter den sichersten, lebenswertesten etc. gelistet wird, schwierig ist; die Rechnung von Sebastian Kurz, ausgestattet mit der größtmöglichen Macht, z.B. das Durchgriffsrecht in seiner Partei, nicht nur an die Macht zu kommen, sondern dort auch zu bleiben; oder die Rechnung von Strache, endlich auch „in der Mitte“ angekommen zu sein – und dann doch endlich auch mal Kanzler zu werden.
Meine Hoffnung jedoch bleibt, dass sich in der Realpolitik Vernunft und Augenmaß durchsetzen – und dass es gelingt, ein multikulturelles Österreich in einem pluralen Europa zu sein. Oder wie es Franz Schuh formuliert hat: „die Hoffnung besteht eben darin, dass dann, wenn diese Erfahrungen gemacht worden sind, eine Rückbesinnung erfolgt, deren Chancen davon abhängen, wie viel wirtschaftlich durch den nationalen Egoismus und durch die antieuropäischen Tendenzen für immer zerstört wurde.“ Der Weg dahin ist jedoch schwerer geworden.
[1] https://m.kurier.at/politik/inland/wahl/schuh-der-nationale-egoismus-kann-vieles-zerstoeren/291.001.895 (vom 10.10.2017)
[2] https://www.erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/55398.html (vom 15.2.2017)
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Johann Pock ist Redaktionsmitglied von feinschwarz.net und Professor für Pastoraltheologie in Wien.
Beitragsbild: Brigitte Buschkötter / pixelio.de