Sibylle Trawöger blickt auf ihre interdisziplinären Zugänge zur Theologie und entdeckt das Dazwischen als Ort der Erkenntnis.
Weniger (wiederkehrende) Themen, eher prägende Zugänge zur Theologie kommen mir in den Sinn, wenn ich im Sinne eines Zwischenfazits auf mein theologisches Inter-esse blicke. Interdisziplinarität ist ein Moment, das meinen theologischen Zugang wesentlich prägt, und die Offenheit für Erkenntnisse und Methoden sowie das Interesse an wissenschaftstheoretischen Grundlagenreflexionen anderer Disziplinen hat mich am theologischen Arbeiten seit jeher fasziniert. Auf der Suche nach geeigneten Logi(k)en, um über das Geheimnis des Glaubens zu sprechen, es unter den Gegebenheiten und Bedingungen der Zeit rational zu verantworten und dessen heilbringendes Potenzial zu verdeutlichen, begibt sich die Theologie ins Gespräch mit anderen Disziplinen und Wissensformen. Theologie ist sozusagen offen für die Einsicht (בִּינָה [binah]), die im Zwischen(raum) (בַּיִן [bajin]) liegt.[1]
Interdisziplinarität lässt sich in Transdisziplinarität, Intradisziplinarität, Multidisziplinarität usw. ausfalten bzw. umgestalten und erfährt dadurch jeweils eine Schwerpunktsetzung. So unterschiedlich bereits ein und derselbe Metabegriff definiert werden kann, gemeinsam deuten sie an, dass die Sinnerschließung von komplexen Phänomenen und/oder die Ausarbeitung von Handlungsorientierungen selten innerhalb einer Disziplin umfassend stattfinden kann.
Die Komplexität unserer Fragestellungen wird die interdisziplinäre Arbeit weiterhin herausfordern und möglicherweise könnte die Theologie als Gesprächspartnerin für andere Disziplinen nochmals an Relevanz gewinnen und in ihrer Dialogoffenheit auch eine Vorbildfunktion einnehmen. Unterstützend kann dabei die Aufnahme des Impulses aus der Wissenschaftsforschung wirken, nämlich neben inhaltlichen, methodischen und wissenschaftstheoretischen Aspekten auch die konkreten Wissensgenerierungsprozesse der unterschiedlichen Disziplinen zu reflektieren und in den interdisziplinären Dialog mit einzubeziehen. Mit Blick auf scheinbare „Nebensächlichkeiten“, die die Entstehung von Wissen prägen (wie etwa konkrete Praktiken oder auch finanzielle Rahmenbedingungen von Forschungsvorhaben), kann das Verständnis für den/die Gesprächspartner/in geschärft werden. Zudem kann die Wissenschaftlichkeit der Theologie, die unter den vorherrschenden technisch-naturwissenschaftlichen Plausibilitäten oftmals angefragt wird, auch über die Ausarbeitung von Analogien zu naturwissenschaftlichen Wissensgenerierungsprozessen gestützt werden.
Mit derzeit vorrangigem Interesse an der Schöpfungstheologie werde ich mich weiterhin in Zwischenräume begeben und mich auf ausgewählte Disziplinen der Kunst-, Kultur- und Naturwissenschaft einlassen, um deren Begriffskonturierungen und Sprachspiele, deren Zugangsweisen zur Wirklichkeit, deren Themen, deren Praktiken, deren Selbstverständlichkeiten usw. eingehender zu verstehen zu versuchen. Über diese Sensibilisierungsunternehmungen gerät auch der Facettenreichtum eines jeglichen Phänomens in den Blick, der vor einer theologischen Positionierung zumindest erahnt werden sollte. Die jeweilige „Konstellation“[2] von unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugängen lässt mit ihrem reflexionsproduzierenden Momenten Aspekte zutage treten, die zuvor vielleicht nicht sichtbar sind. (Neue) Konstellationen eröffnen somit Zwischenräume, die neue oder vertiefte Einsichten ermöglichen.
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Dr. Sibylle Trawöger ist Juniorprofessorin für Systematische Theologie und ihre Didaktik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg.
Bild: privat
Grafik: Juliane Maiterth
[1] Den Hinweis, dass Einsicht/Verstehen und Zwischen(raum) im Hebräischen dieselbe Wortwurzel haben, verdanke ich Prof. Dr. Ursula Rapp und Ass.-Prof. Dr. Magdalena Lass.
[2] „Konstellation“ ist eine Figur, die künstlerische Prozesse epistemologisch erfasst. Hier wird sie in analoger Weise verwendet, um „anhand der unterschiedlichen ‚Konstellationen‘, oder Montagen, der jeweiligen Arrangements und der Art […] [der; S.T.] ‚Zusammen-Stellung‘ (composito)“ der jeweiligen Disziplinen zu betonen, dass im interdisziplinären Dialog „etwas hervortritt, das anders sich nicht zeigen lässt“ (vgl. Mersch, Dieter, Epistemologien des Ästhetischen, Zürich, Berlin 2015, 12). Dieses Etwas kann als Materialobjekt zum Vorschein kommen, indem beispielsweise ein Nebenaspekt als Hauptaspekt zutage tritt, oder als reflexionsproduzierendes Moment auf Ebene des Formalobjekts.